spinnerei hat sich verhältnismäßig spät entwickelt, indem bis vor ca. 75 Jahren die Flachsspinnerei lediglich Hausindustrie war. Philip de Girard nahm 1810 ein Patent auf eine Flachsspinnmaschine, und 1815 wurde er von Paris nach Wien berufen, um dort in der Nähe eine Flachsspinnerei einzurichten. John Faltis gründete 1837 in Jungbuch bei Trautenau in Böhmen die erste Flachsspinnerei mit englischen Maschinen. Heute sind diese Betriebe überall verbreitet und üben die besprochenen Vorarbeiten und das Feinspinnen in hoher Vollkommenheit aus. Letzteres geschieht ausschließlich auf Watermaschinen, wie sie für die Baumwolle in Anwendung sind. Es wird trocken oder naß ausgeführt, d. h. die Bildung des Fadens ge- schieht in trockenem Zustande, und empfiehlt sich solches nur für gröbere Garne, oder aber man leitet die zu spinnenden Fäden durch heißes Wasser; der Klebstoff der Faser löst sich und man erhält einen sehr guten und runden Faden. An Stelle des heißen Wassers nimmt man auch kaltes. Die naß gesponnenen Garne müssen sofort von den Spulen abgehaspelt und getrocknet werden, was in Trockenräumen zu ge- schehen pflegt. -- Aus den Abfällen, dem Werg, spinnt man ein minderwertiges Garn, Werggarn, Towgarn. Das Werg wird, wie die Baumwolle, auf Krempelmaschinen gekratzt, um geordnet zu werden, nachdem es zuvor gründlich durch Schütteln und Klopfen gereinigt worden ist. Die Kratzenbeschläge der Krempel sind hier dem gröberen Spinnmaterial angemessen viel stärker, sowie auch die Maschinen be- deutend kräftiger gebaut. Als Vließ oder weiche Watte jedoch wird das gekratzte Werg nicht von der Maschine abgegeben, sondern immer in Form von Bändern. Die weitere Bearbeitung dieser meist zweimal hinter einander gekratzten Bänder durch Strecken und Dou- blieren, Vorspinnen und Feinspinnen weicht in keiner Weise von der für Flachs beschriebenen ab.
Was die Hanfspinnerei anbelangt, so stimmt dieselbe, solange es sich um Herstellung von Garnen handelt, mit der des Flachses über- ein. Wegen der großen Faserlänge muß er zerstoßen oder zerschnitten werden, was auch in gewissen Fällen beim Flachs geschieht. Sollen jedoch grobe Hanfgarne, insbesondere zu Seilerwaren erzeugt werden, so werden in der neueren Zeit abweichende Maschinen benutzt, welche zuerst von Sam. Lawson & Sons in Leeds eingeführt worden sind.
Auch die Jutespinnerei, welche in England 1832, in Deutschland 1861 zu Vechelde bei Braunschweig aufkam, stimmt im wesentlichen unter Hinzunahme der Teilung der sehr langen Fasern mit der des Flachses überein, wenn man besseres Garn, sog. Jute-Leinengarn haben will, oder aber sie findet unter Benutzung von Karden, die das Material in kurze Fasern zerreißen und dann zu einem Bande vereinigen, mehr nach Art der Wergspinnerei statt und liefert das kardierte oder Jute- Towgarn. Stets müssen aber den Vorarbeiten noch ein Einweich- und Quetschprozeß vorangehen. Der erstere besteht darin, daß man die
Die Flachs-, Hanf- und Juteſpinnerei.
