Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Bauern in Deutschland haben sie sehr schlechte Begrif-
te, und bedauern sie, weil sie nicht frei wären. Ich frag-
te den Mann, wo denn die Nachkommen endlich den
Brand hernehmen würden, wenn das ganze Land ausge-
leert würde? da wünschte er mir, daß ich so lange kein
Zahnweh haben möchte, bis es mit ihnen so weit gekom-
men wäre. -- Wie viel Reitzendes, Angenehmes, Un-
schuldiges ist nicht in dieser Lebensart! Daß sich die Torf-
gruben nach Jahrhunderten wieder mit Torf anfüllten,
kam ihm sehr unwahrscheinlich vor. Er wies mir seinen
Kuhstall, eine Stube, viel saubrer und reinlicher, als
tausend Wohnstuben in Deutschland. Es war we-
der Krippe noch Raufe darin. Man wirft dem Vieh
das Futter auf den Boden. Die Kühe stehen auf einer
Erhöhung von Balken, und werden so gewöhnt, daß sie
allen Unflath unter diese Erhöhung in eine Rinne fallen
lassen, wodurch alles weggeschaft wird. Etwas Stroh
streuen sie dem Vieh, des Niederliegens wegen, unter,
aber nicht viel. Man wird auch kein Stück Vieh in
Holland sehen, das auf den Hinterbacken mit verhärte-
tem Koth bedeckt ist, wie in Deutschland. Im Som-
mer sind sie immer im Felde, da wäscht sie der Regen
ab, und im Winter putzt und wäscht man sie. Im
Stalle stinkt es nicht im geringsten. Es sind Fenster
darin, nicht blos Laden. Sie haben ihn gleich neben der
Wohnstube. Sie können die Rinne zudecken, und ma-
chen im Sommer eine Arbeitsstube, eine Schlafkammer,
aus dem Kuhstall. Oben auf der Bühne liegt das Heu.
Der Dünger kan keinen grossen Werth haben, weil
man nur selten einige kleine Fruchtplätze sieht. Die Hol-
länder holen ihr Getreide aus Pohlen, Deutschland etc.
Die Magazine sind beständig gefüllt. Auf dem Lande

ist

Bauern in Deutſchland haben ſie ſehr ſchlechte Begrif-
te, und bedauern ſie, weil ſie nicht frei waͤren. Ich frag-
te den Mann, wo denn die Nachkommen endlich den
Brand hernehmen wuͤrden, wenn das ganze Land ausge-
leert wuͤrde? da wuͤnſchte er mir, daß ich ſo lange kein
Zahnweh haben moͤchte, bis es mit ihnen ſo weit gekom-
men waͤre. — Wie viel Reitzendes, Angenehmes, Un-
ſchuldiges iſt nicht in dieſer Lebensart! Daß ſich die Torf-
gruben nach Jahrhunderten wieder mit Torf anfuͤllten,
kam ihm ſehr unwahrſcheinlich vor. Er wies mir ſeinen
Kuhſtall, eine Stube, viel ſaubrer und reinlicher, als
tauſend Wohnſtuben in Deutſchland. Es war we-
der Krippe noch Raufe darin. Man wirft dem Vieh
das Futter auf den Boden. Die Kuͤhe ſtehen auf einer
Erhoͤhung von Balken, und werden ſo gewoͤhnt, daß ſie
allen Unflath unter dieſe Erhoͤhung in eine Rinne fallen
laſſen, wodurch alles weggeſchaft wird. Etwas Stroh
ſtreuen ſie dem Vieh, des Niederliegens wegen, unter,
aber nicht viel. Man wird auch kein Stuͤck Vieh in
Holland ſehen, das auf den Hinterbacken mit verhaͤrte-
tem Koth bedeckt iſt, wie in Deutſchland. Im Som-
mer ſind ſie immer im Felde, da waͤſcht ſie der Regen
ab, und im Winter putzt und waͤſcht man ſie. Im
Stalle ſtinkt es nicht im geringſten. Es ſind Fenſter
darin, nicht blos Laden. Sie haben ihn gleich neben der
Wohnſtube. Sie koͤnnen die Rinne zudecken, und ma-
chen im Sommer eine Arbeitsſtube, eine Schlafkammer,
aus dem Kuhſtall. Oben auf der Buͤhne liegt das Heu.
Der Duͤnger kan keinen groſſen Werth haben, weil
man nur ſelten einige kleine Fruchtplaͤtze ſieht. Die Hol-
laͤnder holen ihr Getreide aus Pohlen, Deutſchland ꝛc.
Die Magazine ſind beſtaͤndig gefuͤllt. Auf dem Lande

