ihrer Stadt ein Pabst erwählet worden sei. Davon re- den sie immer im Siegeston, und ich fragte immer weh- müthig und traurig: Wo hat Huß gesessen? Wo ward er verurtheilt? Wo verbrannt?
Die Stephanuskirche, die Paulskirche, die Franziskanerkirche, sind alle bunt; besonders war, wegen der Ostertage, der Hochaltar der Franziskaner mit allen möglichen Farben geziert. Hie und da hängt ein gutes Gemälde, aber es ist alsdann gewaltig versteckt, und verliert viel von seinem Werth, unter dem Wust von schlechten Sachen. Ueberhaupt scheint es, als thä- te man in dieser Stadt für die Kunst gar nichts. Da muß man Costanz nicht mit Nürnberg und Augspurg vergleichen. Der Fanatismus ist desto grösser. Gan- ze Schaaren von Männern und Weibern lagen in der Kirche auf ihren Knien, und küßten sehr ehrerbietig den steinernen Fußboden neben dem Altar.
Die Domkirche, oder das Münster von Costanz ist wirklich schön, und meist nach neuem Geschmack ge- baut. Die Kirche ist weis, sehr hell, nicht zu gros, und doch majestätisch. Nicht weit vom mittlern oder Haupt- eingang sieht man noch im Fußboden der Kirche, eine grosse steinerne Platte, die fast 12. Schuh ins Gevierte hat, und doch ein einziger Stein ist. Es ist zu bewun- dern, wie man diese grosse Platte hereingebracht hat. Und das ist der Stein, auf dem man dem armen Huß die Weihung genommen hat, wie der Katholick sagt. Denn in dieser Kirche geschah die völlige Degradirung, nachdem er schon zum Tode bestimmt war. Unter der Kanzel steht statt des Fußgestells eine elende hölzerne Mannsfigur, die so monströs und unförmlich gemacht
ist,
ihrer Stadt ein Pabſt erwaͤhlet worden ſei. Davon re- den ſie immer im Siegeston, und ich fragte immer weh- muͤthig und traurig: Wo hat Huß geſeſſen? Wo ward er verurtheilt? Wo verbrannt?
Die Stephanuskirche, die Paulskirche, die Franziskanerkirche, ſind alle bunt; beſonders war, wegen der Oſtertage, der Hochaltar der Franziskaner mit allen moͤglichen Farben geziert. Hie und da haͤngt ein gutes Gemaͤlde, aber es iſt alsdann gewaltig verſteckt, und verliert viel von ſeinem Werth, unter dem Wuſt von ſchlechten Sachen. Ueberhaupt ſcheint es, als thaͤ- te man in dieſer Stadt fuͤr die Kunſt gar nichts. Da muß man Coſtanz nicht mit Nuͤrnberg und Augſpurg vergleichen. Der Fanatismus iſt deſto groͤſſer. Gan- ze Schaaren von Maͤnnern und Weibern lagen in der Kirche auf ihren Knien, und kuͤßten ſehr ehrerbietig den ſteinernen Fußboden neben dem Altar.
Die Domkirche, oder das Muͤnſter von Coſtanz iſt wirklich ſchoͤn, und meiſt nach neuem Geſchmack ge- baut. Die Kirche iſt weis, ſehr hell, nicht zu gros, und doch majeſtaͤtiſch. Nicht weit vom mittlern oder Haupt- eingang ſieht man noch im Fußboden der Kirche, eine groſſe ſteinerne Platte, die faſt 12. Schuh ins Gevierte hat, und doch ein einziger Stein iſt. Es iſt zu bewun- dern, wie man dieſe groſſe Platte hereingebracht hat. Und das iſt der Stein, auf dem man dem armen Huß die Weihung genommen hat, wie der Katholick ſagt. Denn in dieſer Kirche geſchah die voͤllige Degradirung, nachdem er ſchon zum Tode beſtimmt war. Unter der Kanzel ſteht ſtatt des Fußgeſtells eine elende hoͤlzerne Mannsfigur, die ſo monſtroͤs und unfoͤrmlich gemacht
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ihrer Stadt ein Pabſt erwaͤhlet worden ſei. Davon re-
den ſie immer im Siegeston, und ich fragte immer weh-
muͤthig und traurig: Wo hat Huß geſeſſen? Wo ward
er verurtheilt? Wo verbrannt?
Die Stephanuskirche, die Paulskirche, die
Franziskanerkirche, ſind alle bunt; beſonders war,
wegen der Oſtertage, der Hochaltar der Franziskaner mit
allen moͤglichen Farben geziert. Hie und da haͤngt ein
gutes Gemaͤlde, aber es iſt alsdann gewaltig verſteckt,
und verliert viel von ſeinem Werth, unter dem Wuſt
von ſchlechten Sachen. Ueberhaupt ſcheint es, als thaͤ-
te man in dieſer Stadt fuͤr die Kunſt gar nichts. Da
muß man Coſtanz nicht mit Nuͤrnberg und Augſpurg
vergleichen. Der Fanatismus iſt deſto groͤſſer. Gan-
ze Schaaren von Maͤnnern und Weibern lagen in der
Kirche auf ihren Knien, und kuͤßten ſehr ehrerbietig den
ſteinernen Fußboden neben dem Altar.
Die Domkirche, oder das Muͤnſter von Coſtanz
iſt wirklich ſchoͤn, und meiſt nach neuem Geſchmack ge-
baut. Die Kirche iſt weis, ſehr hell, nicht zu gros, und
doch majeſtaͤtiſch. Nicht weit vom mittlern oder Haupt-
eingang ſieht man noch im Fußboden der Kirche, eine
groſſe ſteinerne Platte, die faſt 12. Schuh ins Gevierte
hat, und doch ein einziger Stein iſt. Es iſt zu bewun-
dern, wie man dieſe groſſe Platte hereingebracht hat.
Und das iſt der Stein, auf dem man dem armen Huß
die Weihung genommen hat, wie der Katholick ſagt.
Denn in dieſer Kirche geſchah die voͤllige Degradirung,
nachdem er ſchon zum Tode beſtimmt war. Unter der
Kanzel ſteht ſtatt des Fußgeſtells eine elende hoͤlzerne
Mannsfigur, die ſo monſtroͤs und unfoͤrmlich gemacht
iſt,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/305>, abgerufen am 24.11.2024.
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