Beim Erkalten kann diesem Bestreben, bei dem schnellen Übergang in den erwähnten zähflüssigen Zustand, nicht genügt werden und die Moleküle sind also gezwungen, entgegen ihrem natürlichen Drange, in derjenigen Lage zu verbleiben, in welche sie beim Verarbeiten gerieten, in einem Zustand, den wir eben den amorphen nennen. Es ist klar, daß diese Zwangslage bei jedem Glase vorhanden ist, daß sie aber einen besonders hohen Grad bei rascher Abkühlung erreichen wird. Daher kommt es, daß der Spannungszustand, welcher allen Glassorten eigen ist, bei genügend schneller Kühlung ein so hoher werden kann, daß schon die geringste äußere Ursache genügt, um den Molekularverband der erkalteten Masse völlig zu zersprengen (Glasthränen). Selbstver- ständlich wird die Sprödigkeit auch von der Dicke der sich abkühlenden Glasmasse abhängen und mit dieser steigen. Durch diese Verhältnisse ist man gezwungen, die eben fertig gewordenen Glaswaren in einen besonderen, nicht bis zur Schmelztemperatur geheizten Ofen, den Kühl- ofen, zu bringen und sie in und mit diesem so langsam wie irgend möglich erkalten zu lassen. Wenn hierdurch die molekulare Spannung des Glases auch nicht vollständig aufgehoben wird, so wird sie doch erheblich genug vermindert, um bei einiger Vorsicht beim Gebrauch sich nicht mehr fühlbar zu machen. Schläge, Stöße und jäher Temperatur- wechsel wirken dann nur noch mäßig.
Da durch sehr langsames Abkühlen des erhitzten Glases das Krystallisieren desselben bis zu einem gewissen Grade begünstigt wird, so kann durch Übertreibung dieser Maßregel in der That der amorphe Zustand zum großen Teil verschwinden, um dem krystallinischen Platz zu machen. Das Ansehen solcher "entglasten" Stücke ist sehr eigen- tümlich; sie erscheinen rauh oder doch glanzlos, ihr Bruch faserig. Vielleicht wirkt indessen entglasend nicht allein das Krystallisations- bestreben, sondern auch ein Verlust an Alkali oder eine Trennung der ein- zelnen Silikate des Glases von einander. Das Entglasen zeigt sich nicht selten beim wiederholten Erhitzen der verarbeiteten Stücke; sie erscheinen dann matt, werden aber gegen Temperaturwechsel sehr unempfindlich.
Hinsichtlich ihrer Verwendung teilt man die Gläser in mehrere Gruppen ein, welche in ihrer chemischen Zusammensetzung erheblich von einander abweichen. Die wichtigsten sind:
1. Das Hohlglas, welches zu Gläsern, Flaschen und ähnlichen Waren verarbeitet wird. Es ist, je nach seiner Verwendung, verschieden durchsichtig und zerfällt in grünes, halbweißes und weißes Hohlglas. Der Satz besteht aus Kieselerde, Kali, Natron, Kalk und bei den schlechteren Sorten noch aus Thonerde und Eisenoxydul.
2. Das Hartglas. Sein Satz ist der des halbweißen Hohlglases; es ist aber durch große Widerstandsfähigkeit ausgezeichnet und wird besonders zu Lampencylindern und Kochgefäßen verarbeitet.
3. Das Fensterglas, dessen Satz in seiner Zusammensetzung dem des halbweißen Hohlglases sehr nahe kommt.
Die Fabrikation und Verarbeitung des Glaſes.
Beim Erkalten kann dieſem Beſtreben, bei dem ſchnellen Übergang in den erwähnten zähflüſſigen Zuſtand, nicht genügt werden und die Moleküle ſind alſo gezwungen, entgegen ihrem natürlichen Drange, in derjenigen Lage zu verbleiben, in welche ſie beim Verarbeiten gerieten, in einem Zuſtand, den wir eben den amorphen nennen. Es iſt klar, daß dieſe Zwangslage bei jedem Glaſe vorhanden iſt, daß ſie aber einen beſonders hohen Grad bei raſcher Abkühlung erreichen wird. Daher kommt es, daß der Spannungszuſtand, welcher allen Glasſorten eigen iſt, bei genügend ſchneller Kühlung ein ſo hoher werden kann, daß ſchon die geringſte äußere Urſache genügt, um den Molekularverband der erkalteten Maſſe völlig zu zerſprengen (Glasthränen). Selbſtver- ſtändlich wird die Sprödigkeit auch von der Dicke der ſich abkühlenden Glasmaſſe abhängen und mit dieſer ſteigen. Durch dieſe Verhältniſſe iſt man gezwungen, die eben fertig gewordenen Glaswaren in einen beſonderen, nicht bis zur Schmelztemperatur geheizten Ofen, den Kühl- ofen, zu bringen und ſie in und mit dieſem ſo langſam wie irgend möglich erkalten zu laſſen. Wenn hierdurch die molekulare Spannung des Glaſes auch nicht vollſtändig aufgehoben wird, ſo wird ſie doch erheblich genug vermindert, um bei einiger Vorſicht beim Gebrauch ſich nicht mehr fühlbar zu machen. Schläge, Stöße und jäher Temperatur- wechſel wirken dann nur noch mäßig.
