Sandrart, Joachim von: L’Academia Todesca. della Architectura, Scultura & Pittura: Oder Teutsche Academie der Edlen Bau- Bild- und Mahlerey-Künste. Bd. 2,3. Nürnberg, 1679.[Spaltenumbruch] was wir unsern Neben-Menschen schuldig seyn; und das Wort sehr genau beobachten/ daß/ wie wir wollen/ daß uns geschehe/ wir unserm Neben-Menschen ebenmässig auch thun mögen/ ist eine vollkommene Weisheit. Und hierzu zu gelangen/ thut dieses schwere Rähtsel/ oder die Erkändtnus sein selbst/ hoch vonnöhten: sintemal/ wegen das übelen Rahtens/ oder verfehlens dieses Rähtsels/ viel tausend durch Unverstand jämmerlich verschlungen werden: dieweil es ein Rähtsel/ so von wenigen getroffen werden kan; iedoch aber ein rechter Anfang der vollkommenen Weisheit/ ja/ an sich selbsten eine grosse Weisheit ist. Dannenhero die Staatsherren über gantz Griechenland/ oberhalb der Thür des berühmten Tempels des Apollo zu Delphis/ wie Plutarchus schreibet/ nicht die Odysseen/ oder Iliaden des Homerus/ noch die Gedichte des Pindarus/ sondern diese kurtze/ iedoch nachdenckliche Worin die Selbst-Erkändtnus bestehe. Sprüchlein: Erkenn dich selbsten. Nichts zu viel/ wie auch: Zusage machet Schuld/ und zwar/ mit guldnen Buchstaben/ schreiben lassen: als solche Worte/ die in ihrer Kürtze sehr viel in sich halten: absonderlich dieses: Erkenn dich selbsten! Welche Selbst-Erkäntnus nicht bestehet im Wissen/ wie man heisse/ wessen Sohn/ oder Geschlechts man sey/ sondern seine eigne Schwachheit/ Unvermögen/ Gebrechlichkeit/ Ungeschickligkeit/ Unmässigkeit/ Blösse/ Rachgierigkeit und andere Gebrechen mehr/ erkennen: darneben alle seine Neigungen und Begierden wol zu unterscheiden/ um die schädliche/ unbefugte und unehrliche unterzudrucken/ zu verabscheuen und zu meiden/ denen nutzbaren aber zu folgen/ und nachzukommen/ gleich wie ferner/ in der Fabel/ von der Dryope; also wird allhier auch in dem unwissenden Vattermord und der begangenen Blut-schande des Oedipus/ woraus sehr viel Unglücks und Jammers entstunde/ vorgebildet/ daß Gott auch an unwissenden und verborgenen Sünden/ oder Mishandlungen grosses Misfallen habe/ dahero der Mensch in allen Dingen verständig/ weislich und vorsichtig handeln solle. Dann dafern Oedipus nur seines unbekandten Vatters Alter/ gegen seine Jugend gehalten/ und weislich angesehen/ auch ihme in Demut aus dem Wege gewichen/ würde er in die greuliche Sünde des Vatter-mords nicht gerahten seyn. Im Fall er auch zuvor wol nachgeforscht hätte/ wessen Sohn er wäre/ solte er die Blutschande nicht begangen haben. Allein zuvor gethan/ wie man sagt/ und hernach erst bedacht/ hat manchen in groß Leid Lehrliche Auslegung von der Eriphyle. gebracht. Durch die Eriphyle wird angewiesen/ wie schädlich die Begierde des Reichthums sey; oder wie gefährlich der Geitz/ den Menschen verblende/ also daß dardurch oft solche Dinge geschehen/ die der Natur/ Liebe und gesunden Vernunfst schnur gerade zu wider sind. Ferner/ daß auch alle Boßheiten sich ihre eigene Ruhten binden/ oder die Bestraffungen und den verdienten Lohn mit sich bringen: um ihre Herren und Wercker darmit zu qvählen/ oder zu verderben. Wie Tithon in eine kleine Heuschrecke verwandelt/ haben wir vorhin bey der Aurora in etwas Anregung gethan. Bey dem Murren der Götter über die Verjüngung der Menschen/ darinn sie vom Jupiter gestillt worden/[Spaltenumbruch] Lehrliche Auslegung/ oder Anweisung von der Aiblis. ist insonderheit anzumercken die Krafft des Rechtens/ dem sich Jupiter