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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

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grossen Namen verschönert, das doch gegen alle Gesetze
der Billigkeit und Gerechtigkeit streitet! Die Lehrer des
Staatsrechts und der Geschichtskunde werden mich hier
verstehen.

Im Städtchen Haßlach fand ich im Wirthshause
zwanzig wallfarthende Personen, die auf dem Rückwe-
ge begriffen waren, und hier zusammen ein Frühstück
nahmen. Es waren Männer, Weiber, erwachsene
Töchter und ledige Söhne; lauter Vorderösterreichi-
sche Unterthanen, aus dem Dorfe Saspach, nicht weit
vom Rhein, da wo Turenne erschossen wurde. Sie
gestanden mir, daß sie von Marien-Einsiedel kämen,
und eine Reise von 55. Stunden gemacht hätten. Sie
waren schon acht Tage auf der Strasse, und brauchten
noch einige Tage, bis sie nach Hause kamen. Da ich
sehr wenig rathen wollte, aber doch von fünf bis sechs
Gulden sprach, die jedes unter ihnen auf dieser Wallfahrt
schon ausgegeben haben würde, so gestanden sie das sehr
gerne zu, und läugneten nicht, daß es auch noch grössere
Kosten machen könnte. Als ich sie um die Ursache die-
ser Reise fragte, und ihnen die Thorheit dieser Einbildung,
als wäre das Gebet zu Gott in Marien-Einsiedel kräf-
tiger als in Saspach, vorstellte, gab mir eine Frau sehr
vernünftig zur Antwort: Es käme in solchen Sachen nur
auf den Glauben, und auf das eigene Gewissen eines je-
den Menschen an. Wenn ich mich auch einmahl dazu in
meinem Gewissen verpflichtet fände, so würde ich auch
dorthin gehen. Indem ich dieser Frau wegen ihrem ir-
renden, aber doch zärtlichen Gewissen Recht geben muste,
so wurde ich auch mit innerm Unwillen über die gewissen-
lose Lehrer erfüllt, die das gutmüthige, lenksame Volk der

gemeinen

groſſen Namen verſchoͤnert, das doch gegen alle Geſetze
der Billigkeit und Gerechtigkeit ſtreitet! Die Lehrer des
Staatsrechts und der Geſchichtskunde werden mich hier
verſtehen.

Im Staͤdtchen Haßlach fand ich im Wirthshauſe
zwanzig wallfarthende Perſonen, die auf dem Ruͤckwe-
ge begriffen waren, und hier zuſammen ein Fruͤhſtuͤck
nahmen. Es waren Maͤnner, Weiber, erwachſene
Toͤchter und ledige Soͤhne; lauter Vorderoͤſterreichi-
ſche Unterthanen, aus dem Dorfe Saſpach, nicht weit
vom Rhein, da wo Turenne erſchoſſen wurde. Sie
geſtanden mir, daß ſie von Marien-Einſiedel kaͤmen,
und eine Reiſe von 55. Stunden gemacht haͤtten. Sie
waren ſchon acht Tage auf der Straſſe, und brauchten
noch einige Tage, bis ſie nach Hauſe kamen. Da ich
ſehr wenig rathen wollte, aber doch von fuͤnf bis ſechs
Gulden ſprach, die jedes unter ihnen auf dieſer Wallfahrt
ſchon ausgegeben haben wuͤrde, ſo geſtanden ſie das ſehr
gerne zu, und laͤugneten nicht, daß es auch noch groͤſſere
Koſten machen koͤnnte. Als ich ſie um die Urſache die-
ſer Reiſe fragte, und ihnen die Thorheit dieſer Einbildung,
als waͤre das Gebet zu Gott in Marien-Einſiedel kraͤf-
tiger als in Saſpach, vorſtellte, gab mir eine Frau ſehr
vernuͤnftig zur Antwort: Es kaͤme in ſolchen Sachen nur
auf den Glauben, und auf das eigene Gewiſſen eines je-
den Menſchen an. Wenn ich mich auch einmahl dazu in
meinem Gewiſſen verpflichtet faͤnde, ſo wuͤrde ich auch
dorthin gehen. Indem ich dieſer Frau wegen ihrem ir-
renden, aber doch zaͤrtlichen Gewiſſen Recht geben muſte,
ſo wurde ich auch mit innerm Unwillen uͤber die gewiſſen-
loſe Lehrer erfuͤllt, die das gutmuͤthige, lenkſame Volk der

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[354/0392] groſſen Namen verſchoͤnert, das doch gegen alle Geſetze der Billigkeit und Gerechtigkeit ſtreitet! Die Lehrer des Staatsrechts und der Geſchichtskunde werden mich hier verſtehen. Im Staͤdtchen Haßlach fand ich im Wirthshauſe zwanzig wallfarthende Perſonen, die auf dem Ruͤckwe- ge begriffen waren, und hier zuſammen ein Fruͤhſtuͤck nahmen. Es waren Maͤnner, Weiber, erwachſene Toͤchter und ledige Soͤhne; lauter Vorderoͤſterreichi- ſche Unterthanen, aus dem Dorfe Saſpach, nicht weit vom Rhein, da wo Turenne erſchoſſen wurde. Sie geſtanden mir, daß ſie von Marien-Einſiedel kaͤmen, und eine Reiſe von 55. Stunden gemacht haͤtten. Sie waren ſchon acht Tage auf der Straſſe, und brauchten noch einige Tage, bis ſie nach Hauſe kamen. Da ich ſehr wenig rathen wollte, aber doch von fuͤnf bis ſechs Gulden ſprach, die jedes unter ihnen auf dieſer Wallfahrt ſchon ausgegeben haben wuͤrde, ſo geſtanden ſie das ſehr gerne zu, und laͤugneten nicht, daß es auch noch groͤſſere Koſten machen koͤnnte. Als ich ſie um die Urſache die- ſer Reiſe fragte, und ihnen die Thorheit dieſer Einbildung, als waͤre das Gebet zu Gott in Marien-Einſiedel kraͤf- tiger als in Saſpach, vorſtellte, gab mir eine Frau ſehr vernuͤnftig zur Antwort: Es kaͤme in ſolchen Sachen nur auf den Glauben, und auf das eigene Gewiſſen eines je- den Menſchen an. Wenn ich mich auch einmahl dazu in meinem Gewiſſen verpflichtet faͤnde, ſo wuͤrde ich auch dorthin gehen. Indem ich dieſer Frau wegen ihrem ir- renden, aber doch zaͤrtlichen Gewiſſen Recht geben muſte, ſo wurde ich auch mit innerm Unwillen uͤber die gewiſſen- loſe Lehrer erfuͤllt, die das gutmuͤthige, lenkſame Volk der gemeinen

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/392>, abgerufen am 22.11.2024.