6. Stunden davon. Vor der Stadt ist eine Brücke darüber gebaut, unter welcher sie schon sehr breit und rau- schend vorbeifließt, weil man in der Mitte einen Abfall hineingebaut hat, wie in den Neckar vor Canstatt. Solche Plätze liebe ich ungemein; am Abend war ich beim Untergang der Sonne hier, und konnte gar nicht wegkommen. Durch wilde Wasser aus den Bergen wird die Donau öfters so gros, daß sie übertritt, das ganze Thal einnimmt und in die Stadt kommt.
In Duttlingen ist alles noch mehr Schwarzwäl- disch, als bisher. Fast alle Personen von beiderlei Ge- schlecht sind starke, dicke, in der Grösse mittelmässige, aber runde, stammhafte Menschen, mit gesundem Blut und derben Fleisch. Man heizte noch in jedem Zimmer ein, und die Leute können, wie alle Bauern, starke Hitze ertragen. Noch war hier kein Lattich, noch war kein Ret- tich zu bekommen. Im Felde und Garten waren noch sehr wenige Blüten. Am Morgen war ein starker Reif und ziemlicher Frost eingefallen. Die kleinen eßbaren Hopfen, die in unsrer Gegend schon lange vorbey wa- ren, und anfingen mit den Spargeln abzuwechseln, fin- gen hier erst an. Die Viehzucht ist beträchtlich in diesem Städtchen. Ihr bestes Brod ist Spelzbrod. Der Karakter der Leute ist Offenherzigkeit, Ehrlichkeit, Mun- terkeit, Lustigkeit ohne Ausgelassenheit und Wildheit, selbst an Feiertägen!
Man sagte mir hier den nächsten Weg nach Costanz, und ich ritt zwischen zwei Poststrassen, zwischen Engen, Stockach und Zell am Untersee, auf einer Strasse, die nur Fuhrleute machen, und die ich mir meistens mu- ste zeigen lassen, über einige Glashütten, über ein ade-
liches
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6. Stunden davon. Vor der Stadt iſt eine Bruͤcke daruͤber gebaut, unter welcher ſie ſchon ſehr breit und rau- ſchend vorbeifließt, weil man in der Mitte einen Abfall hineingebaut hat, wie in den Neckar vor Canſtatt. Solche Plaͤtze liebe ich ungemein; am Abend war ich beim Untergang der Sonne hier, und konnte gar nicht wegkommen. Durch wilde Waſſer aus den Bergen wird die Donau oͤfters ſo gros, daß ſie uͤbertritt, das ganze Thal einnimmt und in die Stadt kommt.
In Duttlingen iſt alles noch mehr Schwarzwaͤl- diſch, als bisher. Faſt alle Perſonen von beiderlei Ge- ſchlecht ſind ſtarke, dicke, in der Groͤſſe mittelmaͤſſige, aber runde, ſtammhafte Menſchen, mit geſundem Blut und derben Fleiſch. Man heizte noch in jedem Zimmer ein, und die Leute koͤnnen, wie alle Bauern, ſtarke Hitze ertragen. Noch war hier kein Lattich, noch war kein Ret- tich zu bekommen. Im Felde und Garten waren noch ſehr wenige Bluͤten. Am Morgen war ein ſtarker Reif und ziemlicher Froſt eingefallen. Die kleinen eßbaren Hopfen, die in unſrer Gegend ſchon lange vorbey wa- ren, und anfingen mit den Spargeln abzuwechſeln, fin- gen hier erſt an. Die Viehzucht iſt betraͤchtlich in dieſem Staͤdtchen. Ihr beſtes Brod iſt Spelzbrod. Der Karakter der Leute iſt Offenherzigkeit, Ehrlichkeit, Mun- terkeit, Luſtigkeit ohne Ausgelaſſenheit und Wildheit, ſelbſt an Feiertaͤgen!
Man ſagte mir hier den naͤchſten Weg nach Coſtanz, und ich ritt zwiſchen zwei Poſtſtraſſen, zwiſchen Engen, Stockach und Zell am Unterſee, auf einer Straſſe, die nur Fuhrleute machen, und die ich mir meiſtens mu- ſte zeigen laſſen, uͤber einige Glashuͤtten, uͤber ein ade-
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6. Stunden davon. Vor der Stadt iſt eine Bruͤcke
daruͤber gebaut, unter welcher ſie ſchon ſehr breit und rau-
ſchend vorbeifließt, weil man in der Mitte einen Abfall
hineingebaut hat, wie in den Neckar vor Canſtatt.
Solche Plaͤtze liebe ich ungemein; am Abend war ich
beim Untergang der Sonne hier, und konnte gar nicht
wegkommen. Durch wilde Waſſer aus den Bergen wird
die Donau oͤfters ſo gros, daß ſie uͤbertritt, das ganze
Thal einnimmt und in die Stadt kommt.
In Duttlingen iſt alles noch mehr Schwarzwaͤl-
diſch, als bisher. Faſt alle Perſonen von beiderlei Ge-
ſchlecht ſind ſtarke, dicke, in der Groͤſſe mittelmaͤſſige,
aber runde, ſtammhafte Menſchen, mit geſundem Blut
und derben Fleiſch. Man heizte noch in jedem Zimmer
ein, und die Leute koͤnnen, wie alle Bauern, ſtarke Hitze
ertragen. Noch war hier kein Lattich, noch war kein Ret-
tich zu bekommen. Im Felde und Garten waren noch
ſehr wenige Bluͤten. Am Morgen war ein ſtarker Reif
und ziemlicher Froſt eingefallen. Die kleinen eßbaren
Hopfen, die in unſrer Gegend ſchon lange vorbey wa-
ren, und anfingen mit den Spargeln abzuwechſeln, fin-
gen hier erſt an. Die Viehzucht iſt betraͤchtlich in dieſem
Staͤdtchen. Ihr beſtes Brod iſt Spelzbrod. Der
Karakter der Leute iſt Offenherzigkeit, Ehrlichkeit, Mun-
terkeit, Luſtigkeit ohne Ausgelaſſenheit und Wildheit, ſelbſt
an Feiertaͤgen!
Man ſagte mir hier den naͤchſten Weg nach Coſtanz,
und ich ritt zwiſchen zwei Poſtſtraſſen, zwiſchen Engen,
Stockach und Zell am Unterſee, auf einer Straſſe,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/299>, abgerufen am 30.11.2024.
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