die Gesetzgebung auch mit solchen Controversen nicht zu bemühen, die zwar in unsern Lehrbüchern stehen, aber in der Praxis sehr selten vorkommen. Rechnet man beide Fälle ab, so bleibt allerdings noch man- ches zu thun übrig, allein der Code Napoleon, so jung er ist, kann sich darin schon recht gut neben dem Römischen Rechte sehen lassen. Diese Contro- versen indessen wären vielleicht besser in Form pro- visorischer Verfügungen oder Anweisungen an die Gerichte zu entscheiden, als durch eigentliche Gesetze, indem durch jene der möglichen besseren Ergründung durch Theorie weniger vorgegriffen würde. -- Das zweyte Object der Gesetzgebung wäre die Verzeich- nung des Gewohnheitsrechts, über welches auf diese Weise eine ähnliche Aufsicht wie in Rom durch das Edict ausgeübt würde. Man darf nicht glauben, daß so das bisher bestrittene Gesetzbuch doch wieder zugelassen würde, nur unter anderem Namen: der Unterschied betrifft vielmehr gerade das Wesen der Sache. Nämlich in dieses Gewohnheitsrecht wird nur dasjenige aufgenommen, was durch wirkliche Uebung entschieden ist, und dieses wird ohne Zwei- fel jetzt, da man diese Entscheidung vor sich hat, völlig begriffen: das Gesetzbuch dagegen ist genöthigt, über alles zu sprechen, auch wenn kein Trieb dazu da ist, und keine specielle Anschauung dazu fähig macht, blos in Erwartung künftiger möglicher Fälle. Daß über die Art der Ausführung dieser übrig blei-
die Geſetzgebung auch mit ſolchen Controverſen nicht zu bemühen, die zwar in unſern Lehrbüchern ſtehen, aber in der Praxis ſehr ſelten vorkommen. Rechnet man beide Fälle ab, ſo bleibt allerdings noch man- ches zu thun übrig, allein der Code Napoleon, ſo jung er iſt, kann ſich darin ſchon recht gut neben dem Römiſchen Rechte ſehen laſſen. Dieſe Contro- verſen indeſſen wären vielleicht beſſer in Form pro- viſoriſcher Verfügungen oder Anweiſungen an die Gerichte zu entſcheiden, als durch eigentliche Geſetze, indem durch jene der möglichen beſſeren Ergründung durch Theorie weniger vorgegriffen würde. — Das zweyte Object der Geſetzgebung wäre die Verzeich- nung des Gewohnheitsrechts, über welches auf dieſe Weiſe eine ähnliche Aufſicht wie in Rom durch das Edict ausgeübt würde. Man darf nicht glauben, daß ſo das bisher beſtrittene Geſetzbuch doch wieder zugelaſſen würde, nur unter anderem Namen: der Unterſchied betrifft vielmehr gerade das Weſen der Sache. Nämlich in dieſes Gewohnheitsrecht wird nur dasjenige aufgenommen, was durch wirkliche Uebung entſchieden iſt, und dieſes wird ohne Zwei- fel jetzt, da man dieſe Entſcheidung vor ſich hat, völlig begriffen: das Geſetzbuch dagegen iſt genöthigt, über alles zu ſprechen, auch wenn kein Trieb dazu da iſt, und keine ſpecielle Anſchauung dazu fähig macht, blos in Erwartung künftiger möglicher Fälle. Daß über die Art der Ausführung dieſer übrig blei-
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die Geſetzgebung auch mit ſolchen Controverſen nicht
zu bemühen, die zwar in unſern Lehrbüchern ſtehen,
aber in der Praxis ſehr ſelten vorkommen. Rechnet
man beide Fälle ab, ſo bleibt allerdings noch man-
ches zu thun übrig, allein der Code Napoleon, ſo
jung er iſt, kann ſich darin ſchon recht gut neben
dem Römiſchen Rechte ſehen laſſen. Dieſe Contro-
verſen indeſſen wären vielleicht beſſer in Form pro-
viſoriſcher Verfügungen oder Anweiſungen an die
Gerichte zu entſcheiden, als durch eigentliche Geſetze,
indem durch jene der möglichen beſſeren Ergründung
durch Theorie weniger vorgegriffen würde. — Das
zweyte Object der Geſetzgebung wäre die Verzeich-
nung des Gewohnheitsrechts, über welches auf dieſe
Weiſe eine ähnliche Aufſicht wie in Rom durch das
Edict ausgeübt würde. Man darf nicht glauben,
daß ſo das bisher beſtrittene Geſetzbuch doch wieder
zugelaſſen würde, nur unter anderem Namen: der
Unterſchied betrifft vielmehr gerade das Weſen der
Sache. Nämlich in dieſes Gewohnheitsrecht wird
nur dasjenige aufgenommen, was durch wirkliche
Uebung entſchieden iſt, und dieſes wird ohne Zwei-
fel jetzt, da man dieſe Entſcheidung vor ſich hat,
völlig begriffen: das Geſetzbuch dagegen iſt genöthigt,
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Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/142>, abgerufen am 17.07.2024.
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