Da durch ſehr langſames Abkühlen des erhitzten Glaſes das Kryſtalliſieren desſelben bis zu einem gewiſſen Grade begünſtigt wird, ſo kann durch Übertreibung dieſer Maßregel in der That der amorphe Zuſtand zum großen Teil verſchwinden, um dem kryſtalliniſchen Platz zu machen. Das Anſehen ſolcher „entglaſten“ Stücke iſt ſehr eigen- tümlich; ſie erſcheinen rauh oder doch glanzlos, ihr Bruch faſerig. Vielleicht wirkt indeſſen entglaſend nicht allein das Kryſtalliſations- beſtreben, ſondern auch ein Verluſt an Alkali oder eine Trennung der ein- zelnen Silikate des Glaſes von einander. Das Entglaſen zeigt ſich nicht ſelten beim wiederholten Erhitzen der verarbeiteten Stücke; ſie erſcheinen dann matt, werden aber gegen Temperaturwechſel ſehr unempfindlich.
Hinſichtlich ihrer Verwendung teilt man die Gläſer in mehrere Gruppen ein, welche in ihrer chemiſchen Zuſammenſetzung erheblich von einander abweichen. Die wichtigſten ſind:
1. Das Hohlglas, welches zu Gläſern, Flaſchen und ähnlichen Waren verarbeitet wird. Es iſt, je nach ſeiner Verwendung, verſchieden durchſichtig und zerfällt in grünes, halbweißes und weißes Hohlglas. Der Satz beſteht aus Kieſelerde, Kali, Natron, Kalk und bei den ſchlechteren Sorten noch aus Thonerde und Eiſenoxydul.
2. Das Hartglas. Sein Satz iſt der des halbweißen Hohlglaſes; es iſt aber durch große Widerſtandsfähigkeit ausgezeichnet und wird beſonders zu Lampencylindern und Kochgefäßen verarbeitet.
3. Das Fenſterglas, deſſen Satz in ſeiner Zuſammenſetzung dem des halbweißen Hohlglaſes ſehr nahe kommt.
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Die Fabrikation und Verarbeitung des Glaſes.
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Moleküle ſind alſo gezwungen, entgegen ihrem natürlichen Drange, in
derjenigen Lage zu verbleiben, in welche ſie beim Verarbeiten gerieten,
in einem Zuſtand, den wir eben den amorphen nennen. Es iſt klar,
daß dieſe Zwangslage bei jedem Glaſe vorhanden iſt, daß ſie aber
einen beſonders hohen Grad bei raſcher Abkühlung erreichen wird.
Daher kommt es, daß der Spannungszuſtand, welcher allen Glasſorten
eigen iſt, bei genügend ſchneller Kühlung ein ſo hoher werden kann, daß
ſchon die geringſte äußere Urſache genügt, um den Molekularverband
der erkalteten Maſſe völlig zu zerſprengen (Glasthränen). Selbſtver-
ſtändlich wird die Sprödigkeit auch von der Dicke der ſich abkühlenden
Glasmaſſe abhängen und mit dieſer ſteigen. Durch dieſe Verhältniſſe
iſt man gezwungen, die eben fertig gewordenen Glaswaren in einen
beſonderen, nicht bis zur Schmelztemperatur geheizten Ofen, den Kühl-
ofen, zu bringen und ſie in und mit dieſem ſo langſam wie irgend
möglich erkalten zu laſſen. Wenn hierdurch die molekulare Spannung
des Glaſes auch nicht vollſtändig aufgehoben wird, ſo wird ſie doch
erheblich genug vermindert, um bei einiger Vorſicht beim Gebrauch ſich
nicht mehr fühlbar zu machen. Schläge, Stöße und jäher Temperatur-
wechſel wirken dann nur noch mäßig.
Da durch ſehr langſames Abkühlen des erhitzten Glaſes das
Kryſtalliſieren desſelben bis zu einem gewiſſen Grade begünſtigt wird,
ſo kann durch Übertreibung dieſer Maßregel in der That der amorphe
Zuſtand zum großen Teil verſchwinden, um dem kryſtalliniſchen Platz
zu machen. Das Anſehen ſolcher „entglaſten“ Stücke iſt ſehr eigen-
tümlich; ſie erſcheinen rauh oder doch glanzlos, ihr Bruch faſerig.
Vielleicht wirkt indeſſen entglaſend nicht allein das Kryſtalliſations-
beſtreben, ſondern auch ein Verluſt an Alkali oder eine Trennung der ein-
zelnen Silikate des Glaſes von einander. Das Entglaſen zeigt ſich nicht
ſelten beim wiederholten Erhitzen der verarbeiteten Stücke; ſie erſcheinen
dann matt, werden aber gegen Temperaturwechſel ſehr unempfindlich.
Hinſichtlich ihrer Verwendung teilt man die Gläſer in mehrere
Gruppen ein, welche in ihrer chemiſchen Zuſammenſetzung erheblich von
einander abweichen. Die wichtigſten ſind:
1. Das Hohlglas, welches zu Gläſern, Flaſchen und ähnlichen
Waren verarbeitet wird. Es iſt, je nach ſeiner Verwendung, verſchieden
durchſichtig und zerfällt in grünes, halbweißes und weißes Hohlglas.
Der Satz beſteht aus Kieſelerde, Kali, Natron, Kalk und bei den
ſchlechteren Sorten noch aus Thonerde und Eiſenoxydul.
2. Das Hartglas. Sein Satz iſt der des halbweißen Hohlglaſes;
es iſt aber durch große Widerſtandsfähigkeit ausgezeichnet und wird
beſonders zu Lampencylindern und Kochgefäßen verarbeitet.
3. Das Fenſterglas, deſſen Satz in ſeiner Zuſammenſetzung dem
des halbweißen Hohlglaſes ſehr nahe kommt.
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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 848. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/866>, abgerufen am 26.11.2024.
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