Sandrart, Joachim von: L’Academia Todesca. della Architectura, Scultura & Pittura: Oder Teutsche Academie der Edlen Bau- Bild- und Mahlerey-Künste. Bd. 1,1. Nürnberg, 1675.[Spaltenumbruch] können nachmals die Bilder/ mit einer sonderbaren gratia und Natürlichkeit/ kehren und wenden: welches oft vielen ermanglet/ und doch einem jeden notwendig ist/ der da verlanget/ so wol Bilder/ als Statuen/ nach dem Leben zu mahlen. Die Zeichnung geschihet/ mit Rötel oder Kreide. Es geschihet aber die Zeichnung auf Papier/ entweder durch den Rötel/ so ein zarter und linder Stein/ leicht zu schaben und zu schneiden/ auch in unserm Teutschen Gebürg zu finden ist; oder aber durch schwarze Kreide gleicher Gattung/ welche uns Holland überschicket. Andere nehmen bloß eine Feder/ und lassen dem weißen Stoff/ es sey gleich Papier oder Tuch/ seine Liechte und Helle. Es ist zwar schwer/ aber die gewöhnliche meisterhafte Manier/ daß man auf graulicht Papier mit schwarz schattiret/ und mit weiß erhöhet: deren sich die meisten gebrauchen. Wer nun/ nach solcher Zeichnung/ auf die Mauren mahlen will/ der nimt ein langes Rohr/ stecket oben eine Kohle darein/ und fasset es in die Wie der Umriß auf den Kalch zu tragen. rechte Hand/ in die linke aber seinen Carton oder Papier/ auf welchem der Abriß stehet: tritt also von ferne/ und träget solchen/ mit dem Kohl-Rohr/ von Stuck zu Stuck/ nach proportion und Maß seines gutgedunkens/ in geziemender Größe/ auf die naße Mauer; nach welchem Abriß er so fort sein Werk/ mit den gebührenden Farben/ auf solcher Mauer Kunstmäßig vollendet. Aus besagter Ubung an natürlichen Leibern/ entspringet die invention oder Erfindung/ welche anordnet/ wie man in großen Historien vier/ acht/ zehen/ fünfzehen/ zwanzig und mehr Figuren/ oder Von der Invention, worinn sie bestehe. ganze Heere in Bataglien und Feldschlachten/ stellen solle. Bey solcher Erfindung ist zu beobachten/ daß man die Bilder manierlich also ordne/ damit/ wann zum Exempel eine Person die andere mit Ehrerbietung zu grüßen hat/ sie im umwenden den andern nicht den Rucken kehre: und also ist auch in andern Stücken zu verfahren. Geschicht-Mahlerey/ Eine Historie soll erfüllet seyn mit vielen unterschiedlichen Dingen/ doch daß jedes auf den vorgesetzten Zweck ziele. Es mus auch der Figuren und was bey den Figuren zu beobachten. Amt/ Dienst und Verrichtung/ Jugend und Alter/ aus dem Gesicht/ Gebärden und Area zu spüren seyn. Dahero an einem Frauenbilde/ wie auch an einem Jüngling/ das Gesicht etwas lieblicher und zärter/ als an Männern/ zu bilden: die Alten/ müßen mit sittsamen und bedachtsamen Gebärden/ absonderlich so sie geistliche oder hohe Stands-Personen praesentiren/ gestaltet werden. Man hat auch allezeit zu beobachten/ damit jedes Ding mit dem ganzen Werk einstimme/ und also/ gleich in erster anschauung des Gemähls/ eine Harmonie zu spüren sey. Trotzig soll eine Furie, und freundlich eine Liebes-Göttin/ gebildet werden: damit man des Mahlers intention oder vorhaben/ ohn Beyfügung[Spaltenumbruch] einer Erklärung/ erkennen möge. Die Bilder/ so ernsthaft/ zornig und wild erscheinen