pres und Horas, und sind zum Predigen und Katechi- siren zu faul. -- Welch ein Unterschied zwischen diesen und den ersten Zeiten der christlichen Kirche! Christus und seine Apostel hatten kein andres Geschäft, als den Unterricht des Volks. Für sie war jeder Ort gut genug. Die katholische Religion baut ungeheure Tempel, schmückt sie mit allen Werken der Kunst, überzieht sie mit Gold, und läßt sie das unwissende Volk angaffen.
Die Bibliothek der Abtei St. Amand. Ei- ner von den Mönchen ging bei mir vorbei, als ich in der Kirche etwas in meine Schreibtafel schrieb. Da dachte er vielleicht, der dürfte wohl kein Laye seyn, und befahl dem Pförtner, mir auch ihre Bibliothek zu zeigen. Ich fand einen grossen, schönen, hellen Saal, wo alles wohl eingerichtet war. Ueber jedem Schranke stand eine Ta- fel mit der Inschrift der Materie der Bücher. Die Bü- cher aus meinem Fache standen bei der Medizin. Viel Moralisten, Ascetiker, Kirchenväter etc. waren da. Ue- ber dem Eingange stand das Motto: Sapientia aedi- ficavit sibi domum. In dem Gebäude selber sind Brunnen und Fontainen vor den Thüren. Nachmittags reißt ich von da ab, und ging
Les Fontaines de l'Abbaye St. Amand zu be- sehen, die eine halbe Stunde davon liegen. Vor dem Thore des Städtchens auf dieser Seite findet man Schif- fe auf der Scarpe, die 100. Schuh lang, 14. Schuh und 7. Zoll breit sind, nach Cale, Lille etc. gehen, und Steinkohlen, Holz etc. hohlen. Man findet ein Dorf, das 2. lange Strassen hat, die wie ein Winkelhaken, an- einander stossen. Fast alle Häuser sind Aubergen, Caba- rets, Traiteurs etc. Die vornehmsten sind: Le petit
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pres und Horas, und ſind zum Predigen und Katechi- ſiren zu faul. — Welch ein Unterſchied zwiſchen dieſen und den erſten Zeiten der chriſtlichen Kirche! Chriſtus und ſeine Apoſtel hatten kein andres Geſchaͤft, als den Unterricht des Volks. Fuͤr ſie war jeder Ort gut genug. Die katholiſche Religion baut ungeheure Tempel, ſchmuͤckt ſie mit allen Werken der Kunſt, uͤberzieht ſie mit Gold, und laͤßt ſie das unwiſſende Volk angaffen.
Die Bibliothek der Abtei St. Amand. Ei- ner von den Moͤnchen ging bei mir vorbei, als ich in der Kirche etwas in meine Schreibtafel ſchrieb. Da dachte er vielleicht, der duͤrfte wohl kein Laye ſeyn, und befahl dem Pfoͤrtner, mir auch ihre Bibliothek zu zeigen. Ich fand einen groſſen, ſchoͤnen, hellen Saal, wo alles wohl eingerichtet war. Ueber jedem Schranke ſtand eine Ta- fel mit der Inſchrift der Materie der Buͤcher. Die Buͤ- cher aus meinem Fache ſtanden bei der Medizin. Viel Moraliſten, Aſcetiker, Kirchenvaͤter ꝛc. waren da. Ue- ber dem Eingange ſtand das Motto: Sapientia aedi- ficavit ſibi domum. In dem Gebaͤude ſelber ſind Brunnen und Fontainen vor den Thuͤren. Nachmittags reißt ich von da ab, und ging
Les Fontaines de l’Abbaye St. Amand zu be- ſehen, die eine halbe Stunde davon liegen. Vor dem Thore des Staͤdtchens auf dieſer Seite findet man Schif- fe auf der Scarpe, die 100. Schuh lang, 14. Schuh und 7. Zoll breit ſind, nach Cale, Lille ꝛc. gehen, und Steinkohlen, Holz ꝛc. hohlen. Man findet ein Dorf, das 2. lange Straſſen hat, die wie ein Winkelhaken, an- einander ſtoſſen. Faſt alle Haͤuſer ſind Aubergen, Caba- rets, Traiteurs ꝛc. Die vornehmſten ſind: Le petit
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pres und Horas, und ſind zum Predigen und Katechi-
ſiren zu faul. — Welch ein Unterſchied zwiſchen dieſen
und den erſten Zeiten der chriſtlichen Kirche! Chriſtus
und ſeine Apoſtel hatten kein andres Geſchaͤft, als den
Unterricht des Volks. Fuͤr ſie war jeder Ort gut genug.
Die katholiſche Religion baut ungeheure Tempel, ſchmuͤckt
ſie mit allen Werken der Kunſt, uͤberzieht ſie mit Gold,
und laͤßt ſie das unwiſſende Volk angaffen.
Die Bibliothek der Abtei St. Amand. Ei-
ner von den Moͤnchen ging bei mir vorbei, als ich in der
Kirche etwas in meine Schreibtafel ſchrieb. Da dachte
er vielleicht, der duͤrfte wohl kein Laye ſeyn, und befahl
dem Pfoͤrtner, mir auch ihre Bibliothek zu zeigen. Ich
fand einen groſſen, ſchoͤnen, hellen Saal, wo alles wohl
eingerichtet war. Ueber jedem Schranke ſtand eine Ta-
fel mit der Inſchrift der Materie der Buͤcher. Die Buͤ-
cher aus meinem Fache ſtanden bei der Medizin. Viel
Moraliſten, Aſcetiker, Kirchenvaͤter ꝛc. waren da. Ue-
ber dem Eingange ſtand das Motto: Sapientia aedi-
ficavit ſibi domum. In dem Gebaͤude ſelber ſind
Brunnen und Fontainen vor den Thuͤren. Nachmittags
reißt ich von da ab, und ging
Les Fontaines de l’Abbaye St. Amand zu be-
ſehen, die eine halbe Stunde davon liegen. Vor dem
Thore des Staͤdtchens auf dieſer Seite findet man Schif-
fe auf der Scarpe, die 100. Schuh lang, 14. Schuh
und 7. Zoll breit ſind, nach Cale, Lille ꝛc. gehen, und
Steinkohlen, Holz ꝛc. hohlen. Man findet ein Dorf,
das 2. lange Straſſen hat, die wie ein Winkelhaken, an-
einander ſtoſſen. Faſt alle Haͤuſer ſind Aubergen, Caba-
rets, Traiteurs ꝛc. Die vornehmſten ſind: Le petit
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/433>, abgerufen am 22.11.2024.
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