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Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.

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Ueber die Erzählung vom Sämann.
liebt und ausführt, prüfen wollten! Ist es nicht, als
wenn der Mensch von gestern her Staub von der Erde
aufwerfen, und das Sonnenlicht verdunkeln wollte?
Dort verbrennt ein aufgebrachter König das Gesetzbuch,
das im Tempel verwahrt werden sollte, als wenn er da-
durch den Gang Gottes stören, und seine ewige Gesetze
verrücken könnte! (Jer. 36, 20-24.) Er wirft die Dro-
hungen des Herrn ins Feuer, als wenn er dadurch die
Allmacht entwaffnen, und den Ewigen spotten könnte!
Wer bedauret nicht diese falsche Weisheit, diese lächer-
liche Größe, diese abentheuerliche Kühnheit? Ach, wenn
denn zuletzt die Natur den Tod stärker, als sonst, merkt,
dann wird der Seele des Frommen ein Licht aufgehen;
aber für den, der nicht Christ, nicht Mensch ist, ist dann
in der weiten Schöpfung keine Erquickung, keine nur
dämmernde Aussicht.

Bey andern Menschen ist die ewige Unbeständig-
keit und Flüchtigkeit
schuld, daß sie nicht wirklich
glücklich werden. (Lucä 8, 6. 13.) Die theilnehmende
Liebe des Erlösers malt, indem sie darüber klagt, eine
Menge Menschen ab. Er gesteht, daß sich dieser Cha-
rakter dem Christenthum schon mehr nähert, als der vo-
rige. Er vermißt aber die Festigkeit und die Stetig-
keit im Guten. Er tadelt sie, weil sie nicht ausharren,
und standhaft sind. Er vergleicht die veränderlichen
Menschen einer Pflanze, die ein Zufall auf die wenige
Erde geführt hat, womit Steine und Felsen bedeckt sind.
In der dünnen Rinde von guter fruchtbarer Erde kann
die Wurzel zwar Platz fassen, aber nicht tief eindringen.
Die Sonnenhitze trocknet sie gar bald aus, das Gewächs

verdorrt,
M

Ueber die Erzählung vom Sämann.
liebt und ausführt, prüfen wollten! Iſt es nicht, als
wenn der Menſch von geſtern her Staub von der Erde
aufwerfen, und das Sonnenlicht verdunkeln wollte?
Dort verbrennt ein aufgebrachter König das Geſetzbuch,
das im Tempel verwahrt werden ſollte, als wenn er da-
durch den Gang Gottes ſtören, und ſeine ewige Geſetze
verrücken könnte! (Jer. 36, 20-24.) Er wirft die Dro-
hungen des Herrn ins Feuer, als wenn er dadurch die
Allmacht entwaffnen, und den Ewigen ſpotten könnte!
Wer bedauret nicht dieſe falſche Weisheit, dieſe lächer-
liche Größe, dieſe abentheuerliche Kühnheit? Ach, wenn
denn zuletzt die Natur den Tod ſtärker, als ſonſt, merkt,
dann wird der Seele des Frommen ein Licht aufgehen;
aber für den, der nicht Chriſt, nicht Menſch iſt, iſt dann
in der weiten Schöpfung keine Erquickung, keine nur
dämmernde Ausſicht.

Bey andern Menſchen iſt die ewige Unbeſtändig-
keit und Flüchtigkeit
ſchuld, daß ſie nicht wirklich
glücklich werden. (Lucä 8, 6. 13.) Die theilnehmende
Liebe des Erlöſers malt, indem ſie darüber klagt, eine
Menge Menſchen ab. Er geſteht, daß ſich dieſer Cha-
rakter dem Chriſtenthum ſchon mehr nähert, als der vo-
rige. Er vermißt aber die Feſtigkeit und die Stetig-
keit im Guten. Er tadelt ſie, weil ſie nicht ausharren,
und ſtandhaft ſind. Er vergleicht die veränderlichen
Menſchen einer Pflanze, die ein Zufall auf die wenige
Erde geführt hat, womit Steine und Felſen bedeckt ſind.
In der dünnen Rinde von guter fruchtbarer Erde kann
die Wurzel zwar Platz faſſen, aber nicht tief eindringen.
Die Sonnenhitze trocknet ſie gar bald aus, das Gewächs

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[177/0183] Ueber die Erzählung vom Sämann. liebt und ausführt, prüfen wollten! Iſt es nicht, als wenn der Menſch von geſtern her Staub von der Erde aufwerfen, und das Sonnenlicht verdunkeln wollte? Dort verbrennt ein aufgebrachter König das Geſetzbuch, das im Tempel verwahrt werden ſollte, als wenn er da- durch den Gang Gottes ſtören, und ſeine ewige Geſetze verrücken könnte! (Jer. 36, 20-24.) Er wirft die Dro- hungen des Herrn ins Feuer, als wenn er dadurch die Allmacht entwaffnen, und den Ewigen ſpotten könnte! Wer bedauret nicht dieſe falſche Weisheit, dieſe lächer- liche Größe, dieſe abentheuerliche Kühnheit? Ach, wenn denn zuletzt die Natur den Tod ſtärker, als ſonſt, merkt, dann wird der Seele des Frommen ein Licht aufgehen; aber für den, der nicht Chriſt, nicht Menſch iſt, iſt dann in der weiten Schöpfung keine Erquickung, keine nur dämmernde Ausſicht. Bey andern Menſchen iſt die ewige Unbeſtändig- keit und Flüchtigkeit ſchuld, daß ſie nicht wirklich glücklich werden. (Lucä 8, 6. 13.) Die theilnehmende Liebe des Erlöſers malt, indem ſie darüber klagt, eine Menge Menſchen ab. Er geſteht, daß ſich dieſer Cha- rakter dem Chriſtenthum ſchon mehr nähert, als der vo- rige. Er vermißt aber die Feſtigkeit und die Stetig- keit im Guten. Er tadelt ſie, weil ſie nicht ausharren, und ſtandhaft ſind. Er vergleicht die veränderlichen Menſchen einer Pflanze, die ein Zufall auf die wenige Erde geführt hat, womit Steine und Felſen bedeckt ſind. In der dünnen Rinde von guter fruchtbarer Erde kann die Wurzel zwar Platz faſſen, aber nicht tief eindringen. Die Sonnenhitze trocknet ſie gar bald aus, das Gewächs verdorrt, M

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/183>, abgerufen am 23.06.2024.