sollen/ müßen eine freche Gestalt bekommen. Andere/ die man in die ferne ordnet/ müßen als flüchtig/ mit allgemach-dunklen und abnehmenden Farben beygebracht werden. In diesem aber bestehet hierbey die meiste Meisterheit Verlierung der hinter einander stehenden Bilder./ daß sie die nackende Bilder lebhaft und natürlich treffen/ ingleichen hinter einander also eintheilen/ und nach und nach zu- oder abnehmen machen/ daß sie zum theil herfür kommen/ die andere aber/ der Ordnung nach/ durch brechung der Farben/ nach der Kunst sich verlieren und entweichen. Wie aber solches anzugreiffen und zuweg zu bringen/ davon soll hernach/ bey den Oelfarben und anderer Die Perspectiv mus wol beobachtet werden. Orten/ ausführlicher Bericht geschehen. Es mus aber allhier/ wie in allem/ die Perspectiv künstlich beobachtet werden: daß nämlich erstens das vorgenommene Stuck/ nach proportion des Orts und der Regeln/ sich entweder ordentlich verliere/ oder sich herfür thue und ergrößere; Ferner daß alles/ nach Ordnung des Gebäues/ der Zimmer und Seulen/ klüglich und sauber eingerichtet/ lieblich in die Augen falle; und endlich/daß/ gleichwie das perspectivische Gebäu selber/ also auch die Höhe und Helle/ Gänze oder Härte der Farben/ wie oben gedacht/ sich gemächlich verliere. Und aus solcher guten Eintheilung/ wird des Künstlers Verstand geprüfet. Der Mahler soll oft die Manieren von allerley Personen ab- und in ein Büchlein zusammen zeichnen.Nachdem man auch die Perspectiv wol begriffen/ und aller Dingen Gliedmaßen und Leiber in sein Gedächtnus eingedrucket/ so kan der Mahler zum öftern unter die Leute Lustwandlen/ wo unterschiedliche Standspersonen anzutreffen und zu sehen sind. Da beobachte er dann ihre Art/ und Manier im arbeiten/ reden/ handlen/ zanken/ lachen/ streiten und schlagen/ was für Gebärden sowol sie/ als die umstehende Zuseher/ führen. Dieses alles zeichne er kürzlich ohne Scheu in sein hierzu bereitetes Büchlein / und verwahre solches/ zu seinem Gebrauch/ wol und fleissig. Dann es sind soviel und unterschiedliche actiones und Posturen der Menschen/ daß es wol unmüglich/ sie alle in frischer und reiffer Gedächtnis zu behalten welche hingegen/ durch aufschlagung ermeldtes Büchleins/ allemal wieder zu gedächtnis geruffen und angebracht werden können. Kunst und Fleiß müssen glücklich zusammen spielen.Es sollen aber/ in aller Kunst und Fleiß/ der Verstand und die Hand des Künstlers/ glücklich und klüglich zusammen spielen/ und die Lieblichkeit/ sich also zur Vollkommenheit gesellen/ daß die Spectatores, nicht zur Furcht und Unlust/ sondern vielmehr zu herzlicher Freude über der perfection und Glücklichkeit des Meisters/ beweget werden. Es soll auch ein vollkommenes Werk/ mehr lebendig/ als gemahlet/ scheinen. [Abbildung]
