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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783.

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pres und Horas, und sind zum Predigen und Katechi-
siren zu faul. -- Welch ein Unterschied zwischen diesen
und den ersten Zeiten der christlichen Kirche! Christus
und seine Apostel hatten kein andres Geschäft, als den
Unterricht des Volks. Für sie war jeder Ort gut genug.
Die katholische Religion baut ungeheure Tempel, schmückt
sie mit allen Werken der Kunst, überzieht sie mit Gold,
und läßt sie das unwissende Volk angaffen.

Die Bibliothek der Abtei St. Amand. Ei-
ner von den Mönchen ging bei mir vorbei, als ich in der
Kirche etwas in meine Schreibtafel schrieb. Da dachte
er vielleicht, der dürfte wohl kein Laye seyn, und befahl
dem Pförtner, mir auch ihre Bibliothek zu zeigen. Ich
fand einen grossen, schönen, hellen Saal, wo alles wohl
eingerichtet war. Ueber jedem Schranke stand eine Ta-
fel mit der Inschrift der Materie der Bücher. Die Bü-
cher aus meinem Fache standen bei der Medizin. Viel
Moralisten, Ascetiker, Kirchenväter etc. waren da. Ue-
ber dem Eingange stand das Motto: Sapientia aedi-
ficavit sibi domum.
In dem Gebäude selber sind
Brunnen und Fontainen vor den Thüren. Nachmittags
reißt ich von da ab, und ging

Les Fontaines de l'Abbaye St. Amand zu be-
sehen, die eine halbe Stunde davon liegen. Vor dem
Thore des Städtchens auf dieser Seite findet man Schif-
fe auf der Scarpe, die 100. Schuh lang, 14. Schuh
und 7. Zoll breit sind, nach Cale, Lille etc. gehen, und
Steinkohlen, Holz etc. hohlen. Man findet ein Dorf,
das 2. lange Strassen hat, die wie ein Winkelhaken, an-
einander stossen. Fast alle Häuser sind Aubergen, Caba-
rets, Traiteurs etc. Die vornehmsten sind: Le petit

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C c 5

pres und Horas, und ſind zum Predigen und Katechi-
ſiren zu faul. — Welch ein Unterſchied zwiſchen dieſen
und den erſten Zeiten der chriſtlichen Kirche! Chriſtus
und ſeine Apoſtel hatten kein andres Geſchaͤft, als den
Unterricht des Volks. Fuͤr ſie war jeder Ort gut genug.
Die katholiſche Religion baut ungeheure Tempel, ſchmuͤckt
ſie mit allen Werken der Kunſt, uͤberzieht ſie mit Gold,
und laͤßt ſie das unwiſſende Volk angaffen.

Die Bibliothek der Abtei St. Amand. Ei-
ner von den Moͤnchen ging bei mir vorbei, als ich in der
Kirche etwas in meine Schreibtafel ſchrieb. Da dachte
er vielleicht, der duͤrfte wohl kein Laye ſeyn, und befahl
dem Pfoͤrtner, mir auch ihre Bibliothek zu zeigen. Ich
fand einen groſſen, ſchoͤnen, hellen Saal, wo alles wohl
eingerichtet war. Ueber jedem Schranke ſtand eine Ta-
fel mit der Inſchrift der Materie der Buͤcher. Die Buͤ-
cher aus meinem Fache ſtanden bei der Medizin. Viel
Moraliſten, Aſcetiker, Kirchenvaͤter ꝛc. waren da. Ue-
ber dem Eingange ſtand das Motto: Sapientia aedi-
ficavit ſibi domum.
In dem Gebaͤude ſelber ſind
Brunnen und Fontainen vor den Thuͤren. Nachmittags
reißt ich von da ab, und ging

Les Fontaines de l’Abbaye St. Amand zu be-
ſehen, die eine halbe Stunde davon liegen. Vor dem
Thore des Staͤdtchens auf dieſer Seite findet man Schif-
fe auf der Scarpe, die 100. Schuh lang, 14. Schuh
und 7. Zoll breit ſind, nach Cale, Lille ꝛc. gehen, und
Steinkohlen, Holz ꝛc. hohlen. Man findet ein Dorf,
das 2. lange Straſſen hat, die wie ein Winkelhaken, an-
einander ſtoſſen. Faſt alle Haͤuſer ſind Aubergen, Caba-
rets, Traiteurs ꝛc. Die vornehmſten ſind: Le petit

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[409/0433] pres und Horas, und ſind zum Predigen und Katechi- ſiren zu faul. — Welch ein Unterſchied zwiſchen dieſen und den erſten Zeiten der chriſtlichen Kirche! Chriſtus und ſeine Apoſtel hatten kein andres Geſchaͤft, als den Unterricht des Volks. Fuͤr ſie war jeder Ort gut genug. Die katholiſche Religion baut ungeheure Tempel, ſchmuͤckt ſie mit allen Werken der Kunſt, uͤberzieht ſie mit Gold, und laͤßt ſie das unwiſſende Volk angaffen. Die Bibliothek der Abtei St. Amand. Ei- ner von den Moͤnchen ging bei mir vorbei, als ich in der Kirche etwas in meine Schreibtafel ſchrieb. Da dachte er vielleicht, der duͤrfte wohl kein Laye ſeyn, und befahl dem Pfoͤrtner, mir auch ihre Bibliothek zu zeigen. Ich fand einen groſſen, ſchoͤnen, hellen Saal, wo alles wohl eingerichtet war. Ueber jedem Schranke ſtand eine Ta- fel mit der Inſchrift der Materie der Buͤcher. Die Buͤ- cher aus meinem Fache ſtanden bei der Medizin. Viel Moraliſten, Aſcetiker, Kirchenvaͤter ꝛc. waren da. Ue- ber dem Eingange ſtand das Motto: Sapientia aedi- ficavit ſibi domum. In dem Gebaͤude ſelber ſind Brunnen und Fontainen vor den Thuͤren. Nachmittags reißt ich von da ab, und ging Les Fontaines de l’Abbaye St. Amand zu be- ſehen, die eine halbe Stunde davon liegen. Vor dem Thore des Staͤdtchens auf dieſer Seite findet man Schif- fe auf der Scarpe, die 100. Schuh lang, 14. Schuh und 7. Zoll breit ſind, nach Cale, Lille ꝛc. gehen, und Steinkohlen, Holz ꝛc. hohlen. Man findet ein Dorf, das 2. lange Straſſen hat, die wie ein Winkelhaken, an- einander ſtoſſen. Faſt alle Haͤuſer ſind Aubergen, Caba- rets, Traiteurs ꝛc. Die vornehmſten ſind: Le petit Ver- C c 5

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/433>, abgerufen am 27.09.2024.