ſpinnerei hat ſich verhältnismäßig ſpät entwickelt, indem bis vor ca. 75 Jahren die Flachsſpinnerei lediglich Hausinduſtrie war. Philip de Girard nahm 1810 ein Patent auf eine Flachsſpinnmaſchine, und 1815 wurde er von Paris nach Wien berufen, um dort in der Nähe eine Flachsſpinnerei einzurichten. John Faltis gründete 1837 in Jungbuch bei Trautenau in Böhmen die erſte Flachsſpinnerei mit engliſchen Maſchinen. Heute ſind dieſe Betriebe überall verbreitet und üben die beſprochenen Vorarbeiten und das Feinſpinnen in hoher Vollkommenheit aus. Letzteres geſchieht ausſchließlich auf Watermaſchinen, wie ſie für die Baumwolle in Anwendung ſind. Es wird trocken oder naß ausgeführt, d. h. die Bildung des Fadens ge- ſchieht in trockenem Zuſtande, und empfiehlt ſich ſolches nur für gröbere Garne, oder aber man leitet die zu ſpinnenden Fäden durch heißes Waſſer; der Klebſtoff der Faſer löſt ſich und man erhält einen ſehr guten und runden Faden. An Stelle des heißen Waſſers nimmt man auch kaltes. Die naß geſponnenen Garne müſſen ſofort von den Spulen abgehaſpelt und getrocknet werden, was in Trockenräumen zu ge- ſchehen pflegt. — Aus den Abfällen, dem Werg, ſpinnt man ein minderwertiges Garn, Werggarn, Towgarn. Das Werg wird, wie die Baumwolle, auf Krempelmaſchinen gekratzt, um geordnet zu werden, nachdem es zuvor gründlich durch Schütteln und Klopfen gereinigt worden iſt. Die Kratzenbeſchläge der Krempel ſind hier dem gröberen Spinnmaterial angemeſſen viel ſtärker, ſowie auch die Maſchinen be- deutend kräftiger gebaut. Als Vließ oder weiche Watte jedoch wird das gekratzte Werg nicht von der Maſchine abgegeben, ſondern immer in Form von Bändern. Die weitere Bearbeitung dieſer meiſt zweimal hinter einander gekratzten Bänder durch Strecken und Dou- blieren, Vorſpinnen und Feinſpinnen weicht in keiner Weiſe von der für Flachs beſchriebenen ab.
Was die Hanfſpinnerei anbelangt, ſo ſtimmt dieſelbe, ſolange es ſich um Herſtellung von Garnen handelt, mit der des Flachſes über- ein. Wegen der großen Faſerlänge muß er zerſtoßen oder zerſchnitten werden, was auch in gewiſſen Fällen beim Flachs geſchieht. Sollen jedoch grobe Hanfgarne, insbeſondere zu Seilerwaren erzeugt werden, ſo werden in der neueren Zeit abweichende Maſchinen benutzt, welche zuerſt von Sam. Lawſon & Sons in Leeds eingeführt worden ſind.
Auch die Juteſpinnerei, welche in England 1832, in Deutſchland 1861 zu Vechelde bei Braunſchweig aufkam, ſtimmt im weſentlichen unter Hinzunahme der Teilung der ſehr langen Faſern mit der des Flachſes überein, wenn man beſſeres Garn, ſog. Jute-Leinengarn haben will, oder aber ſie findet unter Benutzung von Karden, die das Material in kurze Faſern zerreißen und dann zu einem Bande vereinigen, mehr nach Art der Wergſpinnerei ſtatt und liefert das kardierte oder Jute- Towgarn. Stets müſſen aber den Vorarbeiten noch ein Einweich- und Quetſchprozeß vorangehen. Der erſtere beſteht darin, daß man die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0375"n="357"/><fwplace="top"type="header">Die Flachs-, Hanf- und Juteſpinnerei.</fw><lb/>ſpinnerei hat ſich verhältnismäßig ſpät entwickelt, indem bis vor ca.<lb/>