[Spaltenumbruch] können nachmals die Bilder/ mit einer sonderbaren gratia und Natürlichkeit/ kehren und wenden: welches oft vielen ermanglet/ und doch einem jeden notwendig ist/ der da verlanget/ so wol Bilder/ als Statuen/ nach dem Leben zu mahlen. Die Zeichnung geschihet/ mit Rötel oder Kreide. Es geschihet aber die Zeichnung auf Papier/ entweder durch den Rötel/ so ein zarter und linder Stein/ leicht zu schaben und zu schneiden/ auch in unserm Teutschen Gebürg zu finden ist; oder aber durch schwarze Kreide gleicher Gattung/ welche uns Holland überschicket. Andere nehmen bloß eine Feder/ und lassen dem weißen Stoff/ es sey gleich Papier oder Tuch/ seine Liechte und Helle. Es ist zwar schwer/ aber die gewöhnliche meisterhafte Manier/ daß man auf graulicht Papier mit schwarz schattiret/ und mit weiß erhöhet: deren sich die meisten gebrauchen. Wer nun/ nach solcher Zeichnung/ auf die Mauren mahlen will/ der nimt ein langes Rohr/ stecket oben eine Kohle darein/ und fasset es in die Wie der Umriß auf den Kalch zu tragen. rechte Hand/ in die linke aber seinen Carton oder Papier/ auf welchem der Abriß stehet: tritt also von ferne/ und träget solchen/ mit dem Kohl-Rohr/ von Stuck zu Stuck/ nach proportion und Maß seines gutgedunkens/ in geziemender Größe/ auf die naße Mauer; nach welchem Abriß er so fort sein Werk/ mit den gebührenden Farben/ auf solcher Mauer Kunstmäßig vollendet. Aus besagter Ubung an natürlichen Leibern/ entspringet die invention oder Erfindung/ welche anordnet/ wie man in großen Historien vier/ acht/ zehen/ fünfzehen/ zwanzig und mehr Figuren/ oder Von der Invention, worinn sie bestehe. ganze Heere in Bataglien und Feldschlachten/ stellen solle. Bey solcher Erfindung ist zu beobachten/ daß man die Bilder manierlich also ordne/ damit/ wann zum Exempel eine Person die andere mit Ehrerbietung zu grüßen hat/ sie im umwenden den andern nicht den Rucken kehre: und also ist auch in andern Stücken zu verfahren. Geschicht-Mahlerey/ Eine Historie soll erfüllet seyn mit vielen unterschiedlichen Dingen/ doch daß jedes auf den vorgesetzten Zweck ziele. Es mus auch der Figuren und was bey den Figuren zu beobachten. Amt/ Dienst und Verrichtung/ Jugend und Alter/ aus dem Gesicht/ Gebärden und Area zu spüren seyn. Dahero an einem Frauenbilde/ wie auch an einem Jüngling/ das Gesicht etwas lieblicher und zärter/ als an Männern/ zu bilden: die Alten/ müßen mit sittsamen und bedachtsamen Gebärden/ absonderlich so sie geistliche oder hohe Stands-Personen praesentiren/ gestaltet werden. Man hat auch allezeit zu beobachten/ damit jedes Ding mit dem ganzen Werk einstimme/ und also/ gleich in erster anschauung des Gemähls/ eine Harmonie zu spüren sey. Trotzig soll eine Furie, und freundlich eine Liebes-Göttin/ gebildet werden: damit man des Mahlers intention oder vorhaben/ ohn Beyfügung[Spaltenumbruch] einer Erklärung/ erkennen möge. Die Bilder/ so ernsthaft/ zornig und wild erscheinen sollen/ müßen eine freche Gestalt bekommen. Andere/ die man in die ferne ordnet/ müßen als flüchtig/ mit allgemach-dunklen und abnehmenden Farben beygebracht werden. In diesem aber bestehet hierbey die meiste Meisterheit Verlierung der hinter einander stehenden Bilder./ daß sie die nackende Bilder lebhaft und natürlich treffen/ ingleichen hinter einander also eintheilen/ und nach und nach zu- oder abnehmen machen/ daß sie zum theil herfür kommen/ die andere aber/ der Ordnung nach/ durch brechung der Farben/ nach der