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Sanders, Daniel: Brief an Karl Gutzkow. Altstrelitz, 16. Oktober 1875.

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kann; aber um gegen das Sturmrennen der "phonetischen Schule" durchzu[-]
dringen, die - nur nach der entgegengesetzen Richtung - auch die geschicht-
liche Entwicklung der neuhochdeutschen Schrift und Sprache so wenig
Rücksicht nimmt, wie die rückschrittliche, die sich gern und geflissentlich
als die "historische" zu bezeichnen liebte,- um gegen die phonetische
Schule durchzudringen, die unsere bestrebende Schriftweise, die deutschen
Buchstaben, die großen Anfangsbuchstaben für die Hauptwörter und alle
Verdeutlichungs- und Unterscheidungszeichen gern mit einem Mal
über den Haufen werfen möchte und jedenfalls alles Feststehende
möglichst zu erschüttern sucht, dazu bedarf ich der Unterstützung
gerade von Seiten der leitenden Schriftsteller wie Sie. - Prof[.]
von Holtzendorff schreibt mir ganz richtig neulich:

"Mir scheint, daß die deutsche Presse den Beruf hat, für
diese Angelegenheit der Rechtschreibung thatkräftig einzustehen. Die
Schulmeister allein dürften damit nicht fertig werden, schon deswegen
nicht, weil denselben das von Ihnen richtig betonte politische Moment
unverständlich bleibt, wonach das Bestehende und die Gewohnheit im
Volksleben auch ein bestimmtes Recht hat und dem kritisierenden In-
dividualismus nicht aufgeopfert werden darf.

Und so bitte ich Sie denn wiederholt, über mein "Orthographisches
Wörterbuch" (mit dem zugleich ein Auszug für Volks- und Bürger-
schulen unter dem Titel: "Orthographisches Schul-Wörterbuch" erschienen)
öffentlich ein Wort zu sagen, vielleicht in der Berliner National[-]
Zeitung" oder in Lindau's "Gegenwart" oder, wo es Ihnen sonst
angemessen erscheint. Gerade von Ihnen, der Sie die Bedeutsamkeit
und Wichtigkeit der Frage in vollem Umfang zu ermessen

kañ; aber um gegen das Sturmreñen der „phonetischen Schule“ durchzu[-]
dringen, die – nur nach der entgegengesetzen Richtung – auch die geschicht-
liche Entwicklung der neuhochdeutschen Schrift und Sprache so wenig
Rücksicht nim̃t, wie die rückschrittliche, die sich gern und geflissentlich
als die „historische“ zu bezeichnen liebte,– um gegen die phonetische
Schule durchzudringen, die unsere bestrebende Schriftweise, die deutschen
Buchstaben, die großen Anfangsbuchstaben für die Hauptwörter und alle
Verdeutlichungs- und Unterscheidungszeichen gern mit einem Mal
über den Haufen werfen möchte und jedenfalls alles Feststehende
möglichst zu erschüttern sucht, dazu bedarf ich der Unterstützung
gerade von Seiten der leitenden Schriftsteller wie Sie. – Prof[.]
von Holtzendorff schreibt mir ganz richtig neulich:

„Mir scheint, daß die deutsche Presse den Beruf hat, für
diese Angelegenheit der Rechtschreibung thatkräftig einzustehen. Die
Schulmeister allein dürften damit nicht fertig werden, schon deswegen
nicht, weil denselben das von Ihnen richtig betonte politische Moment
unverständlich bleibt, wonach das Bestehende und die Gewohnheit im
Volksleben auch ein bestimmtes Recht hat und dem kritisierenden In-
dividualismus nicht aufgeopfert werden darf.

Und so bitte ich Sie deñ wiederholt, über mein „Orthographisches
Wörterbuch“ (mit dem zugleich ein Auszug für Volks- und Bürger-
schulen unter dem Titel: „Orthographisches Schul-Wörterbuch“ erschienen)
öffentlich ein Wort zu sagen, vielleicht in der Berliner National[-]
Zeitung“ oder in Lindau's „Gegenwart“ oder, wo es Ihnen sonst
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Zitationshilfe: Sanders, Daniel: Brief an Karl Gutzkow. Altstrelitz, 16. Oktober 1875, S. [2r]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sanders_gutzkow2_1875/3>, abgerufen am 19.04.2024.