iſt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0534" n="510"/>
Bauern in <hi rendition="#fr">Deut&#x017F;chland</hi> haben &#x017F;ie &#x017F;ehr &#x017F;chlechte Begrif-<lb/>
te, und bedauern &#x017F;ie, weil &#x017F;ie nicht frei wa&#x0364;ren. Ich frag-<lb/>
te den Mann, wo denn die Nachkommen endlich den<lb/>
Brand hernehmen wu&#x0364;rden, wenn das ganze Land ausge-<lb/>
leert wu&#x0364;rde? da wu&#x0364;n&#x017F;chte er mir, daß ich &#x017F;o lange kein<lb/>
Zahnweh haben mo&#x0364;chte, bis es mit ihnen &#x017F;o weit gekom-<lb/>
men wa&#x0364;re. &#x2014; Wie viel Reitzendes, Angenehmes, Un-<lb/>
&#x017F;chuldiges i&#x017F;t nicht in die&#x017F;er Lebensart! Daß &#x017F;ich die Torf-<lb/>
gruben nach Jahrhunderten wieder mit Torf anfu&#x0364;llten,<lb/>
kam ihm &#x017F;ehr unwahr&#x017F;cheinlich vor. Er wies mir &#x017F;einen<lb/><hi rendition="#fr">Kuh&#x017F;tall,</hi> eine Stube, viel &#x017F;aubrer und reinlicher, als<lb/>
tau&#x017F;end Wohn&#x017F;tuben in <hi rendition="#fr">Deut&#x017F;chland.</hi> Es war we-<lb/>
der Krippe noch Raufe darin. Man wirft dem Vieh<lb/>
das Futter auf den Boden. Die Ku&#x0364;he &#x017F;tehen auf einer<lb/>
Erho&#x0364;hung von Balken, und werden &#x017F;o gewo&#x0364;hnt, daß &#x017F;ie<lb/>
allen Unflath unter die&#x017F;e Erho&#x0364;hung in eine Rinne fallen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, wodurch alles wegge&#x017F;chaft wird. Etwas Stroh<lb/>
&#x017F;treuen &#x017F;ie dem Vieh, des Niederliegens wegen, unter,<lb/>
aber nicht viel. Man wird auch kein Stu&#x0364;ck Vieh in<lb/><hi rendition="#fr">Holland</hi> &#x017F;ehen, das auf den Hinterbacken mit verha&#x0364;rte-<lb/>
tem Koth bedeckt i&#x017F;t, wie in <hi rendition="#fr">Deut&#x017F;chland.</hi> Im Som-<lb/>
mer &#x017F;ind &#x017F;ie immer im Felde, da wa&#x0364;&#x017F;cht &#x017F;ie der Regen<lb/>
ab, und im Winter putzt und wa&#x0364;&#x017F;cht man &#x017F;ie. Im<lb/>
Stalle &#x017F;tinkt es nicht im gering&#x017F;ten. Es &#x017F;ind Fen&#x017F;ter<lb/>
darin, nicht blos Laden. Sie haben ihn gleich neben der<lb/>
Wohn&#x017F;tube. Sie ko&#x0364;nnen die Rinne zudecken, und ma-<lb/>
chen im Sommer eine Arbeits&#x017F;tube, eine Schlafkammer,<lb/>
aus dem Kuh&#x017F;tall. Oben auf der Bu&#x0364;hne liegt das Heu.<lb/>
Der Du&#x0364;nger kan keinen gro&#x017F;&#x017F;en Werth haben, weil<lb/>
man nur &#x017F;elten einige kleine Fruchtpla&#x0364;tze &#x017F;ieht. Die Hol-<lb/>
la&#x0364;nder holen ihr Getreide aus <hi rendition="#fr">Pohlen, Deut&#x017F;chland</hi> &#xA75B;c.<lb/>
Die Magazine &#x017F;ind be&#x017F;ta&#x0364;ndig gefu&#x0364;llt. Auf dem Lande<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">i&#x017F;t</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[510/0534] Bauern in Deutſchland haben ſie ſehr ſchlechte Begrif- te, und bedauern ſie, weil ſie nicht frei waͤren. Ich frag- te den Mann, wo denn die Nachkommen endlich den Brand hernehmen wuͤrden, wenn das ganze Land ausge- leert wuͤrde? da wuͤnſchte er mir, daß ich ſo lange kein Zahnweh haben moͤchte, bis es mit ihnen ſo weit gekom- men waͤre. — Wie viel Reitzendes, Angenehmes, Un- ſchuldiges iſt nicht in dieſer Lebensart! Daß ſich die Torf- gruben nach Jahrhunderten wieder mit Torf anfuͤllten, kam ihm ſehr unwahrſcheinlich vor. Er wies mir ſeinen Kuhſtall, eine Stube, viel ſaubrer und reinlicher, als tauſend Wohnſtuben in Deutſchland. Es war we- der Krippe noch Raufe darin. Man wirft dem Vieh das Futter auf den Boden. Die Kuͤhe ſtehen auf einer Erhoͤhung von Balken, und werden ſo gewoͤhnt, daß ſie allen Unflath unter dieſe Erhoͤhung in eine Rinne fallen laſſen, wodurch alles weggeſchaft wird. Etwas Stroh ſtreuen ſie dem Vieh, des Niederliegens wegen, unter, aber nicht viel. Man wird auch kein Stuͤck Vieh in Holland ſehen, das auf den Hinterbacken mit verhaͤrte- tem Koth bedeckt iſt, wie in Deutſchland. Im Som- mer ſind ſie immer im Felde, da waͤſcht ſie der Regen ab, und im Winter putzt und waͤſcht man ſie. Im Stalle ſtinkt es nicht im geringſten. Es ſind Fenſter darin, nicht blos Laden. Sie haben ihn gleich neben der Wohnſtube. Sie koͤnnen die Rinne zudecken, und ma- chen im Sommer eine Arbeitsſtube, eine Schlafkammer, aus dem Kuhſtall. Oben auf der Buͤhne liegt das Heu. Der Duͤnger kan keinen groſſen Werth haben, weil man nur ſelten einige kleine Fruchtplaͤtze ſieht. Die Hol- laͤnder holen ihr Getreide aus Pohlen, Deutſchland ꝛc. Die Magazine ſind beſtaͤndig gefuͤllt. Auf dem Lande iſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/534
Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 510. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/534>, abgerufen am 23.11.2024.