die Offizianten, und Wohnzimmer für die Herrschaft. Darneben Schlafstuben, Kabinetter, Gewehrzimmer, und in der Ecke ein Saal von neun Kreuzstöcken mit ei- nem Balkon vor dem Fenster. Allein, alle diese Zimmer sind leer, öde und wüste. Man sagte mir, der Fürst hätte ehemals jährlich für die Unterhaltung des Schlos- ses 6000. Gulden, und einige Wagen voll Tyroler Wein gehabt, jetzt aber habe er jährlich nur 1000. Wiener Gul- den. Die Aussicht auf diesem Berge ist zum Entzücken. Man sieht über viele Berge weg in entfernte Länder, aber nach dem Elsaß ist die Aussicht durch einen waldichten Berg verdeckt. Bei hellem Wetter soll man, sonderlich am Morgen, mit einem mässigen Fernrohre zweihundert Oerter überschauen können. Es ist so hoch, daß man das Wehen der Luft immer recht stark empfindet. Wind und Donnerwetter sollen, wie die Wächter erzählen, entsetzlich in dem leeren Gebäude rasen. Im Winter ist die Kälte ebenfalls ausserordentlich strenge. Der Berg hat einige Seiten, die wegen der jähen Gestalt, und ihrer schwin- delnden Höhe von niemanden können bestiegen werden. Man sieht noch die Strasse, deren man sich ehemals mit Kutschen und Pferden bediente. Es ist gemeiniglich nie- mand oben als einige alte abgelebte Soldaten. In die- sem Jahrhunderte machten die Franzosen einmal einen reichen Fischzug auf Zollern. Ganze Fässer von Mehl, Wein, Ammunition etc. wurden weggeführt, und auch aus dem Zeughause ward manches fortgeschleppt. Aber ein Korps Oesterreichischer Husaren überfiel sie plötzlich, und jagte sie auch so in Angst, daß sie das Fleisch auf dem Tische stehn liessen und den Rückweg suchten. -- Ich verlies diese schöne, und nun so verödete Höhe mit dem betrübten Gedanken an die menschliche Hinfälligkeit, und
Ver-
Zweiter Theil. R
die Offizianten, und Wohnzimmer fuͤr die Herrſchaft. Darneben Schlafſtuben, Kabinetter, Gewehrzimmer, und in der Ecke ein Saal von neun Kreuzſtoͤcken mit ei- nem Balkon vor dem Fenſter. Allein, alle dieſe Zimmer ſind leer, oͤde und wuͤſte. Man ſagte mir, der Fuͤrſt haͤtte ehemals jaͤhrlich fuͤr die Unterhaltung des Schloſ- ſes 6000. Gulden, und einige Wagen voll Tyroler Wein gehabt, jetzt aber habe er jaͤhrlich nur 1000. Wiener Gul- den. Die Ausſicht auf dieſem Berge iſt zum Entzuͤcken. Man ſieht uͤber viele Berge weg in entfernte Laͤnder, aber nach dem Elſaß iſt die Ausſicht durch einen waldichten Berg verdeckt. Bei hellem Wetter ſoll man, ſonderlich am Morgen, mit einem maͤſſigen Fernrohre zweihundert Oerter uͤberſchauen koͤnnen. Es iſt ſo hoch, daß man das Wehen der Luft immer recht ſtark empfindet. Wind und Donnerwetter ſollen, wie die Waͤchter erzaͤhlen, entſetzlich in dem leeren Gebaͤude raſen. Im Winter iſt die Kaͤlte ebenfalls auſſerordentlich ſtrenge. Der Berg hat einige Seiten, die wegen der jaͤhen Geſtalt, und ihrer ſchwin- delnden Hoͤhe von niemanden koͤnnen beſtiegen werden. Man ſieht noch die Straſſe, deren man ſich ehemals mit Kutſchen und Pferden bediente. Es iſt gemeiniglich nie- mand oben als einige alte abgelebte Soldaten. In die- ſem Jahrhunderte machten die Franzoſen einmal einen reichen Fiſchzug auf Zollern. Ganze Faͤſſer von Mehl, Wein, Ammunition ꝛc. wurden weggefuͤhrt, und auch aus dem Zeughauſe ward manches fortgeſchleppt. Aber ein Korps Oeſterreichiſcher Huſaren uͤberfiel ſie ploͤtzlich, und jagte ſie auch ſo in Angſt, daß ſie das Fleiſch auf dem Tiſche ſtehn lieſſen und den Ruͤckweg ſuchten. — Ich verlies dieſe ſchoͤne, und nun ſo veroͤdete Hoͤhe mit dem betruͤbten Gedanken an die menſchliche Hinfaͤlligkeit, und
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die Offizianten, und Wohnzimmer fuͤr die Herrſchaft.
Darneben Schlafſtuben, Kabinetter, Gewehrzimmer,
und in der Ecke ein Saal von neun Kreuzſtoͤcken mit ei-
nem Balkon vor dem Fenſter. Allein, alle dieſe Zimmer
ſind leer, oͤde und wuͤſte. Man ſagte mir, der Fuͤrſt
haͤtte ehemals jaͤhrlich fuͤr die Unterhaltung des Schloſ-
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gehabt, jetzt aber habe er jaͤhrlich nur 1000. Wiener Gul-
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Man ſieht uͤber viele Berge weg in entfernte Laͤnder, aber
nach dem Elſaß iſt die Ausſicht durch einen waldichten
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am Morgen, mit einem maͤſſigen Fernrohre zweihundert
Oerter uͤberſchauen koͤnnen. Es iſt ſo hoch, daß man das
Wehen der Luft immer recht ſtark empfindet. Wind und
Donnerwetter ſollen, wie die Waͤchter erzaͤhlen, entſetzlich
in dem leeren Gebaͤude raſen. Im Winter iſt die Kaͤlte
ebenfalls auſſerordentlich ſtrenge. Der Berg hat einige
Seiten, die wegen der jaͤhen Geſtalt, und ihrer ſchwin-
delnden Hoͤhe von niemanden koͤnnen beſtiegen werden.
Man ſieht noch die Straſſe, deren man ſich ehemals mit
Kutſchen und Pferden bediente. Es iſt gemeiniglich nie-
mand oben als einige alte abgelebte Soldaten. In die-
ſem Jahrhunderte machten die Franzoſen einmal einen
reichen Fiſchzug auf Zollern. Ganze Faͤſſer von Mehl,
Wein, Ammunition ꝛc. wurden weggefuͤhrt, und auch
aus dem Zeughauſe ward manches fortgeſchleppt. Aber
ein Korps Oeſterreichiſcher Huſaren uͤberfiel ſie ploͤtzlich,
und jagte ſie auch ſo in Angſt, daß ſie das Fleiſch auf
dem Tiſche ſtehn lieſſen und den Ruͤckweg ſuchten. — Ich
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/295>, abgerufen am 30.11.2024.
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