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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Gesetze.
die Bezeichnung unvollendet geblieben ist. Dieser Fall
tritt z. B. ein, wenn ein Gesetz zu einem Geschäfte Zeu-
gen erfordert, ohne die Zahl derselben zu bestimmen (a).

Häufiger und wichtiger ist der Fall der Vieldeutig-
keit
, welcher wieder in verschiedenen Gestalten vorkom-
men kann: als Vieldeutigkeit des einzelnen Ausdrucks,
oder der Construction.

Der einzelne Ausdruck kann einen individuellen Gegen-
stand betreffen, und dazu eine Bezeichnung gebrauchen,
welche auf mehrere Individuen paßt: ein Fall, der in
Rechtsgeschäften häufiger vorkommen wird als in Ge-
setzen (b). Er kann aber auch einen abstracten Begriff
zum Gegenstand haben, und hier wieder kann die Zwey-
deutigkeit darin liegen, daß der gewählte Ausdruck ganz
verschiedene Bedeutungen (c), oder daß er eine engere und
eine weitere Bedeutung hat (d).


(a) So in Nov. 107. C. 1. --
Eben so wenn eine Geldsumme
bestimmt werden sollte, und ent-
weder die Zahl oder die Geldart
nicht ausgedrückt ist. Dieser Fall
wird (nicht bey Gesetzen, sondern
bey Testamenten) erwähnt in L.
21 § 1 qui test.
(28. 1.).
(b) Beyspiele: L. 21 § 1 qui
test.
(28. 1.): der Sclave Sti-
chus ist legirt, Titius als Lega-
tar ernannt, da Mehrere diese
Namen führen. L. 39 § 6 de leg.
1 (30 un.) Fundus Cornelianus

ist legirt, da der Testator meh-
rere unter diesem Namen in sei-
nem Vermögen hatte.
(c) So haben ganz verschie-
dene Bedeutungen die Ausdrücke
familia, puer, potestas. L. 195.
204. 215 de V. S.
(50. 16.). --
Merkwürdige Anwendungen die-
ser Zweydeutigkeit finden sich in
L. 5 C. fin. reg. (3. 39.) und
L. 30 C. de j. dot. (5. 12.).
In der ersten kann praescriptio
heißen: Einrede, oder Vorschrift,
nach Manchen auch Verjährung.
In der zweyten können die
Worte: si tamen extant heißen:
wenn sie nicht vernichtet, oder
auch: wenn sie nicht veräußert
sind (extant apud maritum).
(d) Solche engere und weitere

Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze.
die Bezeichnung unvollendet geblieben iſt. Dieſer Fall
tritt z. B. ein, wenn ein Geſetz zu einem Geſchäfte Zeu-
gen erfordert, ohne die Zahl derſelben zu beſtimmen (a).

Häufiger und wichtiger iſt der Fall der Vieldeutig-
keit
, welcher wieder in verſchiedenen Geſtalten vorkom-
men kann: als Vieldeutigkeit des einzelnen Ausdrucks,
oder der Conſtruction.

Der einzelne Ausdruck kann einen individuellen Gegen-
ſtand betreffen, und dazu eine Bezeichnung gebrauchen,
welche auf mehrere Individuen paßt: ein Fall, der in
Rechtsgeſchäften häufiger vorkommen wird als in Ge-
ſetzen (b). Er kann aber auch einen abſtracten Begriff
zum Gegenſtand haben, und hier wieder kann die Zwey-
deutigkeit darin liegen, daß der gewählte Ausdruck ganz
verſchiedene Bedeutungen (c), oder daß er eine engere und
eine weitere Bedeutung hat (d).


(a) So in Nov. 107. C. 1. —
Eben ſo wenn eine Geldſumme
beſtimmt werden ſollte, und ent-
weder die Zahl oder die Geldart
nicht ausgedrückt iſt. Dieſer Fall
wird (nicht bey Geſetzen, ſondern
bey Teſtamenten) erwähnt in L.
21 § 1 qui test.
(28. 1.).
(b) Beyſpiele: L. 21 § 1 qui
test.
(28. 1.): der Sclave Sti-
chus iſt legirt, Titius als Lega-
tar ernannt, da Mehrere dieſe
Namen führen. L. 39 § 6 de leg.
1 (30 un.) Fundus Cornelianus

iſt legirt, da der Teſtator meh-
rere unter dieſem Namen in ſei-
nem Vermögen hatte.
(c) So haben ganz verſchie-
dene Bedeutungen die Ausdrücke
familia, puer, potestas. L. 195.
204. 215 de V. S.
(50. 16.). —
Merkwürdige Anwendungen die-
ſer Zweydeutigkeit finden ſich in
L. 5 C. fin. reg. (3. 39.) und
L. 30 C. de j. dot. (5. 12.).
In der erſten kann praescriptio
heißen: Einrede, oder Vorſchrift,
nach Manchen auch Verjährung.
In der zweyten können die
Worte: si tamen extant heißen:
wenn ſie nicht vernichtet, oder
auch: wenn ſie nicht veräußert
ſind (extant apud maritum).
(d) Solche engere und weitere
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[226/0282] Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze. die Bezeichnung unvollendet geblieben iſt. Dieſer Fall tritt z. B. ein, wenn ein Geſetz zu einem Geſchäfte Zeu- gen erfordert, ohne die Zahl derſelben zu beſtimmen (a). Häufiger und wichtiger iſt der Fall der Vieldeutig- keit, welcher wieder in verſchiedenen Geſtalten vorkom- men kann: als Vieldeutigkeit des einzelnen Ausdrucks, oder der Conſtruction. Der einzelne Ausdruck kann einen individuellen Gegen- ſtand betreffen, und dazu eine Bezeichnung gebrauchen, welche auf mehrere Individuen paßt: ein Fall, der in Rechtsgeſchäften häufiger vorkommen wird als in Ge- ſetzen (b). Er kann aber auch einen abſtracten Begriff zum Gegenſtand haben, und hier wieder kann die Zwey- deutigkeit darin liegen, daß der gewählte Ausdruck ganz verſchiedene Bedeutungen (c), oder daß er eine engere und eine weitere Bedeutung hat (d). (a) So in Nov. 107. C. 1. — Eben ſo wenn eine Geldſumme beſtimmt werden ſollte, und ent- weder die Zahl oder die Geldart nicht ausgedrückt iſt. Dieſer Fall wird (nicht bey Geſetzen, ſondern bey Teſtamenten) erwähnt in L. 21 § 1 qui test. (28. 1.). (b) Beyſpiele: L. 21 § 1 qui test. (28. 1.): der Sclave Sti- chus iſt legirt, Titius als Lega- tar ernannt, da Mehrere dieſe Namen führen. L. 39 § 6 de leg. 1 (30 un.) Fundus Cornelianus iſt legirt, da der Teſtator meh- rere unter dieſem Namen in ſei- nem Vermögen hatte. (c) So haben ganz verſchie- dene Bedeutungen die Ausdrücke familia, puer, potestas. L. 195. 204. 215 de V. S. (50. 16.). — Merkwürdige Anwendungen die- ſer Zweydeutigkeit finden ſich in L. 5 C. fin. reg. (3. 39.) und L. 30 C. de j. dot. (5. 12.). In der erſten kann praescriptio heißen: Einrede, oder Vorſchrift, nach Manchen auch Verjährung. In der zweyten können die Worte: si tamen extant heißen: wenn ſie nicht vernichtet, oder auch: wenn ſie nicht veräußert ſind (extant apud maritum). (d) Solche engere und weitere

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/282>, abgerufen am 17.05.2024.