Heute früh um 10. Uhr fuhr ich mit Hrn. von Stock- maier zum Hrn. Reichsreferendar, Baron von Ley- kamm, auf die Reichskanzlei. So heißt diese, im Ge- gensatz der Staatskanzlei, oder jener von Oesterreich, Böhmen etc, Die Kaiserl. Räthe müssen zwar früh auf die Kanzlei; aber sie nehmen oben Visiten an. Hr. Baron von Laykamm's Geschäfte selber gehen erst um 11. Uhr an. Ich fand an ihm einen muntern, gesprä- chigen Mann, der viel von alten Büchern, Handschrif- ten, Urkunden, Schätzen der Klöster Neuburg, Te- gernsee etc. erzählte. In Scherzii Glossario meinte er, hätten die Schwaben noch manches Wort liefern können. Von Schmid's Geschichte der Deutschen, 4ter B. denkt er, wie ich und andre, -- Quantum mutatus ab illo. -- Zuletzt erzählte er mir die Ge- schichte des Reichsarchivs, daß es eigentlich keine Pa- piere vor dem 16ten Jahrh. enthalte. Ehe der Kaiserl. Hof Sedes fixa, und ehe der Reichshofrath gestiftet ward, wars nicht möglich Akten zu sammeln. Der Kaiser schenkte weg und gab darüber ein Instrument, aber ihm gab niemand nichts. Man habe sogar ehemals die Schenkungsbriefe im Vorrath gehabt, und nur für etliche Hauptworte Platz gelassen, da schrieb man nach- her hinein, das waren zweierlei Handschriften, daraus entstand zuletzt oft Streit. Und bei Gelegenheit solcher Prozesse über Kaiserliche Schenkungsbrief@ forderte man, daß die Partheien die Originalien produciren mußten, und so machte man sich nach und nach die Kopialbücher, die jetzt schon eine beträchtliche Menge ausmachen. Von ihm fuhr ich ins
Examen
Den 25ſten April.
Heute fruͤh um 10. Uhr fuhr ich mit Hrn. von Stock- maier zum Hrn. Reichsreferendar, Baron von Ley- kamm, auf die Reichskanzlei. So heißt dieſe, im Ge- genſatz der Staatskanzlei, oder jener von Oeſterreich, Boͤhmen ꝛc, Die Kaiſerl. Raͤthe muͤſſen zwar fruͤh auf die Kanzlei; aber ſie nehmen oben Viſiten an. Hr. Baron von Laykamm’s Geſchaͤfte ſelber gehen erſt um 11. Uhr an. Ich fand an ihm einen muntern, geſpraͤ- chigen Mann, der viel von alten Buͤchern, Handſchrif- ten, Urkunden, Schaͤtzen der Kloͤſter Neuburg, Te- gernſee ꝛc. erzaͤhlte. In Scherzii Gloſſario meinte er, haͤtten die Schwaben noch manches Wort liefern koͤnnen. Von Schmid’s Geſchichte der Deutſchen, 4ter B. denkt er, wie ich und andre, — Quantum mutatus ab illo. — Zuletzt erzaͤhlte er mir die Ge- ſchichte des Reichsarchivs, daß es eigentlich keine Pa- piere vor dem 16ten Jahrh. enthalte. Ehe der Kaiſerl. Hof Sedes fixa, und ehe der Reichshofrath geſtiftet ward, wars nicht moͤglich Akten zu ſammeln. Der Kaiſer ſchenkte weg und gab daruͤber ein Inſtrument, aber ihm gab niemand nichts. Man habe ſogar ehemals die Schenkungsbriefe im Vorrath gehabt, und nur fuͤr etliche Hauptworte Platz gelaſſen, da ſchrieb man nach- her hinein, das waren zweierlei Handſchriften, daraus entſtand zuletzt oft Streit. Und bei Gelegenheit ſolcher Prozeſſe uͤber Kaiſerliche Schenkungsbriefə forderte man, daß die Partheien die Originalien produciren mußten, und ſo machte man ſich nach und nach die Kopialbuͤcher, die jetzt ſchon eine betraͤchtliche Menge ausmachen. Von ihm fuhr ich ins
Examen
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Den 25ſten April.
Heute fruͤh um 10. Uhr fuhr ich mit Hrn. von Stock-
maier zum Hrn. Reichsreferendar, Baron von Ley-
kamm, auf die Reichskanzlei. So heißt dieſe, im Ge-
genſatz der Staatskanzlei, oder jener von Oeſterreich,
Boͤhmen ꝛc, Die Kaiſerl. Raͤthe muͤſſen zwar fruͤh
auf die Kanzlei; aber ſie nehmen oben Viſiten an. Hr.
Baron von Laykamm’s Geſchaͤfte ſelber gehen erſt um
11. Uhr an. Ich fand an ihm einen muntern, geſpraͤ-
chigen Mann, der viel von alten Buͤchern, Handſchrif-
ten, Urkunden, Schaͤtzen der Kloͤſter Neuburg, Te-
gernſee ꝛc. erzaͤhlte. In Scherzii Gloſſario meinte
er, haͤtten die Schwaben noch manches Wort liefern
koͤnnen. Von Schmid’s Geſchichte der Deutſchen,
4ter B. denkt er, wie ich und andre, — Quantum
mutatus ab illo. — Zuletzt erzaͤhlte er mir die Ge-
ſchichte des Reichsarchivs, daß es eigentlich keine Pa-
piere vor dem 16ten Jahrh. enthalte. Ehe der Kaiſerl.
Hof Sedes fixa, und ehe der Reichshofrath geſtiftet
ward, wars nicht moͤglich Akten zu ſammeln. Der
Kaiſer ſchenkte weg und gab daruͤber ein Inſtrument,
aber ihm gab niemand nichts. Man habe ſogar ehemals
die Schenkungsbriefe im Vorrath gehabt, und nur fuͤr
etliche Hauptworte Platz gelaſſen, da ſchrieb man nach-
her hinein, das waren zweierlei Handſchriften, daraus
entſtand zuletzt oft Streit. Und bei Gelegenheit ſolcher
Prozeſſe uͤber Kaiſerliche Schenkungsbriefə forderte man,
daß die Partheien die Originalien produciren mußten,
und ſo machte man ſich nach und nach die Kopialbuͤcher,
die jetzt ſchon eine betraͤchtliche Menge ausmachen. Von
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 507. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/545>, abgerufen am 21.11.2024.
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