§. 49. Praktischer Werth der Römischen Aussprüche.
können. Geist und Kenntniß werden bey dem Richter, dem die Auslegung gestattet ist, nicht einmal das Bedürf- niß einer Anfrage entstehen lassen. In Justinians Reich mögen sich die Richter, denen er die Auslegung verboten hatte, durch Gedankenlosigkeit und Willkühr geholfen ha- ben, ohne zu häufigeren Anfragen zu schreiten, als der Kaiser zu erledigen im Stande war.
§. 49. Praktischer Werth der Römischen Aussprüche über die Auslegung.
Nachdem die Bestimmungen des Römischen Rechts über die Auslegung dargestellt worden sind (§ 47. 48), ist nun zu untersuchen, welchen Werth dieselben, da wo über- haupt Römisches Recht gilt, für uns haben. Diese Frage ist offenbar verwandt mit der gleichnamigen, schon oben beantworteten, Frage über die Rechtsquellen (§ 27), aber zugleich auch von ihr verschieden. Denn dort war die Rede von der Erzeugung des Rechts, die an sich dem öffentlichen Rechte angehört; hier ist die Rede von der Aufnahme desselben, also von dem Verhalten der Einzel- nen ihm gegenüber, und warum sollte nicht dafür, so gut wie für alles Andere was die Einzelnen betrifft, das Rö- mische Recht die Regel darbieten können?
Nur müßte dabey schon aus formellen Gründen Eine Ju- stinianische Constitution, die L. 3 C. de vet. jure enucleando, ausgeschlossen bleiben, weil diese unter die restituirten Stel-
§. 49. Praktiſcher Werth der Römiſchen Ausſprüche.
können. Geiſt und Kenntniß werden bey dem Richter, dem die Auslegung geſtattet iſt, nicht einmal das Bedürf- niß einer Anfrage entſtehen laſſen. In Juſtinians Reich mögen ſich die Richter, denen er die Auslegung verboten hatte, durch Gedankenloſigkeit und Willkühr geholfen ha- ben, ohne zu häufigeren Anfragen zu ſchreiten, als der Kaiſer zu erledigen im Stande war.
§. 49. Praktiſcher Werth der Römiſchen Ausſprüche über die Auslegung.
Nachdem die Beſtimmungen des Römiſchen Rechts über die Auslegung dargeſtellt worden ſind (§ 47. 48), iſt nun zu unterſuchen, welchen Werth dieſelben, da wo über- haupt Römiſches Recht gilt, für uns haben. Dieſe Frage iſt offenbar verwandt mit der gleichnamigen, ſchon oben beantworteten, Frage über die Rechtsquellen (§ 27), aber zugleich auch von ihr verſchieden. Denn dort war die Rede von der Erzeugung des Rechts, die an ſich dem öffentlichen Rechte angehört; hier iſt die Rede von der Aufnahme deſſelben, alſo von dem Verhalten der Einzel- nen ihm gegenüber, und warum ſollte nicht dafür, ſo gut wie für alles Andere was die Einzelnen betrifft, das Rö- miſche Recht die Regel darbieten können?
Nur müßte dabey ſchon aus formellen Gründen Eine Ju- ſtinianiſche Conſtitution, die L. 3 C. de vet. jure enucleando, ausgeſchloſſen bleiben, weil dieſe unter die reſtituirten Stel-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0367"n="311"/><fwplace="top"type="header">§. 49. Praktiſcher Werth der Römiſchen Ausſprüche.</fw><lb/>
können. Geiſt und Kenntniß werden bey dem Richter,<lb/>
dem die Auslegung geſtattet iſt, nicht einmal das Bedürf-<lb/>
niß einer Anfrage entſtehen laſſen. In Juſtinians Reich<lb/>
mögen ſich die Richter, denen er die Auslegung verboten<lb/>
hatte, durch Gedankenloſigkeit und Willkühr geholfen ha-<lb/>
ben, ohne zu häufigeren Anfragen zu ſchreiten, als der<lb/>
Kaiſer zu erledigen im Stande war.</p></div><lb/><divn="3"><head>§. 49.<lb/><hirendition="#g">Praktiſcher Werth der Römiſchen Ausſprüche<lb/>
über die Auslegung</hi>.</head><lb/><p>Nachdem die Beſtimmungen des Römiſchen Rechts über<lb/>
die Auslegung dargeſtellt worden ſind (§ 47. 48), iſt nun<lb/>
zu unterſuchen, welchen Werth dieſelben, da wo über-<lb/>
haupt Römiſches Recht gilt, für uns haben. Dieſe Frage<lb/>
iſt offenbar verwandt mit der gleichnamigen, ſchon oben<lb/>
beantworteten, Frage über die Rechtsquellen (§ 27), aber<lb/>
zugleich auch von ihr verſchieden. Denn dort war die<lb/>
Rede von der Erzeugung des Rechts, die an ſich dem<lb/>
öffentlichen Rechte angehört; hier iſt die Rede von der<lb/>
Aufnahme deſſelben, alſo von dem Verhalten der Einzel-<lb/>
nen ihm gegenüber, und warum ſollte nicht dafür, ſo gut<lb/>
wie für alles Andere was die Einzelnen betrifft, das Rö-<lb/>
miſche Recht die Regel darbieten können?</p><lb/><p>Nur müßte dabey ſchon aus formellen Gründen Eine Ju-<lb/>ſtinianiſche Conſtitution, die <hirendition="#aq">L. 3 C. de vet. jure enucleando,</hi><lb/>
ausgeſchloſſen bleiben, weil dieſe unter die reſtituirten Stel-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[311/0367]
§. 49. Praktiſcher Werth der Römiſchen Ausſprüche.
können. Geiſt und Kenntniß werden bey dem Richter,
dem die Auslegung geſtattet iſt, nicht einmal das Bedürf-
niß einer Anfrage entſtehen laſſen. In Juſtinians Reich
mögen ſich die Richter, denen er die Auslegung verboten
hatte, durch Gedankenloſigkeit und Willkühr geholfen ha-
ben, ohne zu häufigeren Anfragen zu ſchreiten, als der
Kaiſer zu erledigen im Stande war.
§. 49.
Praktiſcher Werth der Römiſchen Ausſprüche
über die Auslegung.
Nachdem die Beſtimmungen des Römiſchen Rechts über
die Auslegung dargeſtellt worden ſind (§ 47. 48), iſt nun
zu unterſuchen, welchen Werth dieſelben, da wo über-
haupt Römiſches Recht gilt, für uns haben. Dieſe Frage
iſt offenbar verwandt mit der gleichnamigen, ſchon oben
beantworteten, Frage über die Rechtsquellen (§ 27), aber
zugleich auch von ihr verſchieden. Denn dort war die
Rede von der Erzeugung des Rechts, die an ſich dem
öffentlichen Rechte angehört; hier iſt die Rede von der
Aufnahme deſſelben, alſo von dem Verhalten der Einzel-
nen ihm gegenüber, und warum ſollte nicht dafür, ſo gut
wie für alles Andere was die Einzelnen betrifft, das Rö-
miſche Recht die Regel darbieten können?
Nur müßte dabey ſchon aus formellen Gründen Eine Ju-
ſtinianiſche Conſtitution, die L. 3 C. de vet. jure enucleando,
ausgeſchloſſen bleiben, weil dieſe unter die reſtituirten Stel-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/367>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.