Kunst sich verlieren und entweichen. Wie aber solches anzugreiffen und zuweg zu bringen/ davon soll hernach/ bey den Oelfarben und anderer Die Perspectiv mus wol beobachtet werden. Orten/ ausführlicher Bericht geschehen. Es mus aber allhier/ wie in allem/ die Perspectiv künstlich beobachtet werden: daß nämlich erstens das vorgenommene Stuck/ nach proportion des Orts und der Regeln/ sich entweder ordentlich verliere/ oder sich herfür thue und ergrößere; Ferner daß alles/ nach Ordnung des Gebäues/ der Zimmer und Seulen/ klüglich und sauber eingerichtet/ lieblich in die Augen falle; und endlich/daß/ gleichwie das perspectivische Gebäu selber/ also auch die Höhe und Helle/ Gänze oder Härte der Farben/ wie oben gedacht/ sich gemächlich verliere. Und aus solcher guten Eintheilung/ wird des Künstlers Verstand geprüfet. Der Mahler soll oft die Manieren von allerley Personen ab- und in ein Büchlein zusammen zeichnen.Nachdem man auch die Perspectiv wol begriffen/ und aller Dingen Gliedmaßen und Leiber in sein Gedächtnus eingedrucket/ so kan der Mahler zum öftern unter die Leute Lustwandlen/ wo unterschiedliche Standspersonen anzutreffen und zu sehen sind. Da beobachte er dann ihre Art/ und Manier im arbeiten/ reden/ handlen/ zanken/ lachen/ streiten und schlagen/ was für Gebärden sowol sie/ als die umstehende Zuseher/ führen. Dieses alles zeichne er kürzlich ohne Scheu in sein hierzu bereitetes Büchlein / und verwahre solches/ zu seinem Gebrauch/ wol und fleissig. Dann es sind soviel und unterschiedliche actiones und Posturen der Menschen/ daß es wol unmüglich/ sie alle in frischer und reiffer Gedächtnis zu behalten welche hingegen/ durch aufschlagung ermeldtes Büchleins/ allemal wieder zu gedächtnis geruffen und angebracht werden können. Kunst und Fleiß müssen glücklich zusammen spielen.Es sollen aber/ in aller Kunst und Fleiß/ der Verstand und die Hand des Künstlers/ glücklich und klüglich zusammen spielen/ und die Lieblichkeit/ sich also zur Vollkommenheit gesellen/ daß die Spectatores, nicht zur Furcht und Unlust/ sondern vielmehr zu herzlicher Freude über der perfection und Glücklichkeit des Meisters/ beweget werden. Es soll auch ein vollkommenes Werk/ mehr lebendig/ als gemahlet/ scheinen. [Abbildung]
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Andere nehmen bloß eine Feder/ und lassen dem weißen Stoff/ es sey gleich Papier oder Tuch/ seine Liechte und Helle. Es ist zwar schwer/ aber die gewöhnliche meisterhafte Manier/ daß man auf graulicht Papier mit schwarz schattiret/ und mit weiß erhöhet: deren sich die meisten gebrauchen.</p> <p xml:id="p149.2">Wer nun/ nach solcher Zeichnung/ auf die Mauren mahlen will/ der nimt ein langes Rohr/ stecket oben eine Kohle darein/ und fasset es in die <note place="right">Wie der Umriß auf den Kalch zu tragen.</note> rechte Hand/ in die linke aber seinen <hi rendition="#aq">Carton</hi> oder Papier/ auf welchem der Abriß stehet: tritt also von ferne/ und träget solchen/ mit dem Kohl-Rohr/ von Stuck zu Stuck/ nach <hi rendition="#aq">proportion</hi> und Maß seines gutgedunkens/ in geziemender Größe/ auf die naße Mauer; nach welchem Abriß er so fort sein Werk/ mit den gebührenden Farben/ auf solcher Mauer Kunstmäßig vollendet.