selbsten verpflichtet bekennet. Die Blut-schändliche unziemende Liebe der Byblis zu ihrem Bruder dem Caunus/ als beyder Kinder des Miletus/ des Sohns Phoebus und der Cyanee/ einer Tochter des Kriepelhafften/ oder krum und lahmen Maeanders/ deutet an/ wie kräftig/ in der Jugend/ aus Unachtsam- und Ruchlosigkeit/ das Feuer der unkeuschen Begierden/ in einem Menschen/ entzündet werden könne/ also daß das Hertz dermassen verblendet werde/ daß es weder Blut-Freundschafft/ Göttliche Gesetze/ Zucht noch Erbarkeit im geringsten mehr ansiehet noch achtet: Worauf oftermalen eine jämmerliche Betrübnus/ und als ob alles in Thränen zerschmeltzen wolte/ zu erfolgen/ und das letzte Gerichte (die letzte Vergeltung) zu seyn pflege. Dannenhero die Jugend hierdurch soll gewarnet seyn/ ihre Lüste zu mässigen/ und nichts zu begehren/ oder zu thun/ dann was vor Gott und Menschen verantwortlich und ziemlich ist/ und mit Lobe bestehen kan. Die Fabel vom Lycus/ welcher von den Göttern begehren dörffen/ daß seine Gemahlin Telethusa einen Sohn gebären möchte/ ihr aber gebotten/ wann sie ein Mägdlein brächte/ es zu tödten/ zeiget des Menschen grosse Thorheit zur Gnüge an/ daß er nemlich zum offtern solche Dinge wünsche/ die ihm nicht allein übel anständig/ sondern auch höchst schädlich sind: indem er/ wider Gottes willen/ der Natur Gewalt anlegen wil/ wie unter andern/ die Offenbarung der Inachis/ oder Isis/ so mit ihrer Gesellschafft darwider zu rahten sich auch unterstanden/ klärlich ausweiset. Von der Isis solte ich zwar noch etwas sagen/ weil aber nichts lehrwürdiges zu finden/ als was wir bereits/ im ersten Buche/ unter dem Namen der Io/ angeführt haben/ als lassen wir es hierbey bewenden. In ietzt sagter Offenbarung/ war auch der/ so den Finger auf den Mund legte/ wordurch das Schweigen angedeutet wurde/ welchen zwar unser Poet nicht Vom Harpocrates und dem Nutzen des Schweigens/ hingegen auch dem Schaden des vielen Redens. nennet: Es wird aber dardurch angedeutet Harpocrates/ den man für den Gott den Schweigens/ Verhelens/ oder Verbergens der Heimligkeit zu halten pflag. Welches gleichfalls auch eine gute Sitte ist. Dann gleich wie ein Adler berstend/ und sich selbsten verderbend/ seine Jungen gebieret/ und darüber todt bleibet: also kan ein unvorsichtiger Plauderer/ durch seine eigene Worte/ sich selbsten in Schaden/ und in das äusserste Unglück bringen. Dannenhero der Römer Metellus/ als er von einem jungen Hauptmanne gefragt wurde/ was seine Meinung wäre zu thun in einem gewissen heimlichen Kriegs-Anschlage? sehr weislich antwortete: Wann ich wüste/ daß meinem Hemd am Leibe mein Vornehmen/ oder Heimligkeit bekandt wäre/ ich wolte es ausziehen/ ins Feuer werffen/ und verbrennen: dieweil er besorgte/ es möchte sein Vornehmen/ Liß Plutarchum von vielen Reden. ihm zum Schaden/ oder zur Schande/ entdeckt und offenbar werden. Dann die Worte sind; nach des Poeten Ausspruch/ geflügelt. Und gleich wie es nicht ein leichtes Werck/ einen Vogel wiederum zu bekommen/ wann er einem einmal aus der Hand entflogen ist: also kan man auch ein Wort nicht wieder in den Mund bringen/ nachdem es einmal [Spaltenumbruch] was wir unsern Neben-Menschen schuldig seyn; und das Wort sehr genau beobachten/ daß/ wie wir wollen/ daß uns geschehe/ wir unserm Neben-Menschen ebenmässig auch thun mögen/ ist eine vollkommene Weisheit. Und hierzu zu gelangen/ thut dieses schwere Rähtsel/ oder die Erkändtnus sein selbst/ hoch vonnöhten: sintemal/ wegen