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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

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jedem Sitz ist ein eignes Speichelkästchen. Weil das
Beten und Singen im Chor oft drei Stunden währt, so
hat man diese Stühle so bequem machen lassen, daß sie
auch stehend doch halber sitzen können. P. Oberrech-
ner
und ich brachten fast einen ganzen Vormittag damit
zu, daß wir die Kirche besahen, wiewohl wir nicht ein-
mahl auf dem Gesimse, auf welchem die Kuppel ruht,
herumgingen, aus Furcht, es möchte uns ein Schwindel
ankommen. Und doch führte mich der Fürst Selber nach
der Tafel noch einmahl hinein, und zeigte mir noch man-
che Schönheit, die ich übersehen hatte; z. B. Auf der
obersten Stufe des Eingangs in den Chor ist linker Hand
am Gitter ein weisses Ammonshorn in dem schwarzen
Marmor, das ziemlich gros ist, aber doch nur anderthalb
Windungen hat. Der Fürst hat es mit Fleis erhalten,
und hier anbringen lassen, weil er viel bessre Einsichten in
die wahre Schönheiten der Natur und der Religion hat,
als ein ganzes Heer von seinen Glaubensgenossen. Man
hat rothe und schwarze Kupferstiche vom Kloster und von
dem Portal dieser Kirche. Ich habe beide aus der gnä-
digen Hand des Fürsten zum Geschenk erhalten, und be-
wahre sie als eine angenehme Erinnerung an angenehm
verlebte Tage.

Wir gingen aus der Kirche nach dem Hause, das,
um eine Glocke zu giessen, aufgebauet worden ist. Zur
neuen Kirche gehörte freilich auch ein ansehnliches und
feierliches Geläute. Der Fürst gab einige alte Glocken
und Glockengut genug her, und lies zwei Glocken giessen,
deren Ton harmonisch seyn sollte. Nach der genauesten
Berechnung verhalten sie sich gegen einander, wie Eins
zu Vier. Jetzt ward diejenige gegossen, die hundert

und

jedem Sitz iſt ein eignes Speichelkaͤſtchen. Weil das
Beten und Singen im Chor oft drei Stunden waͤhrt, ſo
hat man dieſe Stuͤhle ſo bequem machen laſſen, daß ſie
auch ſtehend doch halber ſitzen koͤnnen. P. Oberrech-
ner
und ich brachten faſt einen ganzen Vormittag damit
zu, daß wir die Kirche beſahen, wiewohl wir nicht ein-
mahl auf dem Geſimſe, auf welchem die Kuppel ruht,
herumgingen, aus Furcht, es moͤchte uns ein Schwindel
ankommen. Und doch fuͤhrte mich der Fuͤrſt Selber nach
der Tafel noch einmahl hinein, und zeigte mir noch man-
che Schoͤnheit, die ich uͤberſehen hatte; z. B. Auf der
oberſten Stufe des Eingangs in den Chor iſt linker Hand
am Gitter ein weiſſes Ammonshorn in dem ſchwarzen
Marmor, das ziemlich gros iſt, aber doch nur anderthalb
Windungen hat. Der Fuͤrſt hat es mit Fleis erhalten,
und hier anbringen laſſen, weil er viel beſſre Einſichten in
die wahre Schoͤnheiten der Natur und der Religion hat,
als ein ganzes Heer von ſeinen Glaubensgenoſſen. Man
hat rothe und ſchwarze Kupferſtiche vom Kloſter und von
dem Portal dieſer Kirche. Ich habe beide aus der gnaͤ-
digen Hand des Fuͤrſten zum Geſchenk erhalten, und be-
wahre ſie als eine angenehme Erinnerung an angenehm
verlebte Tage.

Wir gingen aus der Kirche nach dem Hauſe, das,
um eine Glocke zu gieſſen, aufgebauet worden iſt. Zur
neuen Kirche gehoͤrte freilich auch ein anſehnliches und
feierliches Gelaͤute. Der Fuͤrſt gab einige alte Glocken
und Glockengut genug her, und lies zwei Glocken gieſſen,
deren Ton harmoniſch ſeyn ſollte. Nach der genaueſten
Berechnung verhalten ſie ſich gegen einander, wie Eins
zu Vier. Jetzt ward diejenige gegoſſen, die hundert

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[406/0444] jedem Sitz iſt ein eignes Speichelkaͤſtchen. Weil das Beten und Singen im Chor oft drei Stunden waͤhrt, ſo hat man dieſe Stuͤhle ſo bequem machen laſſen, daß ſie auch ſtehend doch halber ſitzen koͤnnen. P. Oberrech- ner und ich brachten faſt einen ganzen Vormittag damit zu, daß wir die Kirche beſahen, wiewohl wir nicht ein- mahl auf dem Geſimſe, auf welchem die Kuppel ruht, herumgingen, aus Furcht, es moͤchte uns ein Schwindel ankommen. Und doch fuͤhrte mich der Fuͤrſt Selber nach der Tafel noch einmahl hinein, und zeigte mir noch man- che Schoͤnheit, die ich uͤberſehen hatte; z. B. Auf der oberſten Stufe des Eingangs in den Chor iſt linker Hand am Gitter ein weiſſes Ammonshorn in dem ſchwarzen Marmor, das ziemlich gros iſt, aber doch nur anderthalb Windungen hat. Der Fuͤrſt hat es mit Fleis erhalten, und hier anbringen laſſen, weil er viel beſſre Einſichten in die wahre Schoͤnheiten der Natur und der Religion hat, als ein ganzes Heer von ſeinen Glaubensgenoſſen. Man hat rothe und ſchwarze Kupferſtiche vom Kloſter und von dem Portal dieſer Kirche. Ich habe beide aus der gnaͤ- digen Hand des Fuͤrſten zum Geſchenk erhalten, und be- wahre ſie als eine angenehme Erinnerung an angenehm verlebte Tage. Wir gingen aus der Kirche nach dem Hauſe, das, um eine Glocke zu gieſſen, aufgebauet worden iſt. Zur neuen Kirche gehoͤrte freilich auch ein anſehnliches und feierliches Gelaͤute. Der Fuͤrſt gab einige alte Glocken und Glockengut genug her, und lies zwei Glocken gieſſen, deren Ton harmoniſch ſeyn ſollte. Nach der genaueſten Berechnung verhalten ſie ſich gegen einander, wie Eins zu Vier. Jetzt ward diejenige gegoſſen, die hundert und

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/444>, abgerufen am 22.11.2024.