Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht ganz passende, Sprachgebrauch als Gewohn-
heitsrecht
bezeichnet, d. h. daß es erst durch Sitte
und Volksglaube, dann durch Jurisprudenz erzeugt
wird, überall also durch innere, stillwirkende Kräfte,
nicht durch die Willkühr eines Gesetzgebers. Dieser
Zustand ist bis jetzt nur historisch aufgestellt worden,
ob er löblich und wünschenswerth ist, wird die fol-
gende Untersuchung zeigen. Aber auch als historische
Ansicht bedarf dieser Zustand nach einiger näheren
Bestimmungen. Zuerst ist dabey eine ganz ungestörte
einheimische Entwicklung vorausgesetzt worden; der
Einfluß früher Berührung mit fremdem Rechte wird
weiter unten an dem Beyspiel von Deutschland klar
werden. Eben so wird sich zeigen, daß allerdings
ein theilweiser Einfluß der Gesetzgebung auf bürger-
liches Recht, bald löblich, bald tadelnswerth, statt
finden kann. Endlich finden sich große Verschieden-
heiten in den Gränzen der Gültigkeit und Anwen-
dung des Rechts. Wie nämlich dasselbe Volk sich in
viele Stämme verzweigt, Staaten sich vereinigen
oder zerfallen, so muß bald dasselbe Recht mehreren
unabhängigen Staaten gemein seyn, bald in ver-
schiedenen Theilen desselben Staates, neben gleichen
Grundzügen des Rechts, eine große Mannichfaltig-
keit einzelner Bestimmungen gelten.

Unter den Deutschen Juristen hat Hugo das
große Verdienst, in den meisten seiner Schriften die
herrschenden Ansichten gründlich bekämpft zu ha-

nicht ganz paſſende, Sprachgebrauch als Gewohn-
heitsrecht
bezeichnet, d. h. daß es erſt durch Sitte
und Volksglaube, dann durch Jurisprudenz erzeugt
wird, überall alſo durch innere, ſtillwirkende Kräfte,
nicht durch die Willkühr eines Geſetzgebers. Dieſer
Zuſtand iſt bis jetzt nur hiſtoriſch aufgeſtellt worden,
ob er löblich und wünſchenswerth iſt, wird die fol-
gende Unterſuchung zeigen. Aber auch als hiſtoriſche
Anſicht bedarf dieſer Zuſtand nach einiger näheren
Beſtimmungen. Zuerſt iſt dabey eine ganz ungeſtörte
einheimiſche Entwicklung vorausgeſetzt worden; der
Einfluß früher Berührung mit fremdem Rechte wird
weiter unten an dem Beyſpiel von Deutſchland klar
werden. Eben ſo wird ſich zeigen, daß allerdings
ein theilweiſer Einfluß der Geſetzgebung auf bürger-
liches Recht, bald löblich, bald tadelnswerth, ſtatt
finden kann. Endlich finden ſich große Verſchieden-
heiten in den Gränzen der Gültigkeit und Anwen-
dung des Rechts. Wie nämlich daſſelbe Volk ſich in
viele Stämme verzweigt, Staaten ſich vereinigen
oder zerfallen, ſo muß bald daſſelbe Recht mehreren
unabhängigen Staaten gemein ſeyn, bald in ver-
ſchiedenen Theilen deſſelben Staates, neben gleichen
Grundzügen des Rechts, eine große Mannichfaltig-
keit einzelner Beſtimmungen gelten.

