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Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.

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Seine Vorschriften zur Liebe.
ten Forderungen andrer, nicht auf die Größe der Armuth,
nicht auf das viele Gute, das, weil sie geizig und zurück-
haltend sind, unterbleiben muß, Rücksicht nehmen, son-
dern nur ihrem Stolz schmeicheln, ihre Einfälle ausfüh-
ren, ihre Absichten erreichen, und sich keinen Wunsch
abschlagen wollen? Johannes! was würdest du zu de-
nen sagen, die nicht wissen wollen, was das heißt, und
wie schwer es ist, sich nur durch stille Rechtschaffenheit
geltend zu machen; die erschrecken, wenn ein andrer sie
um Hülfe, um gebahnte Wege anspricht, weil sie selber
alles besitzen, alles genießen, alle Mittel in Händen ha-
ben, und jeden, der ihnen gleichkommen könnte, von sich
entfernen, und hinter sich zurückstoßen wollen? Was zu
denen, deren hämisches Herz heimlich und öffentlich dar-
über jauchzt, wenn ein andrer ein erwartetes Glück ver-
liert, oder eine angenehme Hoffnung fahren lassen muß?
Was zu denen, die über die ganze zahlreiche Klasse der
Armen den grausamen Ausspruch thun können, daß un-
ter ihnen kein Frommer und Guter sey, daß sie ohne
das Joch der bittersten Armuth unerträglich seyn wür-
den, daß man die Juden, dies gedruckte Volk, das un-
ter uns als ein Beweis für die Wahrheit der christlichen
Religion so kläglich herum lauft, und auch zu dem Gott
betet, der sich besonders den Gott der Elenden und der
Armen nennt, beynahe als Geschöpfe von einer andern
Art behandeln, sie ohne Scheu quälen und betrügen
könne? Was zu denen, die da, wo sie Licht in die fin-
stre Wohnung des Unglücklichen bringen sollten, gleich
voll Argwohn und Verdacht werden, und durch die un-
gerechtesten Beschuldigungen dem Leidenden noch den
letzten Trost der Unschuld im Gewissen, ohne über ihre

eigene
K

Seine Vorſchriften zur Liebe.
ten Forderungen andrer, nicht auf die Größe der Armuth,
nicht auf das viele Gute, das, weil ſie geizig und zurück-
haltend ſind, unterbleiben muß, Rückſicht nehmen, ſon-
dern nur ihrem Stolz ſchmeicheln, ihre Einfälle ausfüh-
ren, ihre Abſichten erreichen, und ſich keinen Wunſch
abſchlagen wollen? Johannes! was würdeſt du zu de-
nen ſagen, die nicht wiſſen wollen, was das heißt, und
wie ſchwer es iſt, ſich nur durch ſtille Rechtſchaffenheit
geltend zu machen; die erſchrecken, wenn ein andrer ſie
um Hülfe, um gebahnte Wege anſpricht, weil ſie ſelber
alles beſitzen, alles genießen, alle Mittel in Händen ha-
ben, und jeden, der ihnen gleichkommen könnte, von ſich
entfernen, und hinter ſich zurückſtoßen wollen? Was zu
denen, deren hämiſches Herz heimlich und öffentlich dar-
über jauchzt, wenn ein andrer ein erwartetes Glück ver-
liert, oder eine angenehme Hoffnung fahren laſſen muß?
Was zu denen, die über die ganze zahlreiche Klaſſe der
Armen den grauſamen Ausſpruch thun können, daß un-
ter ihnen kein Frommer und Guter ſey, daß ſie ohne
das Joch der bitterſten Armuth unerträglich ſeyn wür-
den, daß man die Juden, dies gedruckte Volk, das un-
ter uns als ein Beweis für die Wahrheit der chriſtlichen
Religion ſo kläglich herum lauft, und auch zu dem Gott
betet, der ſich beſonders den Gott der Elenden und der
Armen nennt, beynahe als Geſchöpfe von einer andern
Art behandeln, ſie ohne Scheu quälen und betrügen
könne? Was zu denen, die da, wo ſie Licht in die fin-
ſtre Wohnung des Unglücklichen bringen ſollten, gleich
voll Argwohn und Verdacht werden, und durch die un-
gerechteſten Beſchuldigungen dem Leidenden noch den
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[145/0151] Seine Vorſchriften zur Liebe. ten Forderungen andrer, nicht auf die Größe der Armuth, nicht auf das viele Gute, das, weil ſie geizig und zurück- haltend ſind, unterbleiben muß, Rückſicht nehmen, ſon- dern nur ihrem Stolz ſchmeicheln, ihre Einfälle ausfüh- ren, ihre Abſichten erreichen, und ſich keinen Wunſch abſchlagen wollen? Johannes! was würdeſt du zu de- nen ſagen, die nicht wiſſen wollen, was das heißt, und wie ſchwer es iſt, ſich nur durch ſtille Rechtſchaffenheit geltend zu machen; die erſchrecken, wenn ein andrer ſie um Hülfe, um gebahnte Wege anſpricht, weil ſie ſelber alles beſitzen, alles genießen, alle Mittel in Händen ha- ben, und jeden, der ihnen gleichkommen könnte, von ſich entfernen, und hinter ſich zurückſtoßen wollen? Was zu denen, deren hämiſches Herz heimlich und öffentlich dar- über jauchzt, wenn ein andrer ein erwartetes Glück ver- liert, oder eine angenehme Hoffnung fahren laſſen muß? Was zu denen, die über die ganze zahlreiche Klaſſe der Armen den grauſamen Ausſpruch thun können, daß un- ter ihnen kein Frommer und Guter ſey, daß ſie ohne das Joch der bitterſten Armuth unerträglich ſeyn wür- den, daß man die Juden, dies gedruckte Volk, das un- ter uns als ein Beweis für die Wahrheit der chriſtlichen Religion ſo kläglich herum lauft, und auch zu dem Gott betet, der ſich beſonders den Gott der Elenden und der Armen nennt, beynahe als Geſchöpfe von einer andern Art behandeln, ſie ohne Scheu quälen und betrügen könne? Was zu denen, die da, wo ſie Licht in die fin- ſtre Wohnung des Unglücklichen bringen ſollten, gleich voll Argwohn und Verdacht werden, und durch die un- gerechteſten Beſchuldigungen dem Leidenden noch den letzten Troſt der Unſchuld im Gewiſſen, ohne über ihre eigene K

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/151>, abgerufen am 23.06.2024.