deutsch-französischen Krieges in den größeren, belagerten Festungen, ganz besonders in Paris, kennen gelernt, daß das Pferdefleisch ein sehr wert- volles Nahrungsmittel ist, trotzdem man damals infolge des Futter- mangels nur sehr heruntergekommene Tiere schlachten konnte, und die damals gemachten Erfahrungen werden dort dauernd fortbenutzt, denn seit den letzten zwanzig Jahren spielt das Pferdefleisch in der Volks- ernährung Frankreichs eine viel größere Rolle als vorher, oder bei uns.
In Bezug auf die Verdaulichkeit des Fleisches, begegnet man noch hin und wieder der Ansicht, daß rohes Fleisch besonders leicht verdau- lich sei, eine Ansicht, welche durchaus irrig ist. Das rohe Fleisch dürfte nur in einem Falle, nämlich wenn es sehr fein geschabt und von allen Sehnen befreit ist, einem gut zubereiteten Fleische in dieser Be- ziehung gleichkommen, in allen anderen Fällen aber wird es schwerer verdaulich sein als dieses. Hieraus ergiebt sich die außerordentliche Wichtigkeit der guten Zubereitung des Fleisches von selbst, abgesehen davon, daß die bei der Zubereitung verwendete Temperatur bis zu einer gewissen Grenze ein sehr guter Schutz gegen manche Krankheits- stoffe und Parasiten ist, welche sich vielleicht im Fleische befinden, bis zu einer gewissen Grenze nur, weil das Fleisch selbst ein sehr schlechter Wärmeleiter ist, es somit sehr lange dauert, bis die hohe Temperatur das ganze Fleisch durchdrungen hat, und das unbedingt notwendig ist, wenn jene Krankheitsstoffe bezw. Parasiten unschädlich gemacht werden sollen. Dieses vollständige Durchdringen der Hitze geschieht aber nur sehr selten und mit Recht, denn -- wie sogleich auseinander gesetzt werden soll -- widerspricht dasselbe in vielen Fällen einer ratio- nellen Zubereitung. Es ist nämlich durchaus falsch, anzunehmen, daß das Fleisch, wenn es nicht beim Kochen schnell weich wird, durch längeres Kochen doch schließlich weich werden muß; das wird aus demselben Grunde nie geschehen, aus welchem es beim Hühnerei nicht geschieht. Wie das Eiweiß des Hühnereies durch das Kochen gerinnt -- "koaguliert", wie der wissenschaftliche Ausdruck lautet -- so auch das Eiweiß der Fleischfasern, welche natür- lich durch längeres Kochen hart und zäh werden müssen. Die rationelle Zubereitung des Fleisches muß beim Braten und Kochen be- strebt sein, dieses Eiweiß gelöst zu erhalten, aber auch von dem für die Ernährung so wichtigen Fleischsafte nichts zu verlieren; das erreicht man am besten, wenn man das Fleisch plötzlich, aber nur für sehr kurze Zeit, einer sehr hohen Temperatur aussetzt, wobei sich die Zeit- dauer natürlich nach der Größe der zu behandelnden Stücke richten muß. Hierdurch gerinnt nur das Eiweiß, welches sich auf der Ober- fläche des Stückes befindet und bildet dadurch eine schützende Hülle für den Fleischsaft, den es nun vollkommen einschließt, so daß dieser wert- volle Bestandteil des Fleisches ohne nennenswerten Verlust erhalten bleibt. Ein durch solche Zubereitung erhaltenes Fleisch ist sowohl nahr-
Nahrungs- und Genußmittel.
deutſch-franzöſiſchen Krieges in den größeren, belagerten Feſtungen, ganz beſonders in Paris, kennen gelernt, daß das Pferdefleiſch ein ſehr wert- volles Nahrungsmittel iſt, trotzdem man damals infolge des Futter- mangels nur ſehr heruntergekommene Tiere ſchlachten konnte, und die damals gemachten Erfahrungen werden dort dauernd fortbenutzt, denn ſeit den letzten zwanzig Jahren ſpielt das Pferdefleiſch in der Volks- ernährung Frankreichs eine viel größere Rolle als vorher, oder bei uns.
