Leute dort bringen Milch und Butter nach der Stadt. Man zeigt den Fremden die dortige Kirche, weil sie im Kleinen das ist, was die Michaeliskirche in der Stadt. Bei dem Dörfchen stehen viele Gartenhäuser und Alleen, in denen sich die Hamburger in Sommernächten aufhalten.
Der Pesthof vor der Stadt, nahe bei Altona, (oder plattdeutsch: allzunahe,) ist eine Gegend zwischen den Hamburger Gärten, wo das Lazareth steht, und hat eine eigene schöne neumodische Kirche. Die Kanzel ist fast so wie die in der Karlsruher Schloskirche. Es ist ein eigener Prediger dabei. Um den Unterhalt der Ar- men zu erleichtern, pflegt man in der Charwoche in die- ser Kirche eine prächtige, affektvolle, die Leidenschaften der auftretenden Personen wohl ausdruckende Passionsmusik aufzuführen, und lockt damit ganz Hamburg hinaus. Die Poesie ist 50. Jahr alt, herzlich schlecht, voll her- renhuthischpapistischer Tändeleien, aber die Musik ist von Telemann, einem berühmten Hamburger Kompo- nisten.
Vor dem Teichthore sieht man einen sandsteiner- nen weissen Gedenkstein, an dem steht: "Die Elbe von "den Regengüssen eines trüben Sommers angeschwollen, "trat über unsre Fluren, drohte der Stadt ungewohn- "te Gefahren, und stieg bis an die bezeichnete Linie," und unten ist in der Höhe meiner Brust eine Linie gegra- ben, und drüber steht: "Der 1te Jul. 1771."
Ehedem hatte die Stadt immer Zwistigkeiten mit dem Könige von Dännemark, und noch vor kurzem mußte sie viel Geld geben. Der Kaiser aber und das Reich forderten für die Stadt einen Revers, daß man
nun
Leute dort bringen Milch und Butter nach der Stadt. Man zeigt den Fremden die dortige Kirche, weil ſie im Kleinen das iſt, was die Michaeliskirche in der Stadt. Bei dem Doͤrfchen ſtehen viele Gartenhaͤuſer und Alleen, in denen ſich die Hamburger in Sommernaͤchten aufhalten.
Der Peſthof vor der Stadt, nahe bei Altona, (oder plattdeutſch: allzunahe,) iſt eine Gegend zwiſchen den Hamburger Gaͤrten, wo das Lazareth ſteht, und hat eine eigene ſchoͤne neumodiſche Kirche. Die Kanzel iſt faſt ſo wie die in der Karlsruher Schloskirche. Es iſt ein eigener Prediger dabei. Um den Unterhalt der Ar- men zu erleichtern, pflegt man in der Charwoche in die- ſer Kirche eine praͤchtige, affektvolle, die Leidenſchaften der auftretenden Perſonen wohl ausdruckende Paſſionsmuſik aufzufuͤhren, und lockt damit ganz Hamburg hinaus. Die Poeſie iſt 50. Jahr alt, herzlich ſchlecht, voll her- renhuthiſchpapiſtiſcher Taͤndeleien, aber die Muſik iſt von Telemann, einem beruͤhmten Hamburger Kompo- niſten.
Vor dem Teichthore ſieht man einen ſandſteiner- nen weiſſen Gedenkſtein, an dem ſteht: „Die Elbe von „den Regenguͤſſen eines truͤben Sommers angeſchwollen, „trat uͤber unſre Fluren, drohte der Stadt ungewohn- „te Gefahren, und ſtieg bis an die bezeichnete Linie,“ und unten iſt in der Hoͤhe meiner Bruſt eine Linie gegra- ben, und druͤber ſteht: „Der 1te Jul. 1771.“
Ehedem hatte die Stadt immer Zwiſtigkeiten mit dem Koͤnige von Daͤnnemark, und noch vor kurzem mußte ſie viel Geld geben. Der Kaiſer aber und das Reich forderten fuͤr die Stadt einen Revers, daß man
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Leute dort bringen Milch und Butter nach der Stadt.
Man zeigt den Fremden die dortige Kirche, weil ſie im
Kleinen das iſt, was die Michaeliskirche in der Stadt.
Bei dem Doͤrfchen ſtehen viele Gartenhaͤuſer und Alleen,
in denen ſich die Hamburger in Sommernaͤchten aufhalten.
Der Peſthof vor der Stadt, nahe bei Altona,
(oder plattdeutſch: allzunahe,) iſt eine Gegend zwiſchen
den Hamburger Gaͤrten, wo das Lazareth ſteht, und
hat eine eigene ſchoͤne neumodiſche Kirche. Die Kanzel
iſt faſt ſo wie die in der Karlsruher Schloskirche. Es
iſt ein eigener Prediger dabei. Um den Unterhalt der Ar-
men zu erleichtern, pflegt man in der Charwoche in die-
ſer Kirche eine praͤchtige, affektvolle, die Leidenſchaften der
auftretenden Perſonen wohl ausdruckende Paſſionsmuſik
aufzufuͤhren, und lockt damit ganz Hamburg hinaus.
Die Poeſie iſt 50. Jahr alt, herzlich ſchlecht, voll her-
renhuthiſchpapiſtiſcher Taͤndeleien, aber die Muſik iſt von
Telemann, einem beruͤhmten Hamburger Kompo-
niſten.
Vor dem Teichthore ſieht man einen ſandſteiner-
nen weiſſen Gedenkſtein, an dem ſteht: „Die Elbe von
„den Regenguͤſſen eines truͤben Sommers angeſchwollen,
„trat uͤber unſre Fluren, drohte der Stadt ungewohn-
„te Gefahren, und ſtieg bis an die bezeichnete Linie,“
und unten iſt in der Hoͤhe meiner Bruſt eine Linie gegra-
ben, und druͤber ſteht: „Der 1te Jul. 1771.“
Ehedem hatte die Stadt immer Zwiſtigkeiten mit
dem Koͤnige von Daͤnnemark, und noch vor kurzem
mußte ſie viel Geld geben. Der Kaiſer aber und das
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 676. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/714>, abgerufen am 24.11.2024.
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