</p> <p xml:id="p149.3">Aus besagter Ubung an natürlichen Leibern/ entspringet die <hi rendition="#aq">invention</hi> oder Erfindung/ welche anordnet/ wie man in großen Historien vier/ acht/ zehen/ fünfzehen/ zwanzig und mehr Figuren/ oder <note place="right">Von der <hi rendition="#aq">Invention,</hi> worinn sie bestehe.</note> ganze Heere in <hi rendition="#aq">Batagli</hi>en und Feldschlachten/ stellen solle. Bey solcher Erfindung ist zu beobachten/ daß man die Bilder manierlich also ordne/ damit/ wann zum Exempel eine Person die andere mit Ehrerbietung zu grüßen hat/ sie im umwenden den andern nicht den Rucken kehre: und also ist auch in andern Stücken zu verfahren.</p> <p xml:id="p149.4"><note place="right">Geschicht-Mahlerey/</note> Eine Historie soll erfüllet seyn mit vielen unterschiedlichen Dingen/ doch daß jedes auf den vorgesetzten Zweck ziele. Es mus auch der Figuren <note place="right">und was bey den Figuren zu beobachten.</note> Amt/ Dienst und Verrichtung/ Jugend und Alter/ aus dem Gesicht/ Gebärden und <hi rendition="#aq">Area</hi> zu spüren seyn. Dahero an einem Frauenbilde/ wie auch an einem Jüngling/ das Gesicht etwas lieblicher und zärter/ als an Männern/ zu bilden: die Alten/ müßen mit sittsamen und bedachtsamen Gebärden/ absonderlich so sie geistliche oder hohe Stands-Personen <hi rendition="#aq">praesenti</hi>ren/ gestaltet werden. Man hat auch allezeit zu beobachten/ damit jedes Ding mit dem ganzen Werk einstimme/ und also/ gleich in erster anschauung des Gemähls/ eine <hi rendition="#aq">Harmonie</hi> zu spüren sey. Trotzig soll eine <hi rendition="#aq">Furie,</hi> und freundlich eine Liebes-Göttin/ gebildet werden: damit man des Mahlers <hi rendition="#aq">intention</hi> oder vorhaben/ ohn Beyfügung<cb/> einer Erklärung/ erkennen möge. Die Bilder/ so ernsthaft/ zornig und wild erscheinen sollen/ müßen eine freche Gestalt bekommen. Andere/ die man in die ferne ordnet/ müßen als flüchtig/ mit allgemach-dunklen und abnehmenden Farben beygebracht werden.</p> <p xml:id="p149.5">In diesem aber bestehet hierbey die meiste Meisterheit <note place="right">Verlierung der hinter einander stehenden Bilder.</note>/ daß sie die nackende Bilder lebhaft und natürlich treffen/ ingleichen hinter einander also eintheilen/ und nach und nach zu- oder abnehmen machen/ daß sie zum theil herfür kommen/ die andere aber/ der Ordnung nach/ durch brechung der Farben/ nach der Kunst sich verlieren und entweichen. Wie aber solches anzugreiffen und zuweg zu bringen/ davon soll hernach/ bey den Oelfarben und anderer <note place="right">Die <hi rendition="#aq">Perspectiv</hi> mus wol beobachtet werden.</note> Orten/ ausführlicher Bericht geschehen. Es mus aber allhier/ wie in allem/ die <hi rendition="#aq">Perspectiv</hi> künstlich beobachtet werden: daß nämlich erstens das vorgenommene Stuck/ nach <hi rendition="#aq">proportion</hi> des Orts und der Regeln/ sich entweder ordentlich verliere/ oder sich herfür thue und ergrößere; Ferner daß alles/ nach Ordnung des Gebäues/ der Zimmer und Seulen/ klüglich und sauber eingerichtet/ lieblich in die Augen falle; und endlich/daß/ gleichwie das <hi rendition="#aq">perspectiv</hi>ische Gebäu selber/ also auch die Höhe und Helle/ Gänze oder Härte der Farben/ wie oben gedacht/ sich gemächlich verliere. 