wicklungsgang unsrer Literatur überhaupt in Zusam- menhang stehen.
Auf der anderen Seite wurde oben gefordert, daß der Praktiker zugleich ein theoretisches Element in sich trage. Auch dieses wiederum ist nicht so gemeynt, daß er zugleich als Schriftsteller thätig seyn, oder auch nur ein sehr umfassendes Bücherstudium stets fortführen solle: Beides würde schon durch den Umfang der prak- tischen Arbeiten meist unmöglich werden. Aber den Sinn für die Wissenschaft soll er in seinem praktischen Geschäft selbst stets lebendig erhalten, er soll nie ver- gessen, daß die richtig aufgefaßte Rechtswissenschaft nichts Anderes ist, als die Zusammenfassung desjenigen, was er im Einzelnen sich zum Bewußtseyn bringen und an- wenden soll. Nichts ist häufiger, als in der Würdi- gung eines praktischen Juristen auf die bloße Gewandt- heit und Leichtigkeit ausschließenden Werth zu legen, obgleich diese an sich sehr brauchbare Eigenschaften mit der gewissenlosesten Oberflächlichkeit gar wohl vereinbar sind. Daß unsrer juristischen Praxis der rechte Geist nicht überall inwohnt, geht sichtbar hervor aus dem Er- folg, wie er sich im Großen darstellt. Wäre in ihr die- ser Geist wirksam, so müßte auch von ihr ein sicherer Fortschritt gesunder Rechtswissenschaft ausgehen, sie
Vorrede.
wicklungsgang unſrer Literatur überhaupt in Zuſam- menhang ſtehen.
Auf der anderen Seite wurde oben gefordert, daß der Praktiker zugleich ein theoretiſches Element in ſich trage. Auch dieſes wiederum iſt nicht ſo gemeynt, daß er zugleich als Schriftſteller thätig ſeyn, oder auch nur ein ſehr umfaſſendes Bücherſtudium ſtets fortführen ſolle: Beides würde ſchon durch den Umfang der prak- tiſchen Arbeiten meiſt unmöglich werden. Aber den Sinn für die Wiſſenſchaft ſoll er in ſeinem praktiſchen Geſchäft ſelbſt ſtets lebendig erhalten, er ſoll nie ver- geſſen, daß die richtig aufgefaßte Rechtswiſſenſchaft nichts Anderes iſt, als die Zuſammenfaſſung desjenigen, was er im Einzelnen ſich zum Bewußtſeyn bringen und an- wenden ſoll. Nichts iſt häufiger, als in der Würdi- gung eines praktiſchen Juriſten auf die bloße Gewandt- heit und Leichtigkeit ausſchließenden Werth zu legen, obgleich dieſe an ſich ſehr brauchbare Eigenſchaften mit der gewiſſenloſeſten Oberflächlichkeit gar wohl vereinbar ſind. Daß unſrer juriſtiſchen Praxis der rechte Geiſt nicht überall inwohnt, geht ſichtbar hervor aus dem Er- folg, wie er ſich im Großen darſtellt. Wäre in ihr die- ſer Geiſt wirkſam, ſo müßte auch von ihr ein ſicherer Fortſchritt geſunder Rechtswiſſenſchaft ausgehen, ſie
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[XXIV/0030]
Vorrede.
wicklungsgang unſrer Literatur überhaupt in Zuſam-
menhang ſtehen.
Auf der anderen Seite wurde oben gefordert, daß
der Praktiker zugleich ein theoretiſches Element in ſich
trage. Auch dieſes wiederum iſt nicht ſo gemeynt, daß
er zugleich als Schriftſteller thätig ſeyn, oder auch nur
ein ſehr umfaſſendes Bücherſtudium ſtets fortführen
ſolle: Beides würde ſchon durch den Umfang der prak-
tiſchen Arbeiten meiſt unmöglich werden. Aber den
Sinn für die Wiſſenſchaft ſoll er in ſeinem praktiſchen
Geſchäft ſelbſt ſtets lebendig erhalten, er ſoll nie ver-
geſſen, daß die richtig aufgefaßte Rechtswiſſenſchaft nichts
Anderes iſt, als die Zuſammenfaſſung desjenigen, was
er im Einzelnen ſich zum Bewußtſeyn bringen und an-
wenden ſoll. Nichts iſt häufiger, als in der Würdi-
gung eines praktiſchen Juriſten auf die bloße Gewandt-
heit und Leichtigkeit ausſchließenden Werth zu legen,
obgleich dieſe an ſich ſehr brauchbare Eigenſchaften mit
der gewiſſenloſeſten Oberflächlichkeit gar wohl vereinbar
ſind. Daß unſrer juriſtiſchen Praxis der rechte Geiſt
nicht überall inwohnt, geht ſichtbar hervor aus dem Er-
folg, wie er ſich im Großen darſtellt. Wäre in ihr die-
ſer Geiſt wirkſam, ſo müßte auch von ihr ein ſicherer
Fortſchritt geſunder Rechtswiſſenſchaft ausgehen, ſie
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. XXIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/30>, abgerufen am 22.11.2024.
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