75 Jahren die Flachsſpinnerei lediglich Hausinduſtrie war. Philip<lb/>
de Girard nahm 1810 ein Patent auf eine Flachsſpinnmaſchine, und<lb/>
1815 wurde er von Paris nach Wien berufen, um dort in der Nähe<lb/>
eine Flachsſpinnerei einzurichten. John Faltis gründete 1837 in<lb/>
Jungbuch bei Trautenau in Böhmen die erſte Flachsſpinnerei mit<lb/>
engliſchen Maſchinen. Heute ſind dieſe Betriebe überall verbreitet<lb/>
und üben die beſprochenen Vorarbeiten und das Feinſpinnen in<lb/>
hoher Vollkommenheit aus. Letzteres geſchieht ausſchließlich auf<lb/>
Watermaſchinen, wie ſie für die Baumwolle in Anwendung ſind. Es<lb/>
wird trocken oder naß ausgeführt, d. h. die Bildung des Fadens ge-<lb/>ſchieht in trockenem Zuſtande, und empfiehlt ſich ſolches nur für gröbere<lb/>
Garne, oder aber man leitet die zu ſpinnenden Fäden durch heißes<lb/>
Waſſer; der Klebſtoff der Faſer löſt ſich und man erhält einen ſehr<lb/>
guten und runden Faden. An Stelle des heißen Waſſers nimmt man<lb/>
auch kaltes. Die naß geſponnenen Garne müſſen ſofort von den Spulen<lb/>
abgehaſpelt und getrocknet werden, was in Trockenräumen zu ge-<lb/>ſchehen pflegt. — Aus den Abfällen, dem Werg, ſpinnt man ein<lb/>
minderwertiges Garn, Werggarn, Towgarn. Das Werg wird, wie<lb/>
die Baumwolle, auf Krempelmaſchinen gekratzt, um geordnet zu werden,<lb/>
nachdem es zuvor gründlich durch Schütteln und Klopfen gereinigt<lb/>
worden iſt. Die Kratzenbeſchläge der Krempel ſind hier dem gröberen<lb/>
Spinnmaterial angemeſſen viel ſtärker, ſowie auch die Maſchinen be-<lb/>
deutend kräftiger gebaut. Als Vließ oder weiche Watte jedoch wird<lb/>
das gekratzte Werg nicht von der Maſchine abgegeben, ſondern<lb/>
immer in Form von Bändern. Die weitere Bearbeitung dieſer meiſt<lb/>
zweimal hinter einander gekratzten Bänder durch Strecken und Dou-<lb/>
blieren, Vorſpinnen und Feinſpinnen weicht in keiner Weiſe von der<lb/>
für Flachs beſchriebenen ab.</p><lb/><p>Was die Hanfſpinnerei anbelangt, ſo ſtimmt dieſelbe, ſolange es<lb/>ſich um Herſtellung von Garnen handelt, mit der des Flachſes über-<lb/>
ein. Wegen der großen Faſerlänge muß er zerſtoßen oder zerſchnitten<lb/>
werden, was auch in gewiſſen Fällen beim Flachs geſchieht. Sollen<lb/>
jedoch grobe Hanfgarne, insbeſondere zu Seilerwaren erzeugt werden,<lb/>ſo werden in der neueren Zeit abweichende Maſchinen benutzt, welche<lb/>
zuerſt von Sam. Lawſon & Sons in Leeds eingeführt worden ſind.</p><lb/><p>Auch die Juteſpinnerei, welche in England 1832, in Deutſchland<lb/>
1861 zu Vechelde bei Braunſchweig aufkam, ſtimmt im weſentlichen<lb/>
unter Hinzunahme der Teilung der ſehr langen Faſern mit der des<lb/>
Flachſes überein, wenn man beſſeres Garn, ſog. Jute-Leinengarn haben<lb/>
will, oder aber ſie findet unter Benutzung von Karden, die das Material<lb/>
in kurze Faſern zerreißen und dann zu einem Bande vereinigen, mehr<lb/>
nach Art der Wergſpinnerei ſtatt und liefert das kardierte oder Jute-<lb/>
Towgarn. Stets müſſen aber den Vorarbeiten noch ein Einweich- und<lb/>
Quetſchprozeß vorangehen. Der erſtere beſteht darin, daß man die<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[357/0375]
Die Flachs-, Hanf- und Juteſpinnerei.
