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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Gesetze.
Urtheil den vom Cassationshof ausgesprochnen Rechtssatz
zum Grund zu legen (b).

Das Preußische Landrecht verordnet, der Richter solle
den Gesetzen den Sinn beylegen, der aus den Worten
und ihrem Zusammenhange, oder aus dem nächsten un-
zweifelhaften Grund des Gesetzes hervorgehe (c). Wich-
tiger war die, dem Justinianischen Gesetz sich annähernde,
Bestimmung, der Richter solle jeden Zweifel über die Aus-
legung der Gesetzcommission anzeigen, und dann deren
Entscheidung befolgen. Diese Vorschrift ist aber späterhin
aufgehoben worden; nur soll der Richter, welcher jetzt
unabhängig auslegt und entscheidet, seinen Zweifel dem
Chef der Justiz anzeigen, damit davon für die Gesetzge-
bung Gebrauch gemacht werden könne (d). Im Fall einer
Lücke der Gesetze ist der Richter angewiesen, nach den all-
gemeinen Grundsätzen des Landrechts, oder nach Verord-
nungen für ähnliche Fälle zu entscheiden; zugleich soll er
die wahrgenommene Lücke anzeigen, damit sie durch ein
neues Gesetz ausgefüllt werde (e). -- In der Rheinpro-
vinz, worin noch die Französische Gesetzgebung besteht, ist
das Französische Verfahren dahin umgebildet worden, daß

(b) Loi du 1. Avril 1837.
(Bulletin des lois IXe. Serie
T. 14 p. 223) art. 2. "Si le deux-
ieme arret ou jugement est
casse pour les memes motifs
que le premier, la cour royale
ou le tribunal auquel l'affaire
est renvoyee se conformera a
la decision de la cour de cas-
sation sur le point de droit
juge par cette cour.
(c) Allg. Landrecht Einleitung
§ 46.
(d) A. L. R. Einl. § 47. 48,
und Anhang § 2.
(e) A. L. R. Einl. § 49. 50.

Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze.
Urtheil den vom Caſſationshof ausgeſprochnen Rechtsſatz
zum Grund zu legen (b).

Das Preußiſche Landrecht verordnet, der Richter ſolle
den Geſetzen den Sinn beylegen, der aus den Worten
und ihrem Zuſammenhange, oder aus dem nächſten un-
zweifelhaften Grund des Geſetzes hervorgehe (c). Wich-
tiger war die, dem Juſtinianiſchen Geſetz ſich annähernde,
Beſtimmung, der Richter ſolle jeden Zweifel über die Aus-
legung der Geſetzcommiſſion anzeigen, und dann deren
Entſcheidung befolgen. Dieſe Vorſchrift iſt aber ſpäterhin
aufgehoben worden; nur ſoll der Richter, welcher jetzt
unabhängig auslegt und entſcheidet, ſeinen Zweifel dem
Chef der Juſtiz anzeigen, damit davon für die Geſetzge-
bung Gebrauch gemacht werden könne (d). Im Fall einer
Lücke der Geſetze iſt der Richter angewieſen, nach den all-
gemeinen Grundſätzen des Landrechts, oder nach Verord-
nungen für ähnliche Fälle zu entſcheiden; zugleich ſoll er
die wahrgenommene Lücke anzeigen, damit ſie durch ein
neues Geſetz ausgefüllt werde (e). — In der Rheinpro-
vinz, worin noch die Franzöſiſche Geſetzgebung beſteht, iſt
das Franzöſiſche Verfahren dahin umgebildet worden, daß

(b) Loi du 1. Avril 1837.
(Bulletin des lois IXe. Serie
T. 14 p. 223) art. 2. „Si le deux-
ième arrêt ou jugement est
cassé pour les mêmes motifs
que le prémier, la cour royale
ou le tribunal auquel l’affaire
est renvoyée se conformera à
la décision de la cour de cas-
sation sur le point de droit
jugé par cette cour.
(c) Allg. Landrecht Einleitung
§ 46.
(d) A. L. R. Einl. § 47. 48,
und Anhang § 2.
(e) A. L. R. Einl. § 49. 50.
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[328/0384] Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze. Urtheil den vom Caſſationshof ausgeſprochnen Rechtsſatz zum Grund zu legen (b). Das Preußiſche Landrecht verordnet, der Richter ſolle den Geſetzen den Sinn beylegen, der aus den Worten und ihrem Zuſammenhange, oder aus dem nächſten un- zweifelhaften Grund des Geſetzes hervorgehe (c). Wich- tiger war die, dem Juſtinianiſchen Geſetz ſich annähernde, Beſtimmung, der Richter ſolle jeden Zweifel über die Aus- legung der Geſetzcommiſſion anzeigen, und dann deren Entſcheidung befolgen. Dieſe Vorſchrift iſt aber ſpäterhin aufgehoben worden; nur ſoll der Richter, welcher jetzt unabhängig auslegt und entſcheidet, ſeinen Zweifel dem Chef der Juſtiz anzeigen, damit davon für die Geſetzge- bung Gebrauch gemacht werden könne (d). Im Fall einer Lücke der Geſetze iſt der Richter angewieſen, nach den all- gemeinen Grundſätzen des Landrechts, oder nach Verord- nungen für ähnliche Fälle zu entſcheiden; zugleich ſoll er die wahrgenommene Lücke anzeigen, damit ſie durch ein neues Geſetz ausgefüllt werde (e). — In der Rheinpro- vinz, worin noch die Franzöſiſche Geſetzgebung beſteht, iſt das Franzöſiſche Verfahren dahin umgebildet worden, daß (b) Loi du 1. Avril 1837. (Bulletin des lois IXe. Serie T. 14 p. 223) art. 2. „Si le deux- ième arrêt ou jugement est cassé pour les mêmes motifs que le prémier, la cour royale ou le tribunal auquel l’affaire est renvoyée se conformera à la décision de la cour de cas- sation sur le point de droit jugé par cette cour. (c) Allg. Landrecht Einleitung § 46. (d) A. L. R. Einl. § 47. 48, und Anhang § 2. (e) A. L. R. Einl. § 49. 50.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/384>, abgerufen am 23.07.2024.