In Bezug auf die Verdaulichkeit des Fleiſches, begegnet man noch hin und wieder der Anſicht, daß rohes Fleiſch beſonders leicht verdau- lich ſei, eine Anſicht, welche durchaus irrig iſt. Das rohe Fleiſch dürfte nur in einem Falle, nämlich wenn es ſehr fein geſchabt und von allen Sehnen befreit iſt, einem gut zubereiteten Fleiſche in dieſer Be- ziehung gleichkommen, in allen anderen Fällen aber wird es ſchwerer verdaulich ſein als dieſes. Hieraus ergiebt ſich die außerordentliche Wichtigkeit der guten Zubereitung des Fleiſches von ſelbſt, abgeſehen davon, daß die bei der Zubereitung verwendete Temperatur bis zu einer gewiſſen Grenze ein ſehr guter Schutz gegen manche Krankheits- ſtoffe und Paraſiten iſt, welche ſich vielleicht im Fleiſche befinden, bis zu einer gewiſſen Grenze nur, weil das Fleiſch ſelbſt ein ſehr ſchlechter Wärmeleiter iſt, es ſomit ſehr lange dauert, bis die hohe Temperatur das ganze Fleiſch durchdrungen hat, und das unbedingt notwendig iſt, wenn jene Krankheitsſtoffe bezw. Paraſiten unſchädlich gemacht werden ſollen. Dieſes vollſtändige Durchdringen der Hitze geſchieht aber nur ſehr ſelten und mit Recht, denn — wie ſogleich auseinander geſetzt werden ſoll — widerſpricht dasſelbe in vielen Fällen einer ratio- nellen Zubereitung. Es iſt nämlich durchaus falſch, anzunehmen, daß das Fleiſch, wenn es nicht beim Kochen ſchnell weich wird, durch längeres Kochen doch ſchließlich weich werden muß; das wird aus demſelben Grunde nie geſchehen, aus welchem es beim Hühnerei nicht geſchieht. Wie das Eiweiß des Hühnereies durch das Kochen gerinnt — „koaguliert“, wie der wiſſenſchaftliche Ausdruck lautet — ſo auch das Eiweiß der Fleiſchfaſern, welche natür- lich durch längeres Kochen hart und zäh werden müſſen. Die rationelle Zubereitung des Fleiſches muß beim Braten und Kochen be- ſtrebt ſein, dieſes Eiweiß gelöſt zu erhalten, aber auch von dem für die Ernährung ſo wichtigen Fleiſchſafte nichts zu verlieren; das erreicht man am beſten, wenn man das Fleiſch plötzlich, aber nur für ſehr kurze Zeit, einer ſehr hohen Temperatur ausſetzt, wobei ſich die Zeit- dauer natürlich nach der Größe der zu behandelnden Stücke richten muß. Hierdurch gerinnt nur das Eiweiß, welches ſich auf der Ober- fläche des Stückes befindet und bildet dadurch eine ſchützende Hülle für den Fleiſchſaft, den es nun vollkommen einſchließt, ſo daß dieſer wert- volle Beſtandteil des Fleiſches ohne nennenswerten Verluſt erhalten bleibt. Ein durch ſolche Zubereitung erhaltenes Fleiſch iſt ſowohl nahr-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0582"n="564"/><fwplace="top"type="header">Nahrungs- und Genußmittel.</fw><lb/>
deutſch-franzöſiſchen Krieges in den größeren, belagerten Feſtungen, ganz<lb/>
beſonders in Paris, kennen gelernt, daß das Pferdefleiſch ein ſehr wert-<lb/>
volles Nahrungsmittel iſt, trotzdem man damals infolge des Futter-<lb/>
mangels nur ſehr heruntergekommene Tiere ſchlachten konnte, und die<lb/>