das übelen Rahtens/ oder verfehlens dieses Rähtsels/ viel tausend durch Unverstand jämmerlich verschlungen werden: dieweil es ein Rähtsel/ so von wenigen getroffen werden kan; iedoch aber ein rechter Anfang der vollkommenen Weisheit/ ja/ an sich selbsten eine grosse Weisheit ist. Dannenhero die Staatsherren über gantz Griechenland/ oberhalb der Thür des berühmten Tempels des Apollo zu Delphis/ wie Plutarchus schreibet/ nicht die Odysseen/ oder Iliaden des Homerus/ noch die Gedichte des Pindarus/ sondern diese kurtze/ iedoch nachdenckliche Worin die Selbst-Erkändtnus bestehe. Sprüchlein: Erkenn dich selbsten. Nichts zu viel/ wie auch: Zusage machet Schuld/ und zwar/ mit guldnen Buchstaben/ schreiben lassen: als solche Worte/ die in ihrer Kürtze sehr viel in sich halten: absonderlich dieses: Erkenn dich selbsten! Welche Selbst-Erkäntnus nicht bestehet im Wissen/ wie man heisse/ wessen Sohn/ oder Geschlechts man sey/ sondern seine eigne Schwachheit/ Unvermögen/ Gebrechlichkeit/ Ungeschickligkeit/ Unmässigkeit/ Blösse/ Rachgierigkeit und andere Gebrechen mehr/ erkennen: darneben alle seine Neigungen und Begierden wol zu unterscheiden/ um die schädliche/ unbefugte und unehrliche unterzudrucken/ zu verabscheuen und zu meiden/ denen nutzbaren aber zu folgen/ und nachzukommen/ gleich wie ferner/ in der Fabel/ von der Dryope; also wird allhier auch in dem unwissenden Vattermord und der begangenen Blut-schande des Oedipus/ woraus sehr viel Unglücks und Jammers entstunde/ vorgebildet/ daß Gott auch an unwissenden und verborgenen Sünden/ oder Mishandlungen grosses Misfallen habe/ dahero der Mensch in allen Dingen verständig/ weislich und vorsichtig handeln solle. Dann dafern Oedipus nur seines unbekandten Vatters Alter/ gegen seine Jugend gehalten/ und weislich angesehen/ auch ihme in Demut aus dem Wege gewichen/ würde er in die greuliche Sünde des Vatter-mords nicht gerahten seyn. Im Fall er auch zuvor wol nachgeforscht hätte/ wessen Sohn er wäre/ solte er die Blutschande nicht begangen haben. Allein zuvor gethan/ wie man sagt/ und hernach erst bedacht/ hat manchen in groß Leid Lehrliche Auslegung von der Eriphyle. gebracht. Durch die Eriphyle wird angewiesen/ wie schädlich die Begierde des Reichthums sey; oder wie gefährlich der Geitz/ den Menschen verblende/ also daß dardurch oft solche Dinge geschehen/ die der Natur/ Liebe und gesunden Vernunfst schnur gerade zu wider sind. Ferner/ daß auch alle Boßheiten sich ihre eigene Ruhten binden/ oder die Bestraffungen und den verdienten Lohn mit sich bringen: um ihre Herren und Wercker darmit zu qvählen/ oder zu verderben. Wie Tithon in eine kleine Heuschrecke verwandelt/ haben wir vorhin bey der Aurora in etwas Anregung gethan. Bey dem Murren der Götter über die Verjüngung der Menschen/ darinn sie vom Jupiter gestillt worden/[Spaltenumbruch] Lehrliche Auslegung/ oder Anweisung von der Aiblis. ist insonderheit anzumercken die Krafft des Rechtens/ dem sich Jupiter selbsten verpflichtet bekennet. Die Blut-schändliche unziemende Liebe der Byblis zu ihrem Bruder dem Caunus/ als beyder Kinder des Miletus/ des Sohns Phoebus und der Cyanee/ einer Tochter des Kriepelhafften/ oder krum und lahmen Maeanders/ deutet an/ wie kräftig/ in der Jugend/ aus Unachtsam- und Ruchlosigkeit/ das Feuer der unkeuschen Begierden/ in einem Menschen/ entzündet werden könne/ also daß das Hertz dermassen verblendet werde/ daß es weder Blut-Freundschafft/ Göttliche Gesetze/ Zucht noch Erbarkeit