Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 27. Prakt. Werth der Röm. Bestimmungen über die Rechtsq.
zuwerfen, sondern stillschweigend zu bejahen, und in dieser
Voraussetzung Stellen des Römischen Rechts zu benutzen:
freylich mit dem Vorbehalt, diese Benutzung da, wo sie
allzu bedenklich erscheinen würde, zu unterlassen.

Ich will zuvörderst kurz zusammen stellen, wie sich die
durchgeführte Bejahung jener Frage gestalten würde.

In Ansehung der eigentlichen Gesetze (§ 23) könnten
wir etwa noch auf die Mitwirkung des Senats bey ihrer
Abfassung verzichten, weil ein solcher, im Sinn des Rö-
mischen Kaiserreichs, in keinem neueren Staat vorhanden
ist. Aber die ausschließenden Kennzeichen eines wahren
Gesetzes müßten wir doch aus der Verordnung von Theo-
dosius II. entnehmen. -- Weit wichtiger jedoch ist die
Sache bey den landesherrlichen Rescripten in einzelnen
Rechtssachen (§ 24), die von jedem Richter als Gesetz
anerkannt werden müßten, wenigstens in der eingeschränk-
teren Weise, wie es nach Justinians Novellen noch anzu-
nehmen ist. Dagegen haben sich neuere Schriftsteller aus-
drücklich erklärt (a). Andere bestehen fest auf der Anwen-
dung der Römischen Regeln, zuweilen selbst ohne Rück-
sicht auf die durch die Novellen gemachten Einschränkungen,
aber indem sie in der Stille diesen Regeln einen ganz
anderen Sinn unterlegen. Sie übergehen nämlich die Haupt-
sache, die Gesetzeskraft für den einzelnen Fall, mit Stillschwei-
gen, und legen den Rescripten blos Gesetzeskraft für künf-
tige gleiche Fälle bey (b), die doch selbst nach Römischem

(a) Mühlenbruch I § 35.
(b) Glück I § 96, der auch
11*

§. 27. Prakt. Werth der Röm. Beſtimmungen über die Rechtsq.
zuwerfen, ſondern ſtillſchweigend zu bejahen, und in dieſer
Vorausſetzung Stellen des Römiſchen Rechts zu benutzen:
freylich mit dem Vorbehalt, dieſe Benutzung da, wo ſie
allzu bedenklich erſcheinen würde, zu unterlaſſen.

Ich will zuvörderſt kurz zuſammen ſtellen, wie ſich die
durchgeführte Bejahung jener Frage geſtalten würde.

In Anſehung der eigentlichen Geſetze (§ 23) könnten
wir etwa noch auf die Mitwirkung des Senats bey ihrer
Abfaſſung verzichten, weil ein ſolcher, im Sinn des Rö-
miſchen Kaiſerreichs, in keinem neueren Staat vorhanden
iſt. Aber die ausſchließenden Kennzeichen eines wahren
Geſetzes müßten wir doch aus der Verordnung von Theo-
doſius II. entnehmen. — Weit wichtiger jedoch iſt die
Sache bey den landesherrlichen Reſcripten in einzelnen
Rechtsſachen (§ 24), die von jedem Richter als Geſetz
anerkannt werden müßten, wenigſtens in der eingeſchränk-
teren Weiſe, wie es nach Juſtinians Novellen noch anzu-
nehmen iſt. Dagegen haben ſich neuere Schriftſteller aus-
drücklich erklärt (a). Andere beſtehen feſt auf der Anwen-
dung der Römiſchen Regeln, zuweilen ſelbſt ohne Rück-
ſicht auf die durch die Novellen gemachten Einſchränkungen,
aber indem ſie in der Stille dieſen Regeln einen ganz
anderen Sinn unterlegen. Sie übergehen nämlich die Haupt-
ſache, die Geſetzeskraft für den einzelnen Fall, mit Stillſchwei-
gen, und legen den Reſcripten blos Geſetzeskraft für künf-
tige gleiche Fälle bey (b), die doch ſelbſt nach Römiſchem