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Dann es sind soviel und unterschiedliche <hi rendition="#aq">actiones</hi> und Posturen der Menschen/ daß es wol unmüglich/ sie alle in frischer und reiffer Gedächtnis zu behalten welche hingegen/ durch aufschlagung ermeldtes Büchleins/ allemal wieder zu gedächtnis geruffen und angebracht werden können.</p> <p xml:id="p149.7"><note place="right">Kunst und Fleiß müssen glücklich zusammen spielen.</note>Es sollen aber/ in aller Kunst und Fleiß/ der Verstand und die Hand des Künstlers/ glücklich und klüglich zusammen spielen/ und die Lieblichkeit/ sich also zur Vollkommenheit gesellen/ daß die <hi rendition="#aq">Spectatores,</hi> nicht zur Furcht und Unlust/ sondern vielmehr zu herzlicher Freude über der <hi rendition="#aq">perfection</hi> und Glücklichkeit des Meisters/ beweget werden. 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können nachmals die Bilder/ mit einer sonderbaren gratia und Natürlichkeit/ kehren und wenden: welches oft vielen ermanglet/ und doch einem jeden notwendig ist/ der da verlanget/ so wol Bilder/ als Statuen/ nach dem Leben zu mahlen.
Es geschihet aber die Zeichnung auf Papier/ entweder durch den Rötel/ so ein zarter und linder Stein/ leicht zu schaben und zu schneiden/ auch in unserm Teutschen Gebürg zu finden ist; oder aber durch schwarze Kreide gleicher Gattung/ welche uns Holland überschicket. Andere nehmen bloß eine Feder/ und lassen dem weißen Stoff/ es sey gleich Papier oder Tuch/ seine Liechte und Helle. Es ist zwar schwer/ aber die gewöhnliche meisterhafte Manier/ daß man auf graulicht Papier mit schwarz schattiret/ und mit weiß erhöhet: deren sich die meisten gebrauchen.
Die Zeichnung geschihet/ mit Rötel oder Kreide.Wer nun/ nach solcher Zeichnung/ auf die Mauren mahlen will/ der nimt ein langes Rohr/ stecket oben eine Kohle darein/ und fasset es in die rechte Hand/ in die linke aber seinen Carton oder Papier/ auf welchem der Abriß stehet: tritt also von ferne/ und träget solchen/ mit dem Kohl-Rohr/ von Stuck zu Stuck/ nach proportion und Maß seines gutgedunkens/ in geziemender Größe/ auf die naße Mauer; nach welchem Abriß er so fort sein Werk/ mit den gebührenden Farben/ auf solcher Mauer Kunstmäßig vollendet.
Wie der Umriß auf den Kalch zu tragen.Aus besagter Ubung an natürlichen Leibern/ entspringet die invention oder Erfindung/ welche anordnet/ wie man in großen Historien vier/ acht/ zehen/ fünfzehen/ zwanzig und mehr Figuren/ oder ganze Heere in Bataglien und Feldschlachten/ stellen solle. Bey solcher Erfindung ist zu beobachten/ daß man die Bilder manierlich also ordne/ damit/ wann zum Exempel eine Person die andere mit Ehrerbietung zu grüßen hat/ sie im umwenden den andern nicht den Rucken kehre: und also ist auch in andern Stücken zu verfahren.
