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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Gesetze.
de vi, der für dieses Verbrechen angeordnete Prätor könne
seine Gerichtsbarkeit übertragen "si proficiscatur"; darin
lag der umgekehrte Satz, daß er es außerdem nicht
könne (o). Eben so deutet jede gesetzliche Ausnahme auf
das Daseyn einer Regel, ohne welche diese Ausnahme
keinen Sinn hätte, ist also ein indirecter Ausdruck dieser
Regel. Wenn also die L. Julia de adulteriis den crimi-
nell verurtheilten Frauen die Fähigkeit des gerichtlichen
Zeugnisses entzog, so folgte daraus von selbst, daß ande-
ren Frauen diese Fähigkeit zustand (p).

Dagegen kann der generelle Grund eines Gesetzes (z.
B. die aequitas, worauf es beruht) nicht zu einer Ausle-
gung führen, wodurch der Ausdruck als unrichtig ange-
nommen und einer Berichtigung unterworfen werden soll.
Denn diese Behandlung trägt schon ganz den Character
einer von der Auslegung verschiedenen Fortbildung des
Rechts an sich, da wir nicht fragen, was in dem Gedan-
ken des Gesetzes enthalten ist, sondern was in denselben
consequenterweise hätte aufgenommen werden müssen, wenn
sich der Gesetzgeber dieses klar gemacht hätte. Es kommt
aber noch hinzu die bey dieser letzten Behauptung stets
zurück bleibende Ungewißheit, indem bey der Entfernung

dieses nicht wohl über schon ver-
gangene Handlungen verfügen
kann), sondern auf den in der
Zukunft liegenden Zeitpunkt, hier
also auf den Ablauf des Jahres
nach entstandenem Klagrecht. Vor
diesem Ablauf soll die Klage er-
laubt seyn (in praeteritum in-
dulget
), also nachher verboten
(in futurum vetat).
(o) L. 1 pr. de off. ejus cui
mand.
(1. 21.).
(p) L. 18 de testibus (22. 5.).

Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze.
de vi, der für dieſes Verbrechen angeordnete Prätor könne
ſeine Gerichtsbarkeit übertragen „si proficiscatur”; darin
lag der umgekehrte Satz, daß er es außerdem nicht
könne (o). Eben ſo deutet jede geſetzliche Ausnahme auf
das Daſeyn einer Regel, ohne welche dieſe Ausnahme
keinen Sinn hätte, iſt alſo ein indirecter Ausdruck dieſer
Regel. Wenn alſo die L. Julia de adulteriis den crimi-
nell verurtheilten Frauen die Fähigkeit des gerichtlichen
Zeugniſſes entzog, ſo folgte daraus von ſelbſt, daß ande-
ren Frauen dieſe Fähigkeit zuſtand (p).

Dagegen kann der generelle Grund eines Geſetzes (z.
B. die aequitas, worauf es beruht) nicht zu einer Ausle-
gung führen, wodurch der Ausdruck als unrichtig ange-
nommen und einer Berichtigung unterworfen werden ſoll.
Denn dieſe Behandlung trägt ſchon ganz den Character
einer von der Auslegung verſchiedenen Fortbildung des
Rechts an ſich, da wir nicht fragen, was in dem Gedan-
ken des Geſetzes enthalten iſt, ſondern was in denſelben
conſequenterweiſe hätte aufgenommen werden müſſen, wenn
ſich der Geſetzgeber dieſes klar gemacht hätte. Es kommt
aber noch hinzu die bey dieſer letzten Behauptung ſtets
zurück bleibende Ungewißheit, indem bey der Entfernung

dieſes nicht wohl über ſchon ver-
gangene Handlungen verfügen
kann), ſondern auf den in der
Zukunft liegenden Zeitpunkt, hier
alſo auf den Ablauf des Jahres
nach entſtandenem Klagrecht. Vor
dieſem Ablauf ſoll die Klage er-
laubt ſeyn (in praeteritum in-
dulget
), alſo nachher verboten
(in futurum vetat).
(o) L. 1 pr. de off. ejus cui
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(1. 21.).
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[238/0294] Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze. de vi, der für dieſes Verbrechen angeordnete Prätor könne ſeine Gerichtsbarkeit übertragen „si proficiscatur”; darin lag der umgekehrte Satz, daß er es außerdem nicht könne (o). Eben ſo deutet jede geſetzliche Ausnahme auf das Daſeyn einer Regel, ohne welche dieſe Ausnahme keinen Sinn hätte, iſt alſo ein indirecter Ausdruck dieſer Regel. Wenn alſo die L. Julia de adulteriis den crimi- nell verurtheilten Frauen die Fähigkeit des gerichtlichen Zeugniſſes entzog, ſo folgte daraus von ſelbſt, daß ande- ren Frauen dieſe Fähigkeit zuſtand (p). Dagegen kann der generelle Grund eines Geſetzes (z. B. die aequitas, worauf es beruht) nicht zu einer Ausle- gung führen, wodurch der Ausdruck als unrichtig ange- nommen und einer Berichtigung unterworfen werden ſoll. Denn dieſe Behandlung trägt ſchon ganz den Character einer von der Auslegung verſchiedenen Fortbildung des Rechts an ſich, da wir nicht fragen, was in dem Gedan- ken des Geſetzes enthalten iſt, ſondern was in denſelben conſequenterweiſe hätte aufgenommen werden müſſen, wenn ſich der Geſetzgeber dieſes klar gemacht hätte. Es kommt aber noch hinzu die bey dieſer letzten Behauptung ſtets zurück bleibende Ungewißheit, indem bey der Entfernung (n) (o) L. 1 pr. de off. ejus cui mand. (1. 21.). (p) L. 18 de testibus (22. 5.). (n) dieſes nicht wohl über ſchon ver- gangene Handlungen verfügen kann), ſondern auf den in der Zukunft liegenden Zeitpunkt, hier alſo auf den Ablauf des Jahres nach entſtandenem Klagrecht. Vor dieſem Ablauf ſoll die Klage er- laubt ſeyn (in praeteritum in- dulget), alſo nachher verboten (in futurum vetat).

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/294>, abgerufen am 17.05.2024.