Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.Von der Geistlichen Freud. kommene Freud: bald hernach redet er weiters seinen Mitgesellen an/ und sagt:Bruder Leo: wann schon unser einer so wohl predigen könnte/ daß er alle Heyden und Unglaubigen zum wahren Glauben bekchrete; so schreibe an; daß darinn auch nicht seye die vollkommene Freud. Nachdem solche neue und frembde Weiß zu predigen ungefehr zwey Meil Weegs lang gedauret; hat der offtgemeldte Bruder Leo den H. Franciscum gefragt/ worinn dann die wahre und vollkommene Freud bestehe? deme der H. Vatter also geant- wortet: wann wir gantz naß/ und mit Eyß über den gantzen Leib befrohren/ auch mit Koth zumahlen besudlet/ darzu mit Hunger und Durst geplaget/ zum Ort der H. Mariä von den Engeln werden kommen seyn/ und der Pförtner mit zörnigen und trötzigen Worten uns fragen wird: wer seyd ihr? wir aber antworten/ daß wir zwey seiner Brüder seyen: und er wird hergegen mit schmähligen Worten über uns außfahren und sagen: Jhr seyet meine Brüder nicht/ sondern seyet zwey Land-Streicher/ und stehlet den Armen ihre Allmosen ab: und wird uns nicht hinein/ sondern vor der Pforten im Schnee und Kälte/ in Hunger und Durst stehen lassen: wann er also mit uns umbgehen wird/ und wir so viele Abschlagungen und vielfältige Unbill ohne Murren und Verstöhrung deß Gemüts gedultig leyden/ und gedencken in aller Lieb und Demut/ daß dieser Pförtner uns recht nach unserm verdienten Lohn begrüsset habe; und daß Gott in de- nen Scheld-Worten dessen Zung regieret habe: und wann wir darzu noch für so holdseelige Auffnehmung dem Herrn danck sagen: so schreibe/ schreibe/ mein Bruder Leo/ schreibe: was? verzeichne in dein Täfflein: Allhier ist die wahre und vollkommene Freud. Wann wir nun wei- ters umb Herberg anhalten; der Pförtner aber herauß kombt/ und uns als ungestümme und freche Gesellen sehr scharff hernimbt und sagt: gehet fort ihr Schelmen/ und suchet ein Hospital oder einen anderen Ort/ ihr habt al- hier nichts zu gewarten. Ertragen wir dieses mit Freuden/ und nehmen alles mit hertzlicher Liebe an: Bruder Leo schreib: allhier ist die vollkom- mene Freud. Und wann wir in solchem elenden Stand bey einfallender Nacht weiters anklopffen/ ruffen und anhalten/ daß wir mögen eingelassen werden: er aber wird dadurch zu mehrerm Eyffer angereitzet/ und sagt: daß seynd mir wohl heillose und unverschämbte Gesellen; ich muß hinauß gehen/ und sie befriedigen: kombt hierauff mit einem Knöpächtigen Brü- gel auff uns zu/ grifft uns bey der Zugel und reisset uns in den heßlichen Koth und kalten Schnee zu Boden/ und schlagt uns dermassen mit dem X x 3
Von der Geiſtlichen Freud. kommene Freud: bald hernach redet er weiters ſeinen Mitgeſellen an/ und ſagt:Bruder Leo: wann ſchon unſer einer ſo wohl predigen koͤnnte/ daß er alle Heyden und Unglaubigen zum wahren Glauben bekchrete; ſo ſchreibe an; daß darinn auch nicht ſeye die vollkommene Freud. Nachdem ſolche neue und frembde Weiß zu predigen ungefehr zwey Meil Weegs lang gedauret; hat der offtgemeldte Bruder Leo den H. Franciſcum gefragt/ worinn dann die wahre und vollkommene Freud beſtehe? deme der H. Vatter alſo geant- wortet: wann wir gantz naß/ und mit Eyß uͤber den gantzen Leib befrohren/ auch mit Koth zumahlen beſudlet/ darzu mit Hunger und Durſt geplaget/ zum Ort der H. Mariaͤ von den Engeln werden kommen ſeyn/ und der Pfoͤrtner mit zoͤrnigen und troͤtzigen Worten uns fragen wird: wer ſeyd ihr? wir aber antworten/ daß wir zwey ſeiner Bruͤder ſeyen: und er wird hergegen mit ſchmaͤhligen Worten uͤber uns außfahren und ſagen: Jhr ſeyet meine Bruͤder nicht/ ſondern ſeyet zwey Land-Streicher/ und ſtehlet den Armen ihre Allmoſen ab: und wird uns nicht hinein/ ſondern vor der Pforten im Schnee und Kaͤlte/ in Hunger und Durſt ſtehen laſſen: wann er alſo mit uns umbgehen wird/ und wir ſo viele Abſchlagungen und vielfaͤltige Unbill ohne Murren und Verſtoͤhrung deß Gemuͤts gedultig leyden/ und gedencken in aller Lieb und Demut/ daß dieſer Pfoͤrtner uns recht nach unſerm verdienten Lohn begruͤſſet habe; und daß Gott in de- nen Scheld-Worten deſſen Zung regieret habe: und wann wir darzu noch fuͤr ſo holdſeelige Auffnehmung dem Herrn danck ſagen: ſo ſchreibe/ ſchreibe/ mein Bruder Leo/ ſchreibe: was? verzeichne in dein Taͤfflein: Allhier iſt die wahre und vollkommene Freud. Wann wir nun wei- ters umb Herberg anhalten; der Pfoͤrtner aber herauß kombt/ und uns als ungeſtuͤmme und freche Geſellen ſehr ſcharff hernimbt und ſagt: gehet fort ihr Schelmen/ und ſuchet ein Hoſpital oder einen anderen Ort/ ihr habt al- hier nichts zu gewarten. Ertragen wir dieſes mit Freuden/ und nehmen alles mit hertzlicher Liebe an: Bruder Leo ſchreib: allhier iſt die vollkom- mene Freud. Und wann wir in ſolchem elenden Stand bey einfallender Nacht weiters anklopffen/ ruffen und anhalten/ daß wir moͤgen eingelaſſen werden: er aber wird dadurch zu mehrerm Eyffer angereitzet/ und ſagt: daß ſeynd mir wohl heilloſe und unverſchaͤmbte Geſellen; ich muß hinauß gehen/ und ſie befriedigen: kombt hierauff mit einem Knoͤpaͤchtigen Bruͤ- gel auff uns zu/ grifft uns bey der Zugel und reiſſet uns in den heßlichen Koth und kalten Schnee zu Boden/ und ſchlagt uns dermaſſen mit dem X x 3
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Von der Geiſtlichen Freud.