Von der Invention, worinn sie bestehe. Eine Historie soll erfüllet seyn mit vielen unterschiedlichen Dingen/ doch daß jedes auf den vorgesetzten Zweck ziele. Es mus auch der Figuren Amt/ Dienst und Verrichtung/ Jugend und Alter/ aus dem Gesicht/ Gebärden und Area zu spüren seyn. Dahero an einem Frauenbilde/ wie auch an einem Jüngling/ das Gesicht etwas lieblicher und zärter/ als an Männern/ zu bilden: die Alten/ müßen mit sittsamen und bedachtsamen Gebärden/ absonderlich so sie geistliche oder hohe Stands-Personen praesentiren/ gestaltet werden. Man hat auch allezeit zu beobachten/ damit jedes Ding mit dem ganzen Werk einstimme/ und also/ gleich in erster anschauung des Gemähls/ eine Harmonie zu spüren sey. Trotzig soll eine Furie, und freundlich eine Liebes-Göttin/ gebildet werden: damit man des Mahlers intention oder vorhaben/ ohn Beyfügung
einer Erklärung/ erkennen möge. Die Bilder/ so ernsthaft/ zornig und wild erscheinen sollen/ müßen eine freche Gestalt bekommen. Andere/ die man in die ferne ordnet/ müßen als flüchtig/ mit allgemach-dunklen und abnehmenden Farben beygebracht werden.
Geschicht-Mahlerey/
und was bey den Figuren zu beobachten.In diesem aber bestehet hierbey die meiste Meisterheit / daß sie die nackende Bilder lebhaft und natürlich treffen/ ingleichen hinter einander also eintheilen/ und nach und nach zu- oder abnehmen machen/ daß sie zum theil herfür kommen/ die andere aber/ der Ordnung nach/ durch brechung der Farben/ nach der Kunst sich verlieren und entweichen. Wie aber solches anzugreiffen und zuweg zu bringen/ davon soll hernach/ bey den Oelfarben und anderer Orten/ ausführlicher Bericht geschehen. Es mus aber allhier/ wie in allem/ die Perspectiv künstlich beobachtet werden: daß nämlich erstens das vorgenommene Stuck/ nach proportion des Orts und der Regeln/ sich entweder ordentlich verliere/ oder sich herfür thue und ergrößere; Ferner daß alles/ nach Ordnung des Gebäues/ der Zimmer und Seulen/ klüglich und sauber eingerichtet/ lieblich in die Augen falle; und endlich/daß/ gleichwie das perspectivische Gebäu selber/ also auch die Höhe und Helle/ Gänze oder Härte der Farben/ wie oben gedacht/ sich gemächlich verliere. Und aus solcher guten Eintheilung/ wird des Künstlers Verstand geprüfet.
Verlierung der hinter einander stehenden Bilder.
Die Perspectiv mus wol beobachtet werden.Nachdem man auch die Perspectiv wol begriffen/ und aller Dingen Gliedmaßen und Leiber in sein Gedächtnus eingedrucket/ so kan der Mahler zum öftern unter die Leute Lustwandlen/ wo unterschiedliche Standspersonen anzutreffen und zu sehen sind. Da beobachte er dann ihre Art/ und Manier im arbeiten/ reden/ handlen/ zanken/ lachen/ streiten und schlagen/ was für Gebärden sowol sie/ als die umstehende Zuseher/ führen. Dieses alles zeichne er kürzlich ohne Scheu in sein hierzu bereitetes Büchlein / und verwahre solches/ zu seinem Gebrauch/ wol und fleissig. Dann es sind soviel und unterschiedliche actiones und Posturen der Menschen/ daß es wol unmüglich/ sie alle in frischer und reiffer Gedächtnis zu behalten welche hingegen/ durch aufschlagung ermeldtes Büchleins/ allemal wieder zu gedächtnis geruffen und angebracht werden können.
Der Mahler soll oft die Manieren von allerley Personen ab- und in ein Büchlein zusammen zeichnen.Es sollen aber/ in aller Kunst und Fleiß/ der Verstand und die Hand des Künstlers/ glücklich und klüglich zusammen spielen/ und die Lieblichkeit/ sich also zur Vollkommenheit gesellen/ daß die Spectatores, nicht zur Furcht und Unlust/ sondern vielmehr zu herzlicher Freude über der perfection und Glücklichkeit des Meisters/ beweget werden. Es soll auch ein vollkommenes Werk/ mehr lebendig/ als gemahlet/ scheinen.
Kunst und Fleiß müssen glücklich zusammen spielen.
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