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Sanders, Daniel: Brief an Berthold Auerbach. Altstrelitz, 23. Mai 1880.

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Feder eigentlich freilich gar nicht bedarf.

Die Zeit ist allerdings verstimmend und niederschlagend,
aber Männer, wie Sie, dürfen sich nicht verstimmen und niederschlagen
lassen. Ich möchte Sie auf Ihre eigenen Worte (Seite 97 Ihrer
Erzählung) verweisen. Die Gemeinheit würde und müsste
obsingen, wenn solche Männer müde werden könnten und wollten,
die Dinge sub specie aeterni zu betrachten, das Dauernde,
Ewige im irdischen Wechsel, "den ruhenden Pol in der Er[-]
scheinungen Flucht"
zu suchen und ihren Führeramte ge[-]
mäß ihrem Glauben und ihre Überzeugung der Welt nun
und immer wieder der Welt zu verkünden. Mir ist es, als
seien Schiller's Worte des Glaubens im Worte des Wahns
ganz besonders für unsere heutige Zeit geschrieben seien.
Doch genug hiervon! Doch kann ich nicht schließen, ohne
Ihnen noch meinen besonderen Dank auszudücken für
die herzlichen und tröstlichen Worte, die Sie am Grab
unseres gemeinsamen Freundes Heinrich Bernhard Oppenheim
gesprochen. Wir haben Leid viel, sehr viel und
ganz Unersetzliches an dem Tapfern und Treuen
verlogen. "Soldatendienst hat der Mensch auf Erden."
Er ist nach tapfer und treu vollendetem Dienst vom
Posten abberufen, aber wir, die wir noch im

Feder eigentlich freilich gar nicht bedarf.

Die Zeit ist allerdings verstim̃end und niederschlagend,
aber Mäñer, wie Sie, dürfen sich nicht verstim̃en und niederschlagen
lassen. Ich möchte Sie auf Ihre eigenen Worte (Seite 97 Ihrer
Erzählung) verweisen. Die Gemeinheit würde und müsste
obsingen, weñ solche Mäñer müde werden könnten und wollten,
die Dinge sub specie aeterni zu betrachten, das Dauernde,
Ewige im irdischen Wechsel, „den ruhenden Pol in der Er[-]
scheinungen Flucht“
zu suchen und ihren Führeramte ge[-]
mäß ihrem Glauben und ihre Überzeugung der Welt nun
und im̃er wieder der Welt zu verkünden. Mir ist es, als
seien Schiller’s Worte des Glaubens im Worte des Wahns
ganz besonders für unsere heutige Zeit geschrieben seien.
Doch genug hiervon! Doch kañ ich nicht schließen, ohne
Ihnen noch meinen besonderen Dank auszudücken für
die herzlichen und tröstlichen Worte, die Sie am Grab
unseres gemeinsamen Freundes Heinrich Bernhard Oppenheim
gesprochen. Wir haben Leid viel, sehr viel und
ganz Unersetzliches an dem Tapfern und Treuen
verlogen. „Soldatendienst hat der Mensch auf Erden.“
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Zitationshilfe: Sanders, Daniel: Brief an Berthold Auerbach. Altstrelitz, 23. Mai 1880, S. [1v]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sanders_auerbach_1880/2>, abgerufen am 18.04.2024.