im geringsten mehr ansiehet noch achtet: Worauf oftermalen eine jämmerliche Betrübnus/ und als ob alles in Thränen zerschmeltzen wolte/ zu erfolgen/ und das letzte Gerichte (die letzte Vergeltung) zu seyn pflege. Dannenhero die Jugend hierdurch soll gewarnet seyn/ ihre Lüste zu mässigen/ und nichts zu begehren/ oder zu thun/ dann was vor Gott und Menschen verantwortlich und ziemlich ist/ und mit Lobe bestehen kan. Die Fabel vom Lycus/ welcher von den Göttern begehren dörffen/ daß seine Gemahlin Telethusa einen Sohn gebären möchte/ ihr aber gebotten/ wann sie ein Mägdlein brächte/ es zu tödten/ zeiget des Menschen grosse Thorheit zur Gnüge an/ daß er nemlich zum offtern solche Dinge wünsche/ die ihm nicht allein übel anständig/ sondern auch höchst schädlich sind: indem er/ wider Gottes willen/ der Natur Gewalt anlegen wil/ wie unter andern/ die Offenbarung der Inachis/ oder Isis/ so mit ihrer Gesellschafft darwider zu rahten sich auch unterstanden/ klärlich ausweiset. Von der Isis solte ich zwar noch etwas sagen/ weil aber nichts lehrwürdiges zu finden/ als was wir bereits/ im ersten Buche/ unter dem Namen der Io/ angeführt haben/ als lassen wir es hierbey bewenden. In ietzt sagter Offenbarung/ war auch der/ so den Finger auf den Mund legte/ wordurch das Schweigen angedeutet wurde/ welchen zwar unser Poet nicht Vom Harpocrates und dem Nutzen des Schweigens/ hingegen auch dem Schaden des vielen Redens. nennet: Es wird aber dardurch angedeutet Harpocrates/ den man für den Gott den Schweigens/ Verhelens/ oder Verbergens der Heimligkeit zu halten pflag. Welches gleichfalls auch eine gute Sitte ist. Dann gleich wie ein Adler berstend/ und sich selbsten verderbend/ seine Jungen gebieret/ und darüber todt bleibet: also kan ein unvorsichtiger Plauderer/ durch seine eigene Worte/ sich selbsten in Schaden/ und in das äusserste Unglück bringen. Dannenhero der Römer Metellus/ als er von einem jungen Hauptmanne gefragt wurde/ was seine Meinung wäre zu thun in einem gewissen heimlichen Kriegs-Anschlage? sehr weislich antwortete: Wann ich wüste/ daß meinem Hemd am Leibe mein Vornehmen/ oder Heimligkeit bekandt wäre/ ich wolte es ausziehen/ ins Feuer werffen/ und verbrennen: dieweil er besorgte/ es möchte sein Vornehmen/ Liß Plutarchum von vielen Reden. ihm zum Schaden/ oder zur Schande/ entdeckt und offenbar werden. Dann die Worte sind; nach des Poeten Ausspruch/ geflügelt. 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Welche Selbst-Erkäntnus nicht bestehet im Wissen/ wie man heisse/ wessen Sohn/ oder Geschlechts man sey/ sondern seine eigne Schwachheit/ Unvermögen/ Gebrechlichkeit/ Ungeschickligkeit/ Unmässigkeit/ Blösse/ Rachgierigkeit und andere Gebrechen mehr/ erkennen: darneben alle seine Neigungen und Begierden wol zu unterscheiden/ um die schädliche/ unbefugte und unehrliche unterzudrucken/ zu verabscheuen und zu meiden/ denen nutzbaren aber zu folgen/ und nachzukommen/ gleich wie ferner/ in der Fabel/ von der <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-1993">Dryope</persName>; also wird allhier auch in dem unwissenden Vattermord und der begangenen Blut-schande des <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-2491 http://d-nb.info/gnd/118589393 http://viaf.org/viaf/804472">Oedipus</persName>/ woraus sehr viel Unglücks und Jammers entstunde/ vorgebildet/ daß <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-204">Gott</persName> auch an unwissenden und verborgenen Sünden/ oder Mishandlungen grosses Misfallen habe/ dahero der Mensch in allen Dingen verständig/ weislich und vorsichtig handeln solle. 