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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

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meinde, und auf die individuelle Tüchtigkeit oder Un-
tüchtigkeit der Personen, in Aemter gesetzt werden, oft
so wenig Gutes, und so grossen Schaden stiften. Denn
Unterlassungen dürfen wir doch wohl auch in Anschlag
bringen. Aber wo ist in vielen deutschen Ländern das
Konsistorium, das an Ausführung solcher nützlicher Vor-
schläge denkt? Die Weisen sagen es, und jammern über
den gewohnten Gang der Sachen, aber deswegen ändern
die Vorsteher nichts. Es ist mit den Verbesserungen in
Kirchen und Schulen, wie mit der Erziehung überhaupt.
Man redet ewig davon, und im Ganzen rücken wir kei-
nen Schritt weiter, und wer einmal durch den Wider-
spruch ermüdet worden ist, thut freilich am Ende am
besten, wenn er umkehrt, und auch mit dem Strome
schwimmt, in dem die meisten schon geschwommen ha-
ben, und wahrscheinlich noch lange schwimmen werden.
O utinam Dii meliora darent!

Diese Reise führte mich sonst immer auf Berge.
Aber heute stieg ich auch in eine ziemliche Tiefe hinab,
und besah eine Tropfsteinhöle, die nur wenige Schrit-
te von den letzten Häusern des Dorfes Hasel entfernt ist.
Die Leute nennen diese Höle, die mit der Baumanns-
höle
viele Aehnlichkeit hat, das Erdmännleinsloch,
weil der Aberglaube immer noch Bergmännchen und
Menschen im Meer und unter dem Boden annimmt. Ich
mußte meine Kleider ablegen und Bauerkleider anziehen,
nahm zwei Bauern, die schon mehrmals darin gewe-
sen waren, mit mir, und mit dem Lichte in der Hand
gingen wir erst gerade hinein, sodann auch in eine grosse
und weite Seitenhöle, und als wir wieder aus dieser her-
vorkamen, verfolgten wir den geraden Weg mitten durch

die

meinde, und auf die individuelle Tuͤchtigkeit oder Un-
tuͤchtigkeit der Perſonen, in Aemter geſetzt werden, oft
ſo wenig Gutes, und ſo groſſen Schaden ſtiften. Denn
Unterlaſſungen duͤrfen wir doch wohl auch in Anſchlag
bringen. Aber wo iſt in vielen deutſchen Laͤndern das
Konſiſtorium, das an Ausfuͤhrung ſolcher nuͤtzlicher Vor-
ſchlaͤge denkt? Die Weiſen ſagen es, und jammern uͤber
den gewohnten Gang der Sachen, aber deswegen aͤndern
die Vorſteher nichts. Es iſt mit den Verbeſſerungen in
Kirchen und Schulen, wie mit der Erziehung uͤberhaupt.
Man redet ewig davon, und im Ganzen ruͤcken wir kei-
nen Schritt weiter, und wer einmal durch den Wider-
ſpruch ermuͤdet worden iſt, thut freilich am Ende am
beſten, wenn er umkehrt, und auch mit dem Strome
ſchwimmt, in dem die meiſten ſchon geſchwommen ha-
ben, und wahrſcheinlich noch lange ſchwimmen werden.
O utinam Dii meliora darent!

Dieſe Reiſe fuͤhrte mich ſonſt immer auf Berge.
Aber heute ſtieg ich auch in eine ziemliche Tiefe hinab,
und beſah eine Tropfſteinhoͤle, die nur wenige Schrit-
te von den letzten Haͤuſern des Dorfes Haſel entfernt iſt.
Die Leute nennen dieſe Hoͤle, die mit der Baumanns-
hoͤle
viele Aehnlichkeit hat, das Erdmaͤnnleinsloch,
weil der Aberglaube immer noch Bergmaͤnnchen und
Menſchen im Meer und unter dem Boden annimmt. Ich
mußte meine Kleider ablegen und Bauerkleider anziehen,
nahm zwei Bauern, die ſchon mehrmals darin gewe-
ſen waren, mit mir, und mit dem Lichte in der Hand
gingen wir erſt gerade hinein, ſodann auch in eine groſſe
und weite Seitenhoͤle, und als wir wieder aus dieſer her-
vorkamen, verfolgten wir den geraden Weg mitten durch

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[382/0420] meinde, und auf die individuelle Tuͤchtigkeit oder Un- tuͤchtigkeit der Perſonen, in Aemter geſetzt werden, oft ſo wenig Gutes, und ſo groſſen Schaden ſtiften. Denn Unterlaſſungen duͤrfen wir doch wohl auch in Anſchlag bringen. Aber wo iſt in vielen deutſchen Laͤndern das Konſiſtorium, das an Ausfuͤhrung ſolcher nuͤtzlicher Vor- ſchlaͤge denkt? Die Weiſen ſagen es, und jammern uͤber den gewohnten Gang der Sachen, aber deswegen aͤndern die Vorſteher nichts. Es iſt mit den Verbeſſerungen in Kirchen und Schulen, wie mit der Erziehung uͤberhaupt. Man redet ewig davon, und im Ganzen ruͤcken wir kei- nen Schritt weiter, und wer einmal durch den Wider- ſpruch ermuͤdet worden iſt, thut freilich am Ende am beſten, wenn er umkehrt, und auch mit dem Strome ſchwimmt, in dem die meiſten ſchon geſchwommen ha- ben, und wahrſcheinlich noch lange ſchwimmen werden. O utinam Dii meliora darent! Dieſe Reiſe fuͤhrte mich ſonſt immer auf Berge. Aber heute ſtieg ich auch in eine ziemliche Tiefe hinab, und beſah eine Tropfſteinhoͤle, die nur wenige Schrit- te von den letzten Haͤuſern des Dorfes Haſel entfernt iſt. Die Leute nennen dieſe Hoͤle, die mit der Baumanns- hoͤle viele Aehnlichkeit hat, das Erdmaͤnnleinsloch, weil der Aberglaube immer noch Bergmaͤnnchen und Menſchen im Meer und unter dem Boden annimmt. Ich mußte meine Kleider ablegen und Bauerkleider anziehen, nahm zwei Bauern, die ſchon mehrmals darin gewe- ſen waren, mit mir, und mit dem Lichte in der Hand gingen wir erſt gerade hinein, ſodann auch in eine groſſe und weite Seitenhoͤle, und als wir wieder aus dieſer her- vorkamen, verfolgten wir den geraden Weg mitten durch die

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/420>, abgerufen am 12.09.2024.