Sargstücke weg, stößt mit der rechten Hand den Tod zu Boden, dort liegt er, streckt seine skeletirte Finger von sich, die Sense fällt neben ihm, und Languet bleibt sichtbar. Unter dem linken Arm der Gottheit liegt eine Karte, worauf der Plan dieser Kirche auf Bronze ge- zeichnet ist. Vor ihr kniet Languet in seiner natürli- chen Grösse im Predigerkleide, hebt beide Hände in die Höhe, und ist voll Andacht. Unten sind 2. niedliche Genien angebracht, die Religion und die Menschenliebe vorstellend, und unter ihnen ist auf einer weissen Platte eine grosse Inschrift eingegraben. Viele haben ihn noch gekannt. Er ist in den 60ger Jahren gestorben. Den kostbaren Bau dieser Kirche, der noch immer fortgeht, nennen viele eine Thorheit, aber Languet selber ist über- all beliebt. Der hohe Altar dieser Kirche ist, wie die Bundeslade der Juden, nur sind oben Engel daran, und keine egyptische Sphinxe. Ein herrlicher, runder, stark vergoldeter Deckel hängt oben drüber. Im Chor ste- hen Statüen von Christo, Maria und den Aposteln. Auf den Abend sah ich
L'Alceste, donnee a l'Opera, par l'Ac. R. de Musique. C'est un morceau superbe, -- sag- te jeder, wie das Stück aus war. Mr. Milon hat auch in Frankreich dies Sujet bearbeitet, vielleicht auch unsern Wieland benutzt, ihn aber weit übertroffen. Das Stück hat 3. Akte, ist vom Anfang an bis zuletzt voll Affekt, der frappantesten Abwechslungen, und der rührendsten Scenen. Von der Musik darf man weiter nichts sagen, als: der Ritter Glück hat sie gesetzt. Die strömte dann wieder mit allen ihren mächtigen und sanf- ten, einnehmenden, schmelzenden Schönheiten in meine
Seele.
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Sargſtuͤcke weg, ſtoͤßt mit der rechten Hand den Tod zu Boden, dort liegt er, ſtreckt ſeine ſkeletirte Finger von ſich, die Senſe faͤllt neben ihm, und Languet bleibt ſichtbar. Unter dem linken Arm der Gottheit liegt eine Karte, worauf der Plan dieſer Kirche auf Bronze ge- zeichnet iſt. Vor ihr kniet Languet in ſeiner natuͤrli- chen Groͤſſe im Predigerkleide, hebt beide Haͤnde in die Hoͤhe, und iſt voll Andacht. Unten ſind 2. niedliche Genien angebracht, die Religion und die Menſchenliebe vorſtellend, und unter ihnen iſt auf einer weiſſen Platte eine groſſe Inſchrift eingegraben. Viele haben ihn noch gekannt. Er iſt in den 60ger Jahren geſtorben. Den koſtbaren Bau dieſer Kirche, der noch immer fortgeht, nennen viele eine Thorheit, aber Languet ſelber iſt uͤber- all beliebt. Der hohe Altar dieſer Kirche iſt, wie die Bundeslade der Juden, nur ſind oben Engel daran, und keine egyptiſche Sphinxe. Ein herrlicher, runder, ſtark vergoldeter Deckel haͤngt oben druͤber. Im Chor ſte- hen Statuͤen von Chriſto, Maria und den Apoſteln. Auf den Abend ſah ich
L’Alceſte, donnée à l’Opera, par l’Ac. R. de Muſique. C’eſt un morceau ſuperbe, — ſag- te jeder, wie das Stuͤck aus war. Mr. Milon hat auch in Frankreich dies Sujet bearbeitet, vielleicht auch unſern Wieland benutzt, ihn aber weit uͤbertroffen. Das Stuͤck hat 3. Akte, iſt vom Anfang an bis zuletzt voll Affekt, der frappanteſten Abwechslungen, und der ruͤhrendſten Scenen. Von der Muſik darf man weiter nichts ſagen, als: der Ritter Gluͤck hat ſie geſetzt. Die ſtroͤmte dann wieder mit allen ihren maͤchtigen und ſanf- ten, einnehmenden, ſchmelzenden Schoͤnheiten in meine
Seele.
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Sargſtuͤcke weg, ſtoͤßt mit der rechten Hand den Tod zu
Boden, dort liegt er, ſtreckt ſeine ſkeletirte Finger von
ſich, die Senſe faͤllt neben ihm, und Languet bleibt
ſichtbar. Unter dem linken Arm der Gottheit liegt eine
Karte, worauf der Plan dieſer Kirche auf Bronze ge-
zeichnet iſt. Vor ihr kniet Languet in ſeiner natuͤrli-
chen Groͤſſe im Predigerkleide, hebt beide Haͤnde in die
Hoͤhe, und iſt voll Andacht. Unten ſind 2. niedliche
Genien angebracht, die Religion und die Menſchenliebe
vorſtellend, und unter ihnen iſt auf einer weiſſen Platte
eine groſſe Inſchrift eingegraben. Viele haben ihn noch
gekannt. Er iſt in den 60ger Jahren geſtorben. Den
koſtbaren Bau dieſer Kirche, der noch immer fortgeht,
nennen viele eine Thorheit, aber Languet ſelber iſt uͤber-
all beliebt. Der hohe Altar dieſer Kirche iſt, wie die
Bundeslade der Juden, nur ſind oben Engel daran, und
keine egyptiſche Sphinxe. Ein herrlicher, runder, ſtark
vergoldeter Deckel haͤngt oben druͤber. Im Chor ſte-
hen Statuͤen von Chriſto, Maria und den Apoſteln.
Auf den Abend ſah ich
L’Alceſte, donnée à l’Opera, par l’Ac. R. de
Muſique. C’eſt un morceau ſuperbe, — ſag-
te jeder, wie das Stuͤck aus war. Mr. Milon hat
auch in Frankreich dies Sujet bearbeitet, vielleicht auch
unſern Wieland benutzt, ihn aber weit uͤbertroffen.
Das Stuͤck hat 3. Akte, iſt vom Anfang an bis zuletzt
voll Affekt, der frappanteſten Abwechslungen, und der
ruͤhrendſten Scenen. Von der Muſik darf man weiter
nichts ſagen, als: der Ritter Gluͤck hat ſie geſetzt. Die
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/239>, abgerufen am 24.11.2024.
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