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Dannenhero die Jugend hierdurch soll gewarnet seyn/ ihre Lüste zu mässigen/ und nichts zu begehren/ oder zu thun/ dann was vor <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-204">Gott</persName> und Menschen verantwortlich und ziemlich ist/ und mit Lobe bestehen kan.</p> <p>Die Fabel vom <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-3637">Lycus</persName>/ welcher von den Göttern begehren dörffen/ daß seine Gemahlin <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-3638">Telethusa</persName> einen Sohn gebären möchte/ ihr aber gebotten/ wann sie ein Mägdlein brächte/ es zu tödten/ zeiget des Menschen grosse Thorheit zur Gnüge an/ daß er nemlich zum offtern solche Dinge wünsche/ die ihm nicht allein übel anständig/ sondern auch höchst schädlich sind: indem er/ wider <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-204">Gottes</persName> willen/ der Natur Gewalt anlegen wil/ wie unter andern/ die Offenbarung der <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-539 http://d-nb.info/gnd/124359906 http://viaf.org/viaf/35387480">Inachis</persName>/ oder <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-105 http://d-nb.info/gnd/118932640 http://viaf.org/viaf/67264837">Isis</persName>/ so mit ihrer Gesellschafft darwider zu rahten sich auch unterstanden/ klärlich ausweiset. 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Dann gleich wie ein Adler berstend/ und sich selbsten verderbend/ seine Jungen gebieret/ und darüber todt bleibet: also kan ein unvorsichtiger Plauderer/ durch seine eigene Worte/ sich selbsten in Schaden/ und in das äusserste Unglück bringen. Dannenhero der Römer <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-5632">Metellus</persName>/ als er von einem jungen Hauptmanne gefragt wurde/ was seine Meinung wäre zu thun in einem gewissen heimlichen Kriegs-Anschlage? sehr weislich antwortete: Wann ich wüste/ daß meinem Hemd am Leibe mein Vornehmen/ oder Heimligkeit bekandt wäre/ ich wolte es ausziehen/ ins Feuer werffen/ und verbrennen: dieweil er besorgte/ es möchte sein Vornehmen/ <note place="right">Liß <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-343 http://d-nb.info/gnd/118595237 http://viaf.org/viaf/32140876">Plutarchum</persName> von vielen Reden.</note> ihm zum Schaden/ oder zur Schande/ entdeckt und offenbar werden. Dann die Worte sind; nach des Poeten Ausspruch/ geflügelt. Und gleich wie es nicht ein leichtes Werck/ einen Vogel wiederum zu bekommen/ wann er einem einmal aus der Hand entflogen ist: also kan man auch ein Wort nicht wieder in den Mund bringen/ nachdem es einmal </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [[Metamorphosis, S. 115]/0291]
was wir unsern Neben-Menschen schuldig seyn; und das Wort sehr genau beobachten/ daß/ wie wir wollen/ daß uns geschehe/ wir unserm Neben-Menschen ebenmässig auch thun mögen/ ist eine vollkommene Weisheit. Und hierzu zu gelangen/ thut dieses schwere Rähtsel/ oder die Erkändtnus sein selbst/ hoch vonnöhten: sintemal/ wegen das übelen Rahtens/ oder verfehlens dieses Rähtsels/ viel tausend durch Unverstand jämmerlich verschlungen werden: dieweil es ein Rähtsel/ so von wenigen getroffen werden kan; iedoch aber ein rechter Anfang der vollkommenen Weisheit/ ja/ an sich selbsten eine grosse Weisheit