kommene Freud: bald hernach redet er weiters ſeinen Mitgeſellen an/ und ſagt:
Bruder Leo: wann ſchon unſer einer ſo wohl predigen koͤnnte/ daß er alle
Heyden und Unglaubigen zum wahren Glauben bekchrete; ſo ſchreibe an;
daß darinn auch nicht ſeye die vollkommene Freud. Nachdem ſolche neue
und frembde Weiß zu predigen ungefehr zwey Meil Weegs lang gedauret;
hat der offtgemeldte Bruder Leo den H. Franciſcum gefragt/ worinn dann
die wahre und vollkommene Freud beſtehe? deme der H. Vatter alſo geant-
wortet: wann wir gantz naß/ und mit Eyß uͤber den gantzen Leib befrohren/
auch mit Koth zumahlen beſudlet/ darzu mit Hunger und Durſt geplaget/
zum Ort der H. Mariaͤ von den Engeln werden kommen ſeyn/ und der
Pfoͤrtner mit zoͤrnigen und troͤtzigen Worten uns fragen wird: wer
ſeyd ihr? wir aber antworten/ daß wir zwey ſeiner Bruͤder ſeyen: und
er wird hergegen mit ſchmaͤhligen Worten uͤber uns außfahren und ſagen:
Jhr ſeyet meine Bruͤder nicht/ ſondern ſeyet zwey Land-Streicher/ und
ſtehlet den Armen ihre Allmoſen ab: und wird uns nicht hinein/ ſondern
vor der Pforten im Schnee und Kaͤlte/ in Hunger und Durſt ſtehen laſſen:
wann er alſo mit uns umbgehen wird/ und wir ſo viele Abſchlagungen und
vielfaͤltige Unbill ohne Murren und Verſtoͤhrung deß Gemuͤts gedultig
leyden/ und gedencken in aller Lieb und Demut/ daß dieſer Pfoͤrtner uns
recht nach unſerm verdienten Lohn begruͤſſet habe; und daß Gott in de-
nen Scheld-Worten deſſen Zung regieret habe: und wann wir darzu noch
fuͤr ſo holdſeelige Auffnehmung dem Herrn danck ſagen: ſo ſchreibe/ ſchreibe/
mein Bruder Leo/ ſchreibe: was? verzeichne in dein Taͤfflein: Allhier
iſt die wahre und vollkommene Freud. Wann wir nun wei-
ters umb Herberg anhalten; der Pfoͤrtner aber herauß kombt/ und uns als
ungeſtuͤmme und freche Geſellen ſehr ſcharff hernimbt und ſagt: gehet fort
ihr Schelmen/ und ſuchet ein Hoſpital oder einen anderen Ort/ ihr habt al-
hier nichts zu gewarten. Ertragen wir dieſes mit Freuden/ und nehmen
alles mit hertzlicher Liebe an: Bruder Leo ſchreib: allhier iſt die vollkom-
mene Freud. Und wann wir in ſolchem elenden Stand bey einfallender
Nacht weiters anklopffen/ ruffen und anhalten/ daß wir moͤgen eingelaſſen
werden: er aber wird dadurch zu mehrerm Eyffer angereitzet/ und ſagt:
daß ſeynd mir wohl heilloſe und unverſchaͤmbte Geſellen; ich muß hinauß
gehen/ und ſie befriedigen: kombt hierauff mit einem Knoͤpaͤchtigen Bruͤ-
gel auff uns zu/ grifft uns bey der Zugel und reiſſet uns in den heßlichen
Koth und kalten Schnee zu Boden/ und ſchlagt uns dermaſſen mit
dem
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Zitationshilfe: | Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/377>, abgerufen am 16.07.2024. |