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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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§. 22. Aussprüche der Römer über die Rechtsquellen im Allg.
heitsrecht, nicht aus eigener Macht des Prätors, hernahm
(§ 25. t). Dennoch würden wir irren, wenn wir darum
den Prätor als bloßen Schreiber des Gewohnheitsrechts
ansehen wollten. Der Stoff freylich war ihm durch
Volksrecht gegeben; aber die daraus hervorgehende Fort-
bildung des Rechts im Einzelnen zu entwickeln und durch-
zuführen (corrigendi juris civilis) war ihm mit großer
Freiheit überlassen, eben so wie die Ergänzung des Civil-
rechts, wo dieses unvollständig war (supplendi juris civi-
lis)
(aa). In der That also wurde die Fortbildung des
Rechts großentheils durch den Prätor besorgt, aber durch
den jährlichen Wechsel der Prätoren bekam die Leitung
dieses Geschäfts doch wieder etwas Volksmäßiges, wie-
wohl mit aristokratischem Character.

Alles, was bisher über die allgemeine Ansicht der Rö-
mer von den Rechtsquellen gesagt worden ist, kann nur
von der Zeit gelten, in welcher die Rechtswissenschaft noch
einiges Leben erhielt. Nach dieser Zeit, also von den
christlichen Kaisern an, änderte sich die Ansicht von Grund
aus. Nun gab es als Rechtsquellen nur Leges und
Jus, d. h. kaiserliche Edicte und wissenschaftlich verarbei-

(aa) Der scheinbare Wider-
spruch solcher Stellen, die den
Stoff des Edicts auf Gewohn-
heit zurückführen (§ 25. t) mit
andern, welche das Edict dem
Gewohnheitsrecht entgegensetzen,
wie Gajus III § 82: "neque
lege XII tab., neque praetoris
edicto, sed eo jure quod con-
sensu receptum est
und § 3--9
J. de j. nat. (1. 2.) löst sich schon
durch die Bemerkung, daß in
den Stellen dieser letzten Art
nur dasjenige als Gewohnheits-
recht bezeichnet wird, was in die-
ser seiner ursprünglichen Gestalt
geblieben, und nicht in das Edict
aufgenommen worden ist.

§. 22. Ausſprüche der Römer über die Rechtsquellen im Allg.
heitsrecht, nicht aus eigener Macht des Prätors, hernahm
(§ 25. t). Dennoch würden wir irren, wenn wir darum
den Prätor als bloßen Schreiber des Gewohnheitsrechts
anſehen wollten. Der Stoff freylich war ihm durch
Volksrecht gegeben; aber die daraus hervorgehende Fort-
bildung des Rechts im Einzelnen zu entwickeln und durch-
zuführen (corrigendi juris civilis) war ihm mit großer
Freiheit überlaſſen, eben ſo wie die Ergänzung des Civil-
rechts, wo dieſes unvollſtändig war (supplendi juris civi-
lis)
(aa). In der That alſo wurde die Fortbildung des
Rechts großentheils durch den Prätor beſorgt, aber durch
den jährlichen Wechſel der Prätoren bekam die Leitung
dieſes Geſchäfts doch wieder etwas Volksmäßiges, wie-
wohl mit ariſtokratiſchem Character.

Alles, was bisher über die allgemeine Anſicht der Rö-
mer von den Rechtsquellen geſagt worden iſt, kann nur
von der Zeit gelten, in welcher die Rechtswiſſenſchaft noch
einiges Leben erhielt. Nach dieſer Zeit, alſo von den
chriſtlichen Kaiſern an, änderte ſich die Anſicht von Grund
aus. Nun gab es als Rechtsquellen nur Leges und
Jus, d. h. kaiſerliche Edicte und wiſſenſchaftlich verarbei-

(aa) Der ſcheinbare Wider-
ſpruch ſolcher Stellen, die den
Stoff des Edicts auf Gewohn-
heit zurückführen (§ 25. t) mit
andern, welche das Edict dem
Gewohnheitsrecht entgegenſetzen,
wie Gajus III § 82: „neque
lege XII tab., neque praetoris
edicto, sed eo jure quod con-
sensu receptum est
und § 3—9
J. de j. nat. (1. 2.) löſt ſich ſchon
durch die Bemerkung, daß in
den Stellen dieſer letzten Art
nur dasjenige als Gewohnheits-
recht bezeichnet wird, was in die-
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[119/0175] §. 22. Ausſprüche der Römer über die Rechtsquellen im Allg. heitsrecht, nicht aus eigener Macht des Prätors, hernahm (§ 25. t). Dennoch würden wir irren, wenn wir darum den Prätor als bloßen Schreiber des Gewohnheitsrechts anſehen wollten. Der Stoff freylich war ihm durch Volksrecht gegeben; aber die daraus hervorgehende Fort- bildung des Rechts im Einzelnen zu entwickeln und durch- zuführen (corrigendi juris civilis) war ihm mit großer Freiheit überlaſſen, eben ſo wie die Ergänzung des Civil- rechts, wo dieſes unvollſtändig war (supplendi juris civi- lis) (aa). In der That alſo wurde die Fortbildung des Rechts großentheils durch den Prätor beſorgt, aber durch den jährlichen Wechſel der Prätoren bekam die Leitung dieſes Geſchäfts doch wieder etwas Volksmäßiges, wie- wohl mit ariſtokratiſchem Character. Alles, was bisher über die allgemeine Anſicht der Rö- mer von den Rechtsquellen geſagt worden iſt, kann nur von der Zeit gelten, in welcher die Rechtswiſſenſchaft noch einiges Leben erhielt. Nach dieſer Zeit, alſo von den chriſtlichen Kaiſern an, änderte ſich die Anſicht von Grund aus. Nun gab es als Rechtsquellen nur Leges und Jus, d. h. kaiſerliche Edicte und wiſſenſchaftlich verarbei- (aa) Der ſcheinbare Wider- ſpruch ſolcher Stellen, die den Stoff des Edicts auf Gewohn- heit zurückführen (§ 25. t) mit andern, welche das Edict dem Gewohnheitsrecht entgegenſetzen, wie Gajus III § 82: „neque lege XII tab., neque praetoris edicto, sed eo jure quod con- sensu receptum est und § 3—9 J. de j. nat. (1. 2.) löſt ſich ſchon durch die Bemerkung, daß in den Stellen dieſer letzten Art nur dasjenige als Gewohnheits- recht bezeichnet wird, was in die- ſer ſeiner urſprünglichen Geſtalt geblieben, und nicht in das Edict aufgenommen worden iſt.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/175>, abgerufen am 03.05.2024.