tzen: Wenn mich mein Vaterland auch dafür belohnt, daß ich auf das Studium der Natur so manches hundert Gulden wende, so manche Bequemlichkeit entbehre, die sich andre neben mir verschaffen, und mich zu dem be- schwerlichen Amte des öffentlichen Unterrichts immer tüch- tiger mache. -- Aber, ich habe mich schon gewöhnt, diese Gedanken zu unterdrücken. Die Wissenschaften sterben meistens, wenn sie sich nicht selber helfen können, und von der Pflege andrer leben müssen. Ich bin, wie eine Pflanze in einem Boden, der eben nicht sehr wuchert. Wenn unsre Musen wie das Thier wären, von dem die Fabel sagt, es lebe von der Luft, so käme Deutschland allen andern Nationen in Ruhm der Gelehrsamkeit vor, aber zum Unglück wollen die schönen Kinder auch Saft haben. Ich habe seit einigen Jahren Erfahrungen in der Menschenwelt gemacht, die eben so unerwartet sind, als die neuen Entdeckungen in der Thiergeschichte. Täg- lich sehe ich es mehr, daß in der Welt gar viel Wind, Lügen, Unwahrheit und falscher Schein ist. Oft ist man mit dem besten Herzen, und mit dem feurigsten Ent- schluß, seinen Mitbrüdern nützlich zu werden, nicht mehr weit von dem traurigen Wunsch, daß man nicht mehr gelernt hätte, als so viele, die mit dem ganz gewöhnlich- sten Schlendrian in der Welt fortkommen, und steigen, als wenn sie das Original der Menschheit wären. Doch ist der Anblick der Natur, und ihrer Prachtstücke mit Kopf und Gefühl dagegen ein herrliches Mittel, und es ist eine Güte vom Schöpfer, daß er in das Innre der Wissenschaften einen gewissen Reiz legte, der die junge Seele immer stärker an sich zieht, wenn man gleich vor Augen sieht, daß man im Tempel der Wissenschaften nie ein äusserliches Glück machen werde. Shakespear sagt:
"Wissen-
tzen: Wenn mich mein Vaterland auch dafuͤr belohnt, daß ich auf das Studium der Natur ſo manches hundert Gulden wende, ſo manche Bequemlichkeit entbehre, die ſich andre neben mir verſchaffen, und mich zu dem be- ſchwerlichen Amte des oͤffentlichen Unterrichts immer tuͤch- tiger mache. — Aber, ich habe mich ſchon gewoͤhnt, dieſe Gedanken zu unterdruͤcken. Die Wiſſenſchaften ſterben meiſtens, wenn ſie ſich nicht ſelber helfen koͤnnen, und von der Pflege andrer leben muͤſſen. Ich bin, wie eine Pflanze in einem Boden, der eben nicht ſehr wuchert. Wenn unſre Muſen wie das Thier waͤren, von dem die Fabel ſagt, es lebe von der Luft, ſo kaͤme Deutſchland allen andern Nationen in Ruhm der Gelehrſamkeit vor, aber zum Ungluͤck wollen die ſchoͤnen Kinder auch Saft haben. Ich habe ſeit einigen Jahren Erfahrungen in der Menſchenwelt gemacht, die eben ſo unerwartet ſind, als die neuen Entdeckungen in der Thiergeſchichte. Taͤg- lich ſehe ich es mehr, daß in der Welt gar viel Wind, Luͤgen, Unwahrheit und falſcher Schein iſt. Oft iſt man mit dem beſten Herzen, und mit dem feurigſten Ent- ſchluß, ſeinen Mitbruͤdern nuͤtzlich zu werden, nicht mehr weit von dem traurigen Wunſch, daß man nicht mehr gelernt haͤtte, als ſo viele, die mit dem ganz gewoͤhnlich- ſten Schlendrian in der Welt fortkommen, und ſteigen, als wenn ſie das Original der Menſchheit waͤren. Doch iſt der Anblick der Natur, und ihrer Prachtſtuͤcke mit Kopf und Gefuͤhl dagegen ein herrliches Mittel, und es iſt eine Guͤte vom Schoͤpfer, daß er in das Innre der Wiſſenſchaften einen gewiſſen Reiz legte, der die junge Seele immer ſtaͤrker an ſich zieht, wenn man gleich vor Augen ſieht, daß man im Tempel der Wiſſenſchaften nie ein aͤuſſerliches Gluͤck machen werde. Shakeſpear ſagt:
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tzen: Wenn mich mein Vaterland auch dafuͤr belohnt,
daß ich auf das Studium der Natur ſo manches hundert
Gulden wende, ſo manche Bequemlichkeit entbehre, die
ſich andre neben mir verſchaffen, und mich zu dem be-
ſchwerlichen Amte des oͤffentlichen Unterrichts immer tuͤch-
tiger mache. — Aber, ich habe mich ſchon gewoͤhnt,
dieſe Gedanken zu unterdruͤcken. Die Wiſſenſchaften
ſterben meiſtens, wenn ſie ſich nicht ſelber helfen koͤnnen,
und von der Pflege andrer leben muͤſſen. Ich bin, wie
eine Pflanze in einem Boden, der eben nicht ſehr wuchert.
Wenn unſre Muſen wie das Thier waͤren, von dem die
Fabel ſagt, es lebe von der Luft, ſo kaͤme Deutſchland
allen andern Nationen in Ruhm der Gelehrſamkeit vor,
aber zum Ungluͤck wollen die ſchoͤnen Kinder auch Saft
haben. Ich habe ſeit einigen Jahren Erfahrungen in
der Menſchenwelt gemacht, die eben ſo unerwartet ſind,
als die neuen Entdeckungen in der Thiergeſchichte. Taͤg-
lich ſehe ich es mehr, daß in der Welt gar viel Wind,
Luͤgen, Unwahrheit und falſcher Schein iſt. Oft iſt
man mit dem beſten Herzen, und mit dem feurigſten Ent-
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weit von dem traurigen Wunſch, daß man nicht mehr
gelernt haͤtte, als ſo viele, die mit dem ganz gewoͤhnlich-
ſten Schlendrian in der Welt fortkommen, und ſteigen,
als wenn ſie das Original der Menſchheit waͤren. Doch
iſt der Anblick der Natur, und ihrer Prachtſtuͤcke mit
Kopf und Gefuͤhl dagegen ein herrliches Mittel, und es
iſt eine Guͤte vom Schoͤpfer, daß er in das Innre der
Wiſſenſchaften einen gewiſſen Reiz legte, der die junge
Seele immer ſtaͤrker an ſich zieht, wenn man gleich vor
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„Wiſſen-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/284>, abgerufen am 29.11.2024.
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