Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.Die Fünff und Zwantzigste Geistliche Lection der fromme Alt-Vatter Joannes/ daß er wider alles Grimmen und Anfalldeß Teuffels ein bewehrter Schild/ ein unüberwindliche Mauer und Brust- währ seye. Dann/ gleich wie ein Mensch/ sagt der H. Vatter/ wann er unter einem Baum sitzet/ und sehet/ daß er den heran kommenden wilden Thieren nicht entgehen könne; auff den Baum steiget/ und sich errettet; also muß ein Geistlicher/ wann er in seiner Cellen oder anderswo die böse Ge- dancken siehet herzu nahen/ durchs Gebett zu GOtt fliehen/ und sich be- schützen. Also hat sich geholffen der Kirchen-Lehrer Hieronymus/ welcher das grausame Ungewetter seiner Versuchungen; und denn darab erhalte- nen Sieg/ der GOtt-verlobten Jungfrauen Eustochium mit diesen Wor- ten schrifftlich erzehlet. O wie offt hab ich in der Wüsten/ und in der über- auß grossen Einöde/ so da durch die ungemeine Sonnen-Hitze gantz auß- gedörret/ und derhalben den München zu bewohnen sehr grausamblich vor- kommet/ wie offt sag ich/ hab ich vermeint/ ich wäre mttten unter den Freu- den zu Rom: ich sasse allein/ dieweilen meine Seel mit Bitterkeit erfüllet ware: meine Glieder gaben auß dem abscheußlichen Sack ein scheuliches Anse- hen; die auß gemergelte Haut meines Leibs ware den Mohren gleich worden: in Seufftzen und Weinen brachte ich meine Zeit zu; und wann mich bißwei- len gegen meinen Willen der Schlaff überfiele/ so würffe ich den magern und nur in Haut und Bein bestehenden Leib zur blosen Erde. Was soll ich von Speiß und Tranck melden/ indem auch die Krancke nur mit Wasser zu frieden seynd/ und für eine Geilheit gehalten wird/ wann man gekoch- te Speisen geniesset? Jn diesem meinem Kercker/ deme ich mich auß Forcht der Höllen eingeschlossen hatte; und der ich kein andere Gesellschafft/ als der Schorpionen und wilden Thieren Nachbarschafft hatte; ware den Cho- ren der tantzenden und singenden Mägdlein in meinen Gedancken zugegen. Das Angesicht ware vom Fasten erbleichet/ und das Hertz brennete von Begierden in so kaltem Leib. Es siedete vor mir/ als einem fast verstorbe- nen Menschen die alleinige Brunst der Geilheit. Da ich nun also aller Hülff enteussert ware/ legte ich mich zu den Füssen JEsu/ die ich mit mei- nen Zähren benetzete/ und mit meinen Haaren trucknete; und liesse nicht ab/ das widerspennige Fleisch durch wochentliches Fasten zu bezwingen. Jch schehme mich meiner Treulosigkeit mit nichten; sondern beklage viel- mehr/ daß ich nicht bin/ was ich gewesen bin. Jch erinnere mich/ daß ich Tag und Nacht aneinander geruffen/ und nicht ehender hab auffgehört/ auff meine Brust zu schlagen/ biß auff den Befelch deß HErrn das Un- gewit-
Die Fuͤnff und Zwantzigſte Geiſtliche Lection der fromme Alt-Vatter Joannes/ daß er wider alles Grimmen und Anfalldeß Teuffels ein bewehrter Schild/ ein unuͤberwindliche Mauer und Bruſt- waͤhr ſeye. Dann/ gleich wie ein Menſch/ ſagt der H. Vatter/ wann er unter einem Baum ſitzet/ und ſehet/ daß er den heran kommenden wilden Thieren nicht entgehen koͤnne; auff den Baum ſteiget/ und ſich errettet; alſo muß ein Geiſtlicher/ wann er in ſeiner Cellen oder anderswo die boͤſe Ge- dancken ſiehet herzu nahen/ durchs Gebett zu GOtt fliehen/ und ſich be- ſchuͤtzen. Alſo hat ſich geholffen der Kirchen-Lehrer Hieronymus/ welcher das grauſame Ungewetter ſeiner Verſuchungen; und denn darab erhalte- nen Sieg/ der GOtt-verlobten Jungfrauen Euſtochium mit dieſen Wor- ten ſchrifftlich erzehlet. O wie offt hab ich in der Wuͤſten/ und in der uͤber- auß groſſen Einoͤde/ ſo da durch die ungemeine Sonnen-Hitze gantz auß- gedoͤrret/ und derhalben den Muͤnchen zu bewohnen ſehr grauſamblich vor- kommet/ wie offt ſag ich/ hab ich vermeint/ ich waͤre mttten unter den Freu- den zu Rom: ich ſaſſe allein/ dieweilen meine Seel mit Bitterkeit erfuͤllet ware: meine Glieder gaben auß dem abſcheußlichẽ Sack ein ſcheuliches Anſe- hen; die auß gemergelte Haut meines Leibs ware den Mohren gleich worden: in Seufftzen und Weinen brachte ich meine Zeit zu; und wann mich bißwei- len gegen meinen Willen der Schlaff uͤberfiele/ ſo wuͤrffe