ist. Dannenhero die Staatsherren über gantz Griechenland/ oberhalb der Thür des berühmten Tempels des Apollo zu Delphis/ wie Plutarchus schreibet/ nicht die Odysseen/ oder Iliaden des Homerus/ noch die Gedichte des Pindarus/ sondern diese kurtze/ iedoch nachdenckliche Sprüchlein: Erkenn dich selbsten. Nichts zu viel/ wie auch: Zusage machet Schuld/ und zwar/ mit guldnen Buchstaben/ schreiben lassen: als solche Worte/ die in ihrer Kürtze sehr viel in sich halten: absonderlich dieses: Erkenn dich selbsten! Welche Selbst-Erkäntnus nicht bestehet im Wissen/ wie man heisse/ wessen Sohn/ oder Geschlechts man sey/ sondern seine eigne Schwachheit/ Unvermögen/ Gebrechlichkeit/ Ungeschickligkeit/ Unmässigkeit/ Blösse/ Rachgierigkeit und andere Gebrechen mehr/ erkennen: darneben alle seine Neigungen und Begierden wol zu unterscheiden/ um die schädliche/ unbefugte und unehrliche unterzudrucken/ zu verabscheuen und zu meiden/ denen nutzbaren aber zu folgen/ und nachzukommen/ gleich wie ferner/ in der Fabel/ von der Dryope; also wird allhier auch in dem unwissenden Vattermord und der begangenen Blut-schande des Oedipus/ woraus sehr viel Unglücks und Jammers entstunde/ vorgebildet/ daß Gott auch an unwissenden und verborgenen Sünden/ oder Mishandlungen grosses Misfallen habe/ dahero der Mensch in allen Dingen verständig/ weislich und vorsichtig handeln solle. Dann dafern Oedipus nur seines unbekandten Vatters Alter/ gegen seine Jugend gehalten/ und weislich angesehen/ auch ihme in Demut aus dem Wege gewichen/ würde er in die greuliche Sünde des Vatter-mords nicht gerahten seyn. Im Fall er auch zuvor wol nachgeforscht hätte/ wessen Sohn er wäre/ solte er die Blutschande nicht begangen haben. Allein zuvor gethan/ wie man sagt/ und hernach erst bedacht/ hat manchen in groß Leid gebracht. Durch die Eriphyle wird angewiesen/ wie schädlich die Begierde des Reichthums sey; oder wie gefährlich der Geitz/ den Menschen verblende/ also daß dardurch oft solche Dinge geschehen/ die der Natur/ Liebe und gesunden Vernunfst schnur gerade zu wider sind. Ferner/ daß auch alle Boßheiten sich ihre eigene Ruhten binden/ oder die Bestraffungen und den verdienten Lohn mit sich bringen: um ihre Herren und Wercker darmit zu qvählen/ oder zu verderben. Wie Tithon in eine kleine Heuschrecke verwandelt/ haben wir vorhin bey der Aurora in etwas Anregung gethan. Bey dem Murren der Götter über die Verjüngung der Menschen/ darinn sie vom Jupiter gestillt worden/
ist insonderheit anzumercken die Krafft des Rechtens/ dem sich Jupiter selbsten verpflichtet bekennet. Die Blut-schändliche unziemende Liebe der Byblis zu ihrem Bruder dem Caunus/ als beyder Kinder des Miletus/ des Sohns Phoebus und der Cyanee/ einer Tochter des Kriepelhafften/ oder krum und lahmen Maeanders/ deutet an/ wie kräftig/ in der Jugend/ aus Unachtsam- und Ruchlosigkeit/ das Feuer der unkeuschen Begierden/ in einem Menschen/ entzündet werden könne/ also daß das Hertz dermassen verblendet werde/ daß es weder Blut-Freundschafft/ Göttliche Gesetze/ Zucht noch Erbarkeit im geringsten mehr ansiehet noch achtet: Worauf oftermalen eine jämmerliche Betrübnus/ und als ob alles in Thränen zerschmeltzen wolte/ zu erfolgen/ und das letzte Gerichte (die letzte Vergeltung) zu seyn pflege. Dannenhero die Jugend hierdurch soll gewarnet seyn/ ihre Lüste zu mässigen/ und nichts zu begehren/ oder zu thun/ dann was vor Gott und Menschen verantwortlich und ziemlich ist/ und mit Lobe bestehen kan.