(a) Mühlenbruch I § 35.
(b) Glück I § 96, der auch
11*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0219" n="163"/><fw place="top" type="header">§. 27. Prakt. Werth der Röm. Be&#x017F;timmungen über die Rechtsq.</fw><lb/>
zuwerfen, &#x017F;ondern &#x017F;till&#x017F;chweigend zu bejahen, und in die&#x017F;er<lb/>
Voraus&#x017F;etzung Stellen des Römi&#x017F;chen Rechts zu benutzen:<lb/>
freylich mit dem Vorbehalt, die&#x017F;e Benutzung da, wo &#x017F;ie<lb/>
allzu bedenklich er&#x017F;cheinen würde, zu unterla&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
            <p>Ich will zuvörder&#x017F;t kurz zu&#x017F;ammen &#x017F;tellen, wie &#x017F;ich die<lb/>
durchgeführte Bejahung jener Frage ge&#x017F;talten würde.</p><lb/>
            <p>In An&#x017F;ehung der eigentlichen Ge&#x017F;etze (§ 23) könnten<lb/>
wir etwa noch auf die Mitwirkung des Senats bey ihrer<lb/>
Abfa&#x017F;&#x017F;ung verzichten, weil ein &#x017F;olcher, im Sinn des Rö-<lb/>
mi&#x017F;chen Kai&#x017F;erreichs, in keinem neueren Staat vorhanden<lb/>
i&#x017F;t. Aber die aus&#x017F;chließenden Kennzeichen eines wahren<lb/>
Ge&#x017F;etzes müßten wir doch aus der Verordnung von Theo-<lb/>
do&#x017F;ius <hi rendition="#aq">II.</hi> entnehmen. &#x2014; Weit wichtiger jedoch i&#x017F;t die<lb/>
Sache bey den landesherrlichen Re&#x017F;cripten in einzelnen<lb/>
Rechts&#x017F;achen (§ 24), die von jedem Richter als Ge&#x017F;etz<lb/>
anerkannt werden müßten, wenig&#x017F;tens in der einge&#x017F;chränk-<lb/>
teren Wei&#x017F;e, wie es nach Ju&#x017F;tinians Novellen noch anzu-<lb/>
nehmen i&#x017F;t. Dagegen haben &#x017F;ich neuere Schrift&#x017F;teller aus-<lb/>
drücklich erklärt <note place="foot" n="(a)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">Mühlenbruch</hi> I</hi> § 35.</note>. Andere be&#x017F;tehen fe&#x017F;t auf der Anwen-<lb/>
dung der Römi&#x017F;chen Regeln, zuweilen &#x017F;elb&#x017F;t ohne Rück-<lb/>
&#x017F;icht auf die durch die Novellen gemachten Ein&#x017F;chränkungen,<lb/>
aber indem &#x017F;ie in der Stille die&#x017F;en Regeln einen ganz<lb/>
anderen Sinn unterlegen. Sie übergehen nämlich die Haupt-<lb/>
&#x017F;ache, die Ge&#x017F;etzeskraft für den einzelnen Fall, mit Still&#x017F;chwei-<lb/>
gen, und legen den Re&#x017F;cripten blos Ge&#x017F;etzeskraft für künf-<lb/>
tige gleiche Fälle bey <note xml:id="seg2pn_26_1" next="#seg2pn_26_2" place="foot" n="(b)"><hi rendition="#g">Glück</hi><hi rendition="#aq">I</hi> § 96, der auch</note>, die doch &#x017F;elb&#x017F;t nach Römi&#x017F;chem<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">11*</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[163/0219] §. 27. Prakt. Werth der Röm. Beſtimmungen über die Rechtsq. zuwerfen, ſondern ſtillſchweigend zu bejahen, und in dieſer Vorausſetzung Stellen des Römiſchen Rechts zu benutzen: freylich mit dem Vorbehalt, dieſe Benutzung da, wo ſie allzu bedenklich erſcheinen würde, zu unterlaſſen. Ich will zuvörderſt kurz zuſammen ſtellen, wie ſich die durchgeführte Bejahung jener Frage geſtalten würde. In Anſehung der eigentlichen Geſetze (§ 23) könnten wir etwa noch auf die Mitwirkung des Senats bey ihrer Abfaſſung verzichten, weil ein ſolcher, im Sinn des Rö- miſchen Kaiſerreichs, in keinem neueren Staat vorhanden iſt. Aber die ausſchließenden Kennzeichen eines wahren Geſetzes müßten wir doch aus der Verordnung von Theo- doſius II. entnehmen. — Weit wichtiger jedoch iſt die Sache bey den landesherrlichen Reſcripten in einzelnen Rechtsſachen (§ 24), die von jedem Richter als Geſetz anerkannt werden müßten, wenigſtens in der eingeſchränk- teren Weiſe, wie es nach Juſtinians Novellen noch anzu- nehmen iſt. Dagegen haben ſich neuere Schriftſteller aus- drücklich erklärt (a). Andere beſtehen feſt auf der Anwen- dung der Römiſchen Regeln, zuweilen ſelbſt ohne Rück- ſicht auf die durch die Novellen gemachten Einſchränkungen, aber indem ſie in der Stille dieſen Regeln einen ganz anderen Sinn unterlegen. Sie übergehen nämlich die Haupt- ſache, die Geſetzeskraft für den einzelnen Fall, mit Stillſchwei- gen, und legen den Reſcripten blos Geſetzeskraft für künf- tige gleiche Fälle bey (b), die doch ſelbſt nach Römiſchem (a) Mühlenbruch I § 35. (b) Glück I § 96, der auch 11*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/219
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/219>, abgerufen am 03.12.2024.