ich den magern und nur in Haut und Bein beſtehenden Leib zur bloſen Erde. Was ſoll ich von Speiß und Tranck melden/ indem auch die Krancke nur mit Waſſer zu frieden ſeynd/ und fuͤr eine Geilheit gehalten wird/ wann man gekoch- te Speiſen genieſſet? Jn dieſem meinem Kercker/ deme ich mich auß Forcht der Hoͤllen eingeſchloſſen hatte; und der ich kein andere Geſellſchafft/ als der Schorpionen und wilden Thieren Nachbarſchafft hatte; ware den Cho- ren der tantzenden und ſingenden Maͤgdlein in meinen Gedancken zugegen. Das Angeſicht ware vom Faſten erbleichet/ und das Hertz brennete von Begierden in ſo kaltem Leib. Es ſiedete vor mir/ als einem faſt verſtorbe- nen Menſchen die alleinige Brunſt der Geilheit. Da ich nun alſo aller Huͤlff enteuſſert ware/ legte ich mich zu den Fuͤſſen JEſu/ die ich mit mei- nen Zaͤhren benetzete/ und mit meinen Haaren trucknete; und lieſſe nicht ab/ das widerſpennige Fleiſch durch wochentliches Faſten zu bezwingen. Jch ſchehme mich meiner Treuloſigkeit mit nichten; ſondern beklage viel- mehr/ daß ich nicht bin/ was ich geweſen bin. Jch erinnere mich/ daß ich Tag und Nacht aneinander geruffen/ und nicht ehender hab auffgehoͤrt/ auff meine Bruſt zu ſchlagen/ biß auff den Befelch deß HErrn das Un- gewit-
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Die Fuͤnff und Zwantzigſte Geiſtliche Lection
der fromme Alt-Vatter Joannes/ daß er wider alles Grimmen und Anfall
deß Teuffels ein bewehrter Schild/ ein unuͤberwindliche Mauer und Bruſt-
waͤhr ſeye. Dann/ gleich wie ein Menſch/ ſagt der H. Vatter/ wann er
unter einem Baum ſitzet/ und ſehet/ daß er den heran kommenden wilden
Thieren nicht entgehen koͤnne; auff den Baum ſteiget/ und ſich errettet; alſo
muß ein Geiſtlicher/ wann er in ſeiner Cellen oder anderswo die boͤſe Ge-
dancken ſiehet herzu nahen/ durchs Gebett zu GOtt fliehen/ und ſich be-
ſchuͤtzen. Alſo hat ſich geholffen der Kirchen-Lehrer Hieronymus/ welcher
das grauſame Ungewetter ſeiner Verſuchungen; und denn darab erhalte-
nen Sieg/ der GOtt-verlobten Jungfrauen Euſtochium mit dieſen Wor-
ten ſchrifftlich erzehlet. O wie offt hab ich in der Wuͤſten/ und in der uͤber-
auß groſſen Einoͤde/ ſo da durch die ungemeine Sonnen-Hitze gantz auß-
gedoͤrret/ und derhalben den Muͤnchen zu bewohnen ſehr grauſamblich vor-
kommet/ wie offt ſag ich/ hab ich vermeint/ ich waͤre mttten unter den Freu-
den zu Rom: ich ſaſſe allein/ dieweilen meine Seel mit Bitterkeit erfuͤllet
ware: meine Glieder gaben auß dem abſcheußlichẽ Sack ein ſcheuliches Anſe-
hen; die auß gemergelte Haut meines Leibs ware den Mohren gleich worden: in
Seufftzen und Weinen brachte ich meine Zeit zu; und wann mich bißwei-
len gegen meinen Willen der Schlaff uͤberfiele/ ſo wuͤrffe ich den magern
und nur in Haut und Bein beſtehenden Leib zur bloſen Erde. Was ſoll ich
von Speiß und Tranck melden/ indem auch die Krancke nur mit Waſſer
zu frieden ſeynd/ und fuͤr eine Geilheit gehalten wird/ wann man gekoch-
te Speiſen genieſſet? Jn dieſem meinem Kercker/ deme ich mich auß Forcht
der Hoͤllen eingeſchloſſen hatte; und der ich kein andere Geſellſchafft/ als
der Schorpionen und wilden Thieren Nachbarſchafft hatte; ware den Cho-
ren der tantzenden und ſingenden Maͤgdlein in meinen Gedancken zugegen.
Das Angeſicht ware vom Faſten erbleichet/ und das Hertz brennete von
Begierden in ſo kaltem Leib. Es ſiedete vor mir/ als einem faſt verſtorbe-
nen Menſchen die alleinige Brunſt der Geilheit. Da ich nun alſo aller
Huͤlff enteuſſert ware/ legte ich mich zu den Fuͤſſen JEſu/ die ich mit mei-
nen Zaͤhren benetzete/ und mit meinen Haaren trucknete; und lieſſe nicht
ab/ das widerſpennige Fleiſch durch wochentliches Faſten zu bezwingen.
Jch ſchehme mich meiner Treuloſigkeit mit nichten; ſondern beklage viel-
mehr/ daß ich nicht bin/ was ich geweſen bin. Jch erinnere mich/ daß ich
Tag und Nacht aneinander geruffen/ und nicht ehender hab auffgehoͤrt/
auff meine Bruſt zu ſchlagen/ biß auff den Befelch deß HErrn das Un-
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Zitationshilfe: | Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/346>, abgerufen am 04.07.2024. |