Das Oesterreichische läuft fort, bis eine Stunde vor Presburg. Da macht eine Brücke und ein kleiner Graben die Grenzscheidung zwischen Deutschland und Ungarn.
Die Chausseen sind schön, sehr breit, und werden immer mit Kieseln überschüttet. Ganze Haufen gelbe Kiesel liegen deshalb hier und da an der Strasse.
In meiner Reisegesellschaft war auch ein Franzis- kaner, P. Karl, aus dem Kloster in Presburg, der, weil er bald examinirt werden sollte, vor 8. Wochen von Presburg nach Wien geschickt worden war, um noch etwas zu lernen, und jetzt zurückging. Wir mußten für ihn bezahlen und ihn frei halten. In Wien bezahl- te er mit einem elenden Rosenkranze.
Nach den gewöhnlichen Gesprächen von Pabst, Kai- ser, Geistern und Gespenstern etc. kam das Gespräch auf Gellert, Yorik, den Siegwart etc. Bücher, die seit- her vielen tausend Menschen in Wien unbekannt waren, nun aber durch Schmieder's Buchladen in der Messe mehr unter die Leute kommen. Da war's dann ein Ver- gnügen, halb im Schlafe, die Urtheile der Frauenzimmer, der Pfaffen, eines jungen Menschen etc. anzuhören. Der Kondukteur zog sogar eins aus der Tasche, und las. Der Franziskaner sprach davon, wie ein Mensch, dessen Welt die Zelle ist. Die Gellertschen Schriften, sag- te er, müßte er doch einmahl lesen, die Poesie aber, meinte er, käme jetzt ganz ab. Man kan sich die tiefe Dummheit dieser Leute gar nicht vorstellen, wenn man's nicht gehört hat. Die meisten sind aus lauter Glauben blind.
Den
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Das Oeſterreichiſche laͤuft fort, bis eine Stunde vor Presburg. Da macht eine Bruͤcke und ein kleiner Graben die Grenzſcheidung zwiſchen Deutſchland und Ungarn.
Die Chauſſeen ſind ſchoͤn, ſehr breit, und werden immer mit Kieſeln uͤberſchuͤttet. Ganze Haufen gelbe Kieſel liegen deshalb hier und da an der Straſſe.
In meiner Reiſegeſellſchaft war auch ein Franzis- kaner, P. Karl, aus dem Kloſter in Presburg, der, weil er bald examinirt werden ſollte, vor 8. Wochen von Presburg nach Wien geſchickt worden war, um noch etwas zu lernen, und jetzt zuruͤckging. Wir mußten fuͤr ihn bezahlen und ihn frei halten. In Wien bezahl- te er mit einem elenden Roſenkranze.
Nach den gewoͤhnlichen Geſpraͤchen von Pabſt, Kai- ſer, Geiſtern und Geſpenſtern ꝛc. kam das Geſpraͤch auf Gellert, Yorik, den Siegwart ꝛc. Buͤcher, die ſeit- her vielen tauſend Menſchen in Wien unbekannt waren, nun aber durch Schmieder’s Buchladen in der Meſſe mehr unter die Leute kommen. Da war’s dann ein Ver- gnuͤgen, halb im Schlafe, die Urtheile der Frauenzimmer, der Pfaffen, eines jungen Menſchen ꝛc. anzuhoͤren. Der Kondukteur zog ſogar eins aus der Taſche, und las. Der Franziskaner ſprach davon, wie ein Menſch, deſſen Welt die Zelle iſt. Die Gellertſchen Schriften, ſag- te er, muͤßte er doch einmahl leſen, die Poeſie aber, meinte er, kaͤme jetzt ganz ab. Man kan ſich die tiefe Dummheit dieſer Leute gar nicht vorſtellen, wenn man’s nicht gehoͤrt hat. Die meiſten ſind aus lauter Glauben blind.
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Ungarn.
Die Chauſſeen ſind ſchoͤn, ſehr breit, und werden
immer mit Kieſeln uͤberſchuͤttet. Ganze Haufen gelbe
Kieſel liegen deshalb hier und da an der Straſſe.
In meiner Reiſegeſellſchaft war auch ein Franzis-
kaner, P. Karl, aus dem Kloſter in Presburg, der,
weil er bald examinirt werden ſollte, vor 8. Wochen von
Presburg nach Wien geſchickt worden war, um noch
etwas zu lernen, und jetzt zuruͤckging. Wir mußten
fuͤr ihn bezahlen und ihn frei halten. In Wien bezahl-
te er mit einem elenden Roſenkranze.
Nach den gewoͤhnlichen Geſpraͤchen von Pabſt, Kai-
ſer, Geiſtern und Geſpenſtern ꝛc. kam das Geſpraͤch auf
Gellert, Yorik, den Siegwart ꝛc. Buͤcher, die ſeit-
her vielen tauſend Menſchen in Wien unbekannt waren,
nun aber durch Schmieder’s Buchladen in der Meſſe
mehr unter die Leute kommen. Da war’s dann ein Ver-
gnuͤgen, halb im Schlafe, die Urtheile der Frauenzimmer,
der Pfaffen, eines jungen Menſchen ꝛc. anzuhoͤren. Der
Kondukteur zog ſogar eins aus der Taſche, und las.
Der Franziskaner ſprach davon, wie ein Menſch, deſſen
Welt die Zelle iſt. Die Gellertſchen Schriften, ſag-
te er, muͤßte er doch einmahl leſen, die Poeſie aber,
meinte er, kaͤme jetzt ganz ab. Man kan ſich die
tiefe Dummheit dieſer Leute gar nicht vorſtellen, wenn
man’s nicht gehoͤrt hat. Die meiſten ſind aus lauter
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 553. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/591>, abgerufen am 28.11.2024.
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