Worin die Selbst-Erkändtnus bestehe.
Lehrliche Auslegung von der Eriphyle.
Lehrliche Auslegung/ oder Anweisung von der Aiblis. Die Fabel vom Lycus/ welcher von den Göttern begehren dörffen/ daß seine Gemahlin Telethusa einen Sohn gebären möchte/ ihr aber gebotten/ wann sie ein Mägdlein brächte/ es zu tödten/ zeiget des Menschen grosse Thorheit zur Gnüge an/ daß er nemlich zum offtern solche Dinge wünsche/ die ihm nicht allein übel anständig/ sondern auch höchst schädlich sind: indem er/ wider Gottes willen/ der Natur Gewalt anlegen wil/ wie unter andern/ die Offenbarung der Inachis/ oder Isis/ so mit ihrer Gesellschafft darwider zu rahten sich auch unterstanden/ klärlich ausweiset. Von der Isis solte ich zwar noch etwas sagen/ weil aber nichts lehrwürdiges zu finden/ als was wir bereits/ im ersten Buche/ unter dem Namen der Io/ angeführt haben/ als lassen wir es hierbey bewenden. In ietzt sagter Offenbarung/ war auch der/ so den Finger auf den Mund legte/ wordurch das Schweigen angedeutet wurde/ welchen zwar unser Poet nicht nennet: Es wird aber dardurch angedeutet Harpocrates/ den man für den Gott den Schweigens/ Verhelens/ oder Verbergens der Heimligkeit zu halten pflag. Welches gleichfalls auch eine gute Sitte ist. Dann gleich wie ein Adler berstend/ und sich selbsten verderbend/ seine Jungen gebieret/ und darüber todt bleibet: also kan ein unvorsichtiger Plauderer/ durch seine eigene Worte/ sich selbsten in Schaden/ und in das äusserste Unglück bringen. Dannenhero der Römer Metellus/ als er von einem jungen Hauptmanne gefragt wurde/ was seine Meinung wäre zu thun in einem gewissen heimlichen Kriegs-Anschlage? sehr weislich antwortete: Wann ich wüste/ daß meinem Hemd am Leibe mein Vornehmen/ oder Heimligkeit bekandt wäre/ ich wolte es ausziehen/ ins Feuer werffen/ und verbrennen: dieweil er besorgte/ es möchte sein Vornehmen/ ihm zum Schaden/ oder zur Schande/ entdeckt und offenbar werden. Dann die Worte sind; nach des Poeten Ausspruch/ geflügelt. Und gleich wie es nicht ein leichtes Werck/ einen Vogel wiederum zu bekommen/ wann er einem einmal aus der Hand entflogen ist: also kan man auch ein Wort nicht wieder in den Mund bringen/ nachdem es einmal
Vom Harpocrates und dem Nutzen des Schweigens/ hingegen auch dem Schaden des vielen Redens.
Liß Plutarchum von vielen Reden.
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Zitationshilfe: | Sandrart, Joachim von: L’Academia Todesca. della Architectura, Scultura & Pittura: Oder Teutsche Academie der Edlen Bau- Bild- und Mahlerey-Künste. Bd. 2,3. Nürnberg, 1679, S. [Metamorphosis, S. 115]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sandrart_academie0203_1679/291>, abgerufen am 27.07.2024. |