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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Gesetze.
hört erstlich die wahre ausdehnende und einschränkende
Auslegung, wodurch der wirkliche Inhalt des Gesetzes
nicht (wie hier) verbessert, sondern nur dem Schein des
Buchstabens gegenüber behauptet und vertheidigt wird
(§ 37). Ein zweyter ähnlicher Fall, womit jenes unrich-
tige Verfahren verwechselt wird, ist der der Analogie
(§ 46). In diesem Fall aber fehlt es überhaupt an einer
Rechtsregel, welche daher durch künstliche Erweiterung
der vorhandenen Rechtsquellen ergänzt werden soll; bey
jenem unrichtigen Verfahren dagegen ist eine Rechtsregel
wirklich vorhanden, diese soll aber durch künstliche Aus-
dehnung eines anderen Gesetzes von der Anwendung auf
den gegebenen Fall verdrängt werden. Der dritte Fall
endlich, welcher zu einer solchen Verwechslung Gelegen-
heit zu geben pflegt, ist bisher noch gar nicht erwähnt
worden. Er bezieht sich auf solche Handlungen, welche
ein Gesetz zwar nicht dem Buchstaben, wohl aber dem
Geist nach, verletzen (in fraudem Legis). Daß auf solche
Handlungen das Gesetz bezogen werden muß, ist unzwei-
felhaft (i). Man pflegt dieses so zu denken, als müsse zu
diesem Zweck das umgangene Gesetz durch Auslegung aus-

(i) L. 29 de leg. (1. 3.). "Con-
tra legem facit, qui id facit quod
lex prohibet: in fraudem vero,
qui salvis verbis legis senten-
tiam ejus circumvenit." L. 5
C. de leg. (1. 14.). "Non du-
bium est, in legem committere
eum, qui verba legis amplexus
contra legis nititur voluntatem.
Nec poenas insertas legibus
evitabit, qui se contra juris sen-
tentiam saeva praerogativa ver-
borum fraudulenter excusat."
-- L. 21 de leg. (1. 3.). L. 64.
§ 1 de condit.
(35. 1.).

Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze.
hört erſtlich die wahre ausdehnende und einſchränkende
Auslegung, wodurch der wirkliche Inhalt des Geſetzes
nicht (wie hier) verbeſſert, ſondern nur dem Schein des
Buchſtabens gegenüber behauptet und vertheidigt wird
(§ 37). Ein zweyter ähnlicher Fall, womit jenes unrich-
tige Verfahren verwechſelt wird, iſt der der Analogie
(§ 46). In dieſem Fall aber fehlt es überhaupt an einer
Rechtsregel, welche daher durch künſtliche Erweiterung
der vorhandenen Rechtsquellen ergänzt werden ſoll; bey
jenem unrichtigen Verfahren dagegen iſt eine Rechtsregel
wirklich vorhanden, dieſe ſoll aber durch künſtliche Aus-
dehnung eines anderen Geſetzes von der Anwendung auf
den gegebenen Fall verdrängt werden. Der dritte Fall
endlich, welcher zu einer ſolchen Verwechslung Gelegen-
heit zu geben pflegt, iſt bisher noch gar nicht erwähnt
worden. Er bezieht ſich auf ſolche Handlungen, welche
ein Geſetz zwar nicht dem Buchſtaben, wohl aber dem
Geiſt nach, verletzen (in fraudem Legis). Daß auf ſolche
Handlungen das Geſetz bezogen werden muß, iſt unzwei-
felhaft (i). Man pflegt dieſes ſo zu denken, als müſſe zu
dieſem Zweck das umgangene Geſetz durch Auslegung aus-

(i) L. 29 de leg. (1. 3.). „Con-
tra legem facit, qui id facit quod
lex prohibet: in fraudem vero,
qui salvis verbis legis senten-
tiam ejus circumvenit.” L. 5
C. de leg. (1. 14.). „Non du-
bium est, in legem committere
eum, qui verba legis amplexus
contra legis nititur voluntatem.
Nec poenas insertas legibus
evitabit, qui se contra juris sen-
tentiam saeva praerogativa ver-
borum fraudulenter excusat.”
L. 21 de leg. (1. 3.). L. 64.
§ 1 de condit.
(35. 1.).
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[324/0380] Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze. hört erſtlich die wahre ausdehnende und einſchränkende Auslegung, wodurch der wirkliche Inhalt des Geſetzes nicht (wie hier) verbeſſert, ſondern nur dem Schein des Buchſtabens gegenüber behauptet und vertheidigt wird (§ 37). Ein zweyter ähnlicher Fall, womit jenes unrich- tige Verfahren verwechſelt wird, iſt der der Analogie (§ 46). In dieſem Fall aber fehlt es überhaupt an einer Rechtsregel, welche daher durch künſtliche Erweiterung der vorhandenen Rechtsquellen ergänzt werden ſoll; bey jenem unrichtigen Verfahren dagegen iſt eine Rechtsregel wirklich vorhanden, dieſe ſoll aber durch künſtliche Aus- dehnung eines anderen Geſetzes von der Anwendung auf den gegebenen Fall verdrängt werden. Der dritte Fall endlich, welcher zu einer ſolchen Verwechslung Gelegen- heit zu geben pflegt, iſt bisher noch gar nicht erwähnt worden. Er bezieht ſich auf ſolche Handlungen, welche ein Geſetz zwar nicht dem Buchſtaben, wohl aber dem Geiſt nach, verletzen (in fraudem Legis). Daß auf ſolche Handlungen das Geſetz bezogen werden muß, iſt unzwei- felhaft (i). Man pflegt dieſes ſo zu denken, als müſſe zu dieſem Zweck das umgangene Geſetz durch Auslegung aus- (i) L. 29 de leg. (1. 3.). „Con- tra legem facit, qui id facit quod lex prohibet: in fraudem vero, qui salvis verbis legis senten- tiam ejus circumvenit.” L. 5 C. de leg. (1. 14.). „Non du- bium est, in legem committere eum, qui verba legis amplexus contra legis nititur voluntatem. Nec poenas insertas legibus evitabit, qui se contra juris sen- tentiam saeva praerogativa ver- borum fraudulenter excusat.” — L. 21 de leg. (1. 3.). L. 64. § 1 de condit. (35. 1.).

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/380>, abgerufen am 24.11.2024.