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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

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alle schlecht gebaut sind, -- aber sie ist entvölkert. Es
werden kaum 7000. Menschen darin seyn, und die Stadt
könnte 30000. fassen. Es liegen nicht viel Oesterreichi-
sche Soldaten da, die Stadt hält auch eine Bürgerwa-
che. Der an sich sehr kleine Hof des Bischoffs ist ge-
wöhnlich in Mersburg. Die geistliche Curia gibt in der
Stadt einen Ton an, der freilich nicht jedem gefällt; in
der ganzen Stadt sind gar keine Fabriken; der Religi-
onshaß hindert gar manches, Freiheit und Aufmunterung
fehlt, viele gute Anlagen verfallen, viele Vortheile blei-
ben ungenutzt; im Volke scheint es, ist etwas Kraft und
Trieb; man könnte Geist in sie wirken; sie klagen dem
Fremden, daß sie nicht sind, was sie werden könnten
und gewesen sind; sie sehen das Beispiel, und das Glück
ihrer geschäftigen Nachbarn in der Schweiz, und wün-
schen, daß es ihnen auch so gut würde.

Angenehm ist es, daß man innerhalb der Stadt,
und doch hinter der Stadt, ungesehen, theils unten, theils
in der Höhe, auf einem bedeckten hölzernen Gang um die
ganze Stadt herumspatzieren kan. Aber auch diesen stil-
len Gang, der für viele Menschen so angenehm ist, läßt
man verfallen.

Der Damm, oder die Fähre, die Rheede des Bo-
densees,
wo die Schiffe anlanden und auslaufen, ge-
hört gewis zu den reizendsten Plätzen, die ein Reisender
sehen kan. Man muß das Baumhaus in Hamburg,
das grosse Schifferhaus in Rotterdam, und den Ha-
fen
von Amsterdam freilich vergessen, wenn man da
steht; aber eben das, daß alles hier kleiner, stiller, ruhi-
ger ist, das war mir hier das Anziehendste dabei. Es
gehen immer nur sehr wenige, und nur kleine Nachen da

aus,
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alle ſchlecht gebaut ſind, — aber ſie iſt entvoͤlkert. Es
werden kaum 7000. Menſchen darin ſeyn, und die Stadt
koͤnnte 30000. faſſen. Es liegen nicht viel Oeſterreichi-
ſche Soldaten da, die Stadt haͤlt auch eine Buͤrgerwa-
che. Der an ſich ſehr kleine Hof des Biſchoffs iſt ge-
woͤhnlich in Mersburg. Die geiſtliche Curia gibt in der
Stadt einen Ton an, der freilich nicht jedem gefaͤllt; in
der ganzen Stadt ſind gar keine Fabriken; der Religi-
onshaß hindert gar manches, Freiheit und Aufmunterung
fehlt, viele gute Anlagen verfallen, viele Vortheile blei-
ben ungenutzt; im Volke ſcheint es, iſt etwas Kraft und
Trieb; man koͤnnte Geiſt in ſie wirken; ſie klagen dem
Fremden, daß ſie nicht ſind, was ſie werden koͤnnten
und geweſen ſind; ſie ſehen das Beiſpiel, und das Gluͤck
ihrer geſchaͤftigen Nachbarn in der Schweiz, und wuͤn-
ſchen, daß es ihnen auch ſo gut wuͤrde.

Angenehm iſt es, daß man innerhalb der Stadt,
und doch hinter der Stadt, ungeſehen, theils unten, theils
in der Hoͤhe, auf einem bedeckten hoͤlzernen Gang um die
ganze Stadt herumſpatzieren kan. Aber auch dieſen ſtil-
len Gang, der fuͤr viele Menſchen ſo angenehm iſt, laͤßt
man verfallen.

Der Damm, oder die Faͤhre, die Rheede des Bo-
denſees,
wo die Schiffe anlanden und auslaufen, ge-
hoͤrt gewis zu den reizendſten Plaͤtzen, die ein Reiſender
ſehen kan. Man muß das Baumhaus in Hamburg,
das groſſe Schifferhaus in Rotterdam, und den Ha-
fen
von Amſterdam freilich vergeſſen, wenn man da
ſteht; aber eben das, daß alles hier kleiner, ſtiller, ruhi-
ger iſt, das war mir hier das Anziehendſte dabei. Es
gehen immer nur ſehr wenige, und nur kleine Nachen da

aus,
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[265/0303] alle ſchlecht gebaut ſind, — aber ſie iſt entvoͤlkert. Es werden kaum 7000. Menſchen darin ſeyn, und die Stadt koͤnnte 30000. faſſen. Es liegen nicht viel Oeſterreichi- ſche Soldaten da, die Stadt haͤlt auch eine Buͤrgerwa- che. Der an ſich ſehr kleine Hof des Biſchoffs iſt ge- woͤhnlich in Mersburg. Die geiſtliche Curia gibt in der Stadt einen Ton an, der freilich nicht jedem gefaͤllt; in der ganzen Stadt ſind gar keine Fabriken; der Religi- onshaß hindert gar manches, Freiheit und Aufmunterung fehlt, viele gute Anlagen verfallen, viele Vortheile blei- ben ungenutzt; im Volke ſcheint es, iſt etwas Kraft und Trieb; man koͤnnte Geiſt in ſie wirken; ſie klagen dem Fremden, daß ſie nicht ſind, was ſie werden koͤnnten und geweſen ſind; ſie ſehen das Beiſpiel, und das Gluͤck ihrer geſchaͤftigen Nachbarn in der Schweiz, und wuͤn- ſchen, daß es ihnen auch ſo gut wuͤrde. Angenehm iſt es, daß man innerhalb der Stadt, und doch hinter der Stadt, ungeſehen, theils unten, theils in der Hoͤhe, auf einem bedeckten hoͤlzernen Gang um die ganze Stadt herumſpatzieren kan. Aber auch dieſen ſtil- len Gang, der fuͤr viele Menſchen ſo angenehm iſt, laͤßt man verfallen. Der Damm, oder die Faͤhre, die Rheede des Bo- denſees, wo die Schiffe anlanden und auslaufen, ge- hoͤrt gewis zu den reizendſten Plaͤtzen, die ein Reiſender ſehen kan. Man muß das Baumhaus in Hamburg, das groſſe Schifferhaus in Rotterdam, und den Ha- fen von Amſterdam freilich vergeſſen, wenn man da ſteht; aber eben das, daß alles hier kleiner, ſtiller, ruhi- ger iſt, das war mir hier das Anziehendſte dabei. Es gehen immer nur ſehr wenige, und nur kleine Nachen da aus, R 5

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/303>, abgerufen am 09.05.2024.