damals gemachten Erfahrungen werden dort dauernd fortbenutzt, denn<lb/>ſeit den letzten zwanzig Jahren ſpielt das Pferdefleiſch in der Volks-<lb/>
ernährung Frankreichs eine viel größere Rolle als vorher, oder<lb/>
bei uns.</p><lb/><p>In Bezug auf die Verdaulichkeit des Fleiſches, begegnet man noch<lb/>
hin und wieder der Anſicht, daß rohes Fleiſch beſonders leicht verdau-<lb/>
lich ſei, eine Anſicht, welche durchaus irrig iſt. Das rohe Fleiſch<lb/>
dürfte nur in einem Falle, nämlich wenn es ſehr fein geſchabt und von<lb/>
allen Sehnen befreit iſt, einem gut zubereiteten Fleiſche in dieſer Be-<lb/>
ziehung gleichkommen, in allen anderen Fällen aber wird es ſchwerer<lb/>
verdaulich ſein als dieſes. Hieraus ergiebt ſich die außerordentliche<lb/>
Wichtigkeit der guten Zubereitung des Fleiſches von ſelbſt, abgeſehen<lb/>
davon, daß die bei der Zubereitung verwendete Temperatur bis zu<lb/>
einer gewiſſen Grenze ein ſehr guter Schutz gegen manche Krankheits-<lb/>ſtoffe und Paraſiten iſt, welche ſich vielleicht im Fleiſche befinden, bis<lb/>
zu einer gewiſſen Grenze nur, weil das Fleiſch ſelbſt ein ſehr ſchlechter<lb/>
Wärmeleiter iſt, es ſomit ſehr lange dauert, bis die hohe Temperatur<lb/>
das ganze Fleiſch durchdrungen hat, und das unbedingt notwendig iſt,<lb/>
wenn jene Krankheitsſtoffe bezw. Paraſiten unſchädlich gemacht werden<lb/>ſollen. Dieſes vollſtändige Durchdringen der Hitze geſchieht aber nur<lb/>ſehr ſelten und mit Recht, denn — wie ſogleich auseinander geſetzt<lb/>
werden ſoll — widerſpricht dasſelbe in vielen Fällen einer ratio-<lb/>
nellen Zubereitung. Es iſt nämlich durchaus falſch, anzunehmen,<lb/>
daß das Fleiſch, wenn es nicht beim Kochen ſchnell weich wird,<lb/>
durch längeres Kochen doch ſchließlich weich werden muß; das<lb/>
wird aus demſelben Grunde nie geſchehen, aus welchem es beim<lb/>
Hühnerei nicht geſchieht. Wie das Eiweiß des Hühnereies durch das<lb/>
Kochen gerinnt —„koaguliert“, wie der wiſſenſchaftliche Ausdruck<lb/>
lautet —ſo auch das Eiweiß der Fleiſchfaſern, welche natür-<lb/>
lich durch längeres Kochen hart und zäh werden müſſen. Die<lb/>
rationelle Zubereitung des Fleiſches muß beim Braten und Kochen be-<lb/>ſtrebt ſein, dieſes Eiweiß gelöſt zu erhalten, aber auch von dem für<lb/>
die Ernährung ſo wichtigen Fleiſchſafte nichts zu verlieren; das erreicht<lb/>
man am beſten, wenn man das Fleiſch plötzlich, aber nur für ſehr<lb/>
kurze Zeit, einer ſehr hohen Temperatur ausſetzt, wobei ſich die Zeit-<lb/>
dauer natürlich nach der Größe der zu behandelnden Stücke richten<lb/>
muß. Hierdurch gerinnt nur das Eiweiß, welches ſich auf der Ober-<lb/>
fläche des Stückes befindet und bildet dadurch eine ſchützende Hülle für<lb/>
den Fleiſchſaft, den es nun vollkommen einſchließt, ſo daß dieſer wert-<lb/>
volle Beſtandteil des Fleiſches ohne nennenswerten Verluſt erhalten<lb/>
bleibt. Ein durch ſolche Zubereitung erhaltenes Fleiſch iſt ſowohl nahr-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[564/0582]
Nahrungs- und Genußmittel.
