Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.Anwendung auf uns. weder krank am Körper, oder mit einer Seele voll Un-muth und Verdruß zurück, als wenn wir nicht die glück- lichen Geschöpfe wären, die beständig das Lob Gottes tö- nen, die Wonne dieses Erdenlebens genießen und der- einst auf Verklärung hoffen sollten! Ach, die traurigen Leidenschaften! Ach der unglückliche Streit der Lüste! O das Meer von unheiligen und sündlichen Begierden, von welchen unser Erlöser frey war! Das göttliche Ver- gnügen, Armen wohl zu thun, Muthlose an der Hand zu nehmen, Traurige zu trösten, im Geist der Liebe und des Mitleidens um das Bette eines jeden zu stehen, der in der Nacht leiden muß, und Erbarmung auf ihn herab zu flehen, die Seligkeit im Bewußtseyn, daß wir auch im schlechtesten Kleid, doch überall mit gutem Beyspiel hervorgeleuchtet, und durch unsre frühe Rechtschaffenheit manchen, der uns stolz übersieht, beschämt haben, ko- sten wir nicht, weil wir uns keine ernstliche Mühe geben, fromm und tugendhaft zu seyn, und nur immer die Bes- serung der Seele von einem Fest zum andern verschieben, als wenn sie nicht dadurch immer schwerer, immer pein- licher würde. Das Joch der Religion drückt uns, weil wir sie im Herzen nicht lieben; wir sind wie die Schuld- ner, die den Anfoderungen der Gläubiger, wo sie kön- nen, ausweichen; da, wo der lauteste Beyfall der Men- schen stirbt, wo wir nicht mehr Mensch vor Menschen, sondern Mensch vor Gott sind, da sind wir nicht gerne; viele verrichten die äußerlichen Pflichten der Religion so, wie die Israeliten ihre Tagewerke unter den Frohnvög- ten in Aegypten. Je länger, je sorgfältiger und künst- licher wir den Körper nähren, desto schneller nähert er sich seinem Untergang; aber wir denken nicht daran, daß
Anwendung auf uns. weder krank am Körper, oder mit einer Seele voll Un-muth und Verdruß zurück, als wenn wir nicht die glück- lichen Geſchöpfe wären, die beſtändig das Lob Gottes tö- nen, die Wonne dieſes Erdenlebens genießen und der- einſt auf Verklärung hoffen ſollten! Ach, die traurigen Leidenſchaften! Ach der unglückliche Streit der Lüſte! O das Meer von unheiligen und ſündlichen Begierden, von welchen unſer Erlöſer frey war! Das göttliche Ver- gnügen, Armen wohl zu thun, Muthloſe an der Hand zu nehmen, Traurige zu tröſten, im Geiſt der Liebe und des Mitleidens um das Bette eines jeden zu ſtehen, der in der Nacht leiden muß, und Erbarmung auf ihn herab zu flehen, die Seligkeit im Bewußtſeyn, daß wir auch im ſchlechteſten Kleid, doch überall mit gutem Beyſpiel hervorgeleuchtet, und durch unſre frühe Rechtſchaffenheit manchen, der uns ſtolz überſieht, beſchämt haben, ko- ſten wir nicht, weil wir uns keine ernſtliche Mühe geben, fromm und tugendhaft zu ſeyn, und nur immer die Beſ- ſerung der Seele von einem Feſt zum andern verſchieben, als wenn ſie nicht dadurch immer ſchwerer, immer pein- licher würde. Das Joch der Religion drückt uns, weil wir ſie im Herzen nicht lieben; wir ſind wie die Schuld- ner, die den Anfoderungen der Gläubiger, wo ſie kön- nen, ausweichen; da, wo der lauteſte Beyfall der Men- ſchen ſtirbt, wo wir nicht mehr Menſch vor Menſchen, ſondern Menſch vor Gott ſind, da ſind wir nicht gerne; viele verrichten die äußerlichen Pflichten der Religion ſo, wie die Iſraeliten ihre Tagewerke unter den Frohnvög- ten in Aegypten. Je länger, je ſorgfältiger und künſt- licher wir den Körper nähren, deſto ſchneller nähert er ſich ſeinem Untergang; aber wir denken nicht daran, daß
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Anwendung auf uns.
weder krank am Körper, oder mit einer Seele voll Un-
muth und Verdruß zurück, als wenn wir nicht die glück-
lichen Geſchöpfe wären, die beſtändig das Lob Gottes tö-
nen, die Wonne dieſes Erdenlebens genießen und der-
einſt auf Verklärung hoffen ſollten! Ach, die traurigen
Leidenſchaften! Ach der unglückliche Streit der Lüſte!
O das Meer von unheiligen und ſündlichen Begierden,
von welchen unſer Erlöſer frey war! Das göttliche Ver-
gnügen, Armen wohl zu thun, Muthloſe an der Hand
zu nehmen, Traurige zu tröſten, im Geiſt der Liebe und
des Mitleidens um das Bette eines jeden zu ſtehen, der
in der Nacht leiden muß, und Erbarmung auf ihn herab
zu flehen, die Seligkeit im Bewußtſeyn, daß wir auch
im ſchlechteſten Kleid, doch überall mit gutem Beyſpiel
hervorgeleuchtet, und durch unſre frühe Rechtſchaffenheit
manchen, der uns ſtolz überſieht, beſchämt haben, ko-
ſten wir nicht, weil wir uns keine ernſtliche Mühe geben,
fromm und tugendhaft zu ſeyn, und nur immer die Beſ-
ſerung der Seele von einem Feſt zum andern verſchieben,
als wenn ſie nicht dadurch immer ſchwerer, immer pein-
licher würde. Das Joch der Religion drückt uns, weil
wir ſie im Herzen nicht lieben; wir ſind wie die Schuld-
ner, die den Anfoderungen der Gläubiger, wo ſie kön-
nen, ausweichen; da, wo der lauteſte Beyfall der Men-
ſchen ſtirbt, wo wir nicht mehr Menſch vor Menſchen,
ſondern Menſch vor Gott ſind, da ſind wir nicht gerne;
viele verrichten die äußerlichen Pflichten der Religion ſo,
wie die Iſraeliten ihre Tagewerke unter den Frohnvög-
ten in Aegypten. Je länger, je ſorgfältiger und künſt-
licher wir den Körper nähren, deſto ſchneller nähert er
ſich ſeinem Untergang; aber wir denken nicht daran,
daß
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