Unter den Deutſchen Juriſten hat Hugo das
große Verdienſt, in den meiſten ſeiner Schriften die
herrſchenden Anſichten gründlich bekämpft zu ha-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0024" n="14"/>
nicht ganz pa&#x017F;&#x017F;ende, Sprachgebrauch als <hi rendition="#g">Gewohn-<lb/>
heitsrecht</hi> bezeichnet, d. h. daß es er&#x017F;t durch Sitte<lb/>
und Volksglaube, dann durch Jurisprudenz erzeugt<lb/>
wird, überall al&#x017F;o durch innere, &#x017F;tillwirkende Kräfte,<lb/>
nicht durch die Willkühr eines Ge&#x017F;etzgebers. Die&#x017F;er<lb/>
Zu&#x017F;tand i&#x017F;t bis jetzt nur hi&#x017F;tori&#x017F;ch aufge&#x017F;tellt worden,<lb/>
ob er löblich und wün&#x017F;chenswerth i&#x017F;t, wird die fol-<lb/>
gende Unter&#x017F;uchung zeigen. Aber auch als hi&#x017F;tori&#x017F;che<lb/>
An&#x017F;icht bedarf die&#x017F;er Zu&#x017F;tand nach einiger näheren<lb/>
Be&#x017F;timmungen. Zuer&#x017F;t i&#x017F;t dabey eine ganz unge&#x017F;törte<lb/>
einheimi&#x017F;che Entwicklung vorausge&#x017F;etzt worden; der<lb/>
Einfluß früher Berührung mit fremdem Rechte wird<lb/>
weiter unten an dem Bey&#x017F;piel von Deut&#x017F;chland klar<lb/>
werden. Eben &#x017F;o wird &#x017F;ich zeigen, daß allerdings<lb/>
ein theilwei&#x017F;er Einfluß der Ge&#x017F;etzgebung auf bürger-<lb/>
liches Recht, bald löblich, bald tadelnswerth, &#x017F;tatt<lb/>
finden kann. Endlich finden &#x017F;ich große Ver&#x017F;chieden-<lb/>
heiten in den Gränzen der Gültigkeit und Anwen-<lb/>
dung des Rechts. Wie nämlich da&#x017F;&#x017F;elbe Volk &#x017F;ich in<lb/>
viele Stämme verzweigt, Staaten &#x017F;ich vereinigen<lb/>
oder zerfallen, &#x017F;o muß bald da&#x017F;&#x017F;elbe Recht mehreren<lb/>
unabhängigen Staaten gemein &#x017F;eyn, bald in ver-<lb/>
&#x017F;chiedenen Theilen de&#x017F;&#x017F;elben Staates, neben gleichen<lb/>
Grundzügen des Rechts, eine große Mannichfaltig-<lb/>
keit einzelner Be&#x017F;timmungen gelten.</p><lb/>
        <p>Unter den Deut&#x017F;chen Juri&#x017F;ten hat <hi rendition="#g">Hugo</hi> das<lb/>
große Verdien&#x017F;t, in den mei&#x017F;ten &#x017F;einer Schriften die<lb/>
herr&#x017F;chenden An&#x017F;ichten gründlich bekämpft zu ha-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[14/0024] nicht ganz paſſende, Sprachgebrauch als Gewohn- heitsrecht bezeichnet, d. h. daß es erſt durch Sitte und Volksglaube, dann durch Jurisprudenz erzeugt wird, überall alſo durch innere, ſtillwirkende Kräfte, nicht durch die Willkühr eines Geſetzgebers. Dieſer Zuſtand iſt bis jetzt nur hiſtoriſch aufgeſtellt worden, ob er löblich und wünſchenswerth iſt, wird die fol- gende Unterſuchung zeigen. Aber auch als hiſtoriſche Anſicht bedarf dieſer Zuſtand nach einiger näheren Beſtimmungen. Zuerſt iſt dabey eine ganz ungeſtörte einheimiſche Entwicklung vorausgeſetzt worden; der Einfluß früher Berührung mit fremdem Rechte wird weiter unten an dem Beyſpiel von Deutſchland klar werden. Eben ſo wird ſich zeigen, daß allerdings ein theilweiſer Einfluß der Geſetzgebung auf bürger- liches Recht, bald löblich, bald tadelnswerth, ſtatt finden kann. Endlich finden ſich große Verſchieden- heiten in den Gränzen der Gültigkeit und Anwen- dung des Rechts. Wie nämlich daſſelbe Volk ſich in viele Stämme verzweigt, Staaten ſich vereinigen oder zerfallen, ſo muß bald daſſelbe Recht mehreren unabhängigen Staaten gemein ſeyn, bald in ver- ſchiedenen Theilen deſſelben Staates, neben gleichen Grundzügen des Rechts, eine große Mannichfaltig- keit einzelner Beſtimmungen gelten. Unter den Deutſchen Juriſten hat Hugo das große Verdienſt, in den meiſten ſeiner Schriften die herrſchenden Anſichten gründlich bekämpft zu ha-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/24
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/24>, abgerufen am 05.12.2024.