ſpinnerei hat ſich verhältnismäßig ſpät entwickelt, indem bis vor ca.
75 Jahren die Flachsſpinnerei lediglich Hausinduſtrie war. Philip
de Girard nahm 1810 ein Patent auf eine Flachsſpinnmaſchine, und
1815 wurde er von Paris nach Wien berufen, um dort in der Nähe
eine Flachsſpinnerei einzurichten. John Faltis gründete 1837 in
Jungbuch bei Trautenau in Böhmen die erſte Flachsſpinnerei mit
engliſchen Maſchinen. Heute ſind dieſe Betriebe überall verbreitet
und üben die beſprochenen Vorarbeiten und das Feinſpinnen in
hoher Vollkommenheit aus. Letzteres geſchieht ausſchließlich auf
Watermaſchinen, wie ſie für die Baumwolle in Anwendung ſind. Es
wird trocken oder naß ausgeführt, d. h. die Bildung des Fadens ge-
ſchieht in trockenem Zuſtande, und empfiehlt ſich ſolches nur für gröbere
Garne, oder aber man leitet die zu ſpinnenden Fäden durch heißes
Waſſer; der Klebſtoff der Faſer löſt ſich und man erhält einen ſehr
guten und runden Faden. An Stelle des heißen Waſſers nimmt man
auch kaltes. Die naß geſponnenen Garne müſſen ſofort von den Spulen
abgehaſpelt und getrocknet werden, was in Trockenräumen zu ge-
ſchehen pflegt. — Aus den Abfällen, dem Werg, ſpinnt man ein
minderwertiges Garn, Werggarn, Towgarn. Das Werg wird, wie
die Baumwolle, auf Krempelmaſchinen gekratzt, um geordnet zu werden,
nachdem es zuvor gründlich durch Schütteln und Klopfen gereinigt
worden iſt. Die Kratzenbeſchläge der Krempel ſind hier dem gröberen
Spinnmaterial angemeſſen viel ſtärker, ſowie auch die Maſchinen be-
deutend kräftiger gebaut. Als Vließ oder weiche Watte jedoch wird
das gekratzte Werg nicht von der Maſchine abgegeben, ſondern
immer in Form von Bändern. Die weitere Bearbeitung dieſer meiſt
zweimal hinter einander gekratzten Bänder durch Strecken und Dou-
blieren, Vorſpinnen und Feinſpinnen weicht in keiner Weiſe von der
für Flachs beſchriebenen ab.
Was die Hanfſpinnerei anbelangt, ſo ſtimmt dieſelbe, ſolange es
ſich um Herſtellung von Garnen handelt, mit der des Flachſes über-
ein. Wegen der großen Faſerlänge muß er zerſtoßen oder zerſchnitten
werden, was auch in gewiſſen Fällen beim Flachs geſchieht. Sollen
jedoch grobe Hanfgarne, insbeſondere zu Seilerwaren erzeugt werden,
ſo werden in der neueren Zeit abweichende Maſchinen benutzt, welche
zuerſt von Sam. Lawſon & Sons in Leeds eingeführt worden ſind.
Auch die Juteſpinnerei, welche in England 1832, in Deutſchland
1861 zu Vechelde bei Braunſchweig aufkam, ſtimmt im weſentlichen
unter Hinzunahme der Teilung der ſehr langen Faſern mit der des
Flachſes überein, wenn man beſſeres Garn, ſog. Jute-Leinengarn haben
will, oder aber ſie findet unter Benutzung von Karden, die das Material
in kurze Faſern zerreißen und dann zu einem Bande vereinigen, mehr
nach Art der Wergſpinnerei ſtatt und liefert das kardierte oder Jute-
Towgarn. Stets müſſen aber den Vorarbeiten noch ein Einweich- und
Quetſchprozeß vorangehen. Der erſtere beſteht darin, daß man die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/375>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.