deutſch-franzöſiſchen Krieges in den größeren, belagerten Feſtungen, ganz
beſonders in Paris, kennen gelernt, daß das Pferdefleiſch ein ſehr wert-
volles Nahrungsmittel iſt, trotzdem man damals infolge des Futter-
mangels nur ſehr heruntergekommene Tiere ſchlachten konnte, und die
damals gemachten Erfahrungen werden dort dauernd fortbenutzt, denn
ſeit den letzten zwanzig Jahren ſpielt das Pferdefleiſch in der Volks-
ernährung Frankreichs eine viel größere Rolle als vorher, oder
bei uns.
In Bezug auf die Verdaulichkeit des Fleiſches, begegnet man noch
hin und wieder der Anſicht, daß rohes Fleiſch beſonders leicht verdau-
lich ſei, eine Anſicht, welche durchaus irrig iſt. Das rohe Fleiſch
dürfte nur in einem Falle, nämlich wenn es ſehr fein geſchabt und von
allen Sehnen befreit iſt, einem gut zubereiteten Fleiſche in dieſer Be-
ziehung gleichkommen, in allen anderen Fällen aber wird es ſchwerer
verdaulich ſein als dieſes. Hieraus ergiebt ſich die außerordentliche
Wichtigkeit der guten Zubereitung des Fleiſches von ſelbſt, abgeſehen
davon, daß die bei der Zubereitung verwendete Temperatur bis zu
einer gewiſſen Grenze ein ſehr guter Schutz gegen manche Krankheits-
ſtoffe und Paraſiten iſt, welche ſich vielleicht im Fleiſche befinden, bis
zu einer gewiſſen Grenze nur, weil das Fleiſch ſelbſt ein ſehr ſchlechter
Wärmeleiter iſt, es ſomit ſehr lange dauert, bis die hohe Temperatur
das ganze Fleiſch durchdrungen hat, und das unbedingt notwendig iſt,
wenn jene Krankheitsſtoffe bezw. Paraſiten unſchädlich gemacht werden
ſollen. Dieſes vollſtändige Durchdringen der Hitze geſchieht aber nur
ſehr ſelten und mit Recht, denn — wie ſogleich auseinander geſetzt
werden ſoll — widerſpricht dasſelbe in vielen Fällen einer ratio-
nellen Zubereitung. Es iſt nämlich durchaus falſch, anzunehmen,
daß das Fleiſch, wenn es nicht beim Kochen ſchnell weich wird,
durch längeres Kochen doch ſchließlich weich werden muß; das
wird aus demſelben Grunde nie geſchehen, aus welchem es beim
Hühnerei nicht geſchieht. Wie das Eiweiß des Hühnereies durch das
Kochen gerinnt — „koaguliert“, wie der wiſſenſchaftliche Ausdruck
lautet — ſo auch das Eiweiß der Fleiſchfaſern, welche natür-
lich durch längeres Kochen hart und zäh werden müſſen. Die
rationelle Zubereitung des Fleiſches muß beim Braten und Kochen be-
ſtrebt ſein, dieſes Eiweiß gelöſt zu erhalten, aber auch von dem für
die Ernährung ſo wichtigen Fleiſchſafte nichts zu verlieren; das erreicht
man am beſten, wenn man das Fleiſch plötzlich, aber nur für ſehr
kurze Zeit, einer ſehr hohen Temperatur ausſetzt, wobei ſich die Zeit-
dauer natürlich nach der Größe der zu behandelnden Stücke richten
muß. Hierdurch gerinnt nur das Eiweiß, welches ſich auf der Ober-
fläche des Stückes befindet und bildet dadurch eine ſchützende Hülle für
den Fleiſchſaft, den es nun vollkommen einſchließt, ſo daß dieſer wert-
volle Beſtandteil des Fleiſches ohne nennenswerten Verluſt erhalten
bleibt. Ein durch ſolche Zubereitung erhaltenes Fleiſch iſt ſowohl nahr-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 564. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/582>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.