hieraus, daß der anscheinend ganz unnütze Stickstoff eine höchst wichtige Rolle im Haushalte der Natur spielt: er ist der Regulator für die Verbrennungsprozesse, ohne welchen ein Bekämpfen von Bränden über- haupt unmöglich wäre.
Die verschiedenen Substanzen, welche der Verbrennung fähig sind, gebrauchen zu dieser also zunächst Luft. Dann zeigte sich aber bald, daß die Entzündlichkeit ein zweiter wesentlicher Punkt ist, welcher außer- ordentliche Verschiedenheit bedingt. Wir finden Körper, die wir erst bis zum heftigen Glühen erhitzen müssen, ehe sie verbrennen. Andere Sub- stanzen bedürfen dagegen nur der Berührung mit einem brennenden Körper, um in Flammen aufzugehen. Beispiele für ein solches Verhalten sind viele bekannt. Der Phosphor braucht sogar nur gerieben werden, um sich zu entzünden; ja, wir kennen auch Substanzen, welche ohne weiteres Feuer fangen, wenn sie mit der Atmosphäre in Berührung kommen. Zu diesen "Pyrophoren" gehört z. B. das feinst gepulverte, frisch dargestellte Eisen, sowie jene seltsame Verbindung des Phosphors, die wir Phosphorwasserstoff nennen, ein sehr giftiges und feuergefähr- liches Gas, welches sich beim Kochen von Phosphor in Kalilauge bildet und beim Austritt sich von selbst an der Luft entzündet. Die Chemiker haben die Erklärung der verschieden starken Entzündlichkeit der brenn- baren Substanzen in der gut begründeten Annahme gefunden, daß die Masse sämtlicher Elemente und Verbindungen aus kleinsten Teilchen, Molekülen, besteht und daß jedes dieser letzteren wieder aus noch kleineren Teilen, Atomen, zusammengesetzt ist, die durch Kräfte be- stimmter Art im Molekül zusammengehalten werden. Es gehört daher offenbar im allgemeinen ein äußerer Kraftanstoß dazu, um die Atome von einander zu lösen; sind sie dann einmal frei geworden, so äußern sich nunmehr -- und zwar sofort im Momente des Freiwerdens (in statu nascendi) -- andere Kräfte, die der chemischen Affinität, welche aus den Atomen neue Moleküle bilden, von anderen Eigenschaften, wie die alten. Diese anderen Kräfte pflegen viel stärker zu sein, als die erst erwähnten, so daß in den weitaus meisten Fällen der sich bei dem Prozeß ergebende Kraftüberschuß in Form von Wärme zur äußeren Wahrnehmung kommt. Der oben erwähnte "äußere Kraftanstoß" wird also in der Regel nicht zu entbehren sein, wenn es darauf ankommt, eine Verbrennung, welche ja auch ein chemischer Prozeß ist -- einzu- leiten; deshalb müssen wir den zu verbrennenden Körper anzünden, d. h. bis auf eine bestimmte Temperatur erhitzen. Ist aber die Verbrennung erst an einem Punkte eingeleitet, so genügt in den meisten Fällen der freiwerdende Wärmeüberschuß, um den ganzen Körper in Flammen zu setzen. Nur in den wenigen Fällen, wo die chemische Affinität so kolossal ist, daß die Atome sich aus den ursprünglichen Molekülen von selbst lösen, ist ein Entzünden garnicht nötig, und es erfolgt eine Selbstentzündung, wie beim Phosphor- wasserstoff.
Der Verbrennungsprozeß.
hieraus, daß der anſcheinend ganz unnütze Stickſtoff eine höchſt wichtige Rolle im Haushalte der Natur ſpielt: er iſt der Regulator für die Verbrennungsprozeſſe, ohne welchen ein Bekämpfen von Bränden über- haupt unmöglich wäre.
Die verſchiedenen Subſtanzen, welche der Verbrennung fähig ſind, gebrauchen zu dieſer alſo zunächſt Luft. Dann zeigte ſich aber bald, daß die Entzündlichkeit ein zweiter weſentlicher Punkt iſt, welcher außer- ordentliche Verſchiedenheit bedingt. Wir finden Körper, die wir erſt bis zum heftigen Glühen erhitzen müſſen, ehe ſie verbrennen. Andere Sub- ſtanzen bedürfen dagegen nur der Berührung mit einem brennenden Körper, um in Flammen aufzugehen. Beiſpiele für ein ſolches Verhalten ſind viele bekannt. Der Phosphor braucht ſogar nur gerieben werden, um ſich zu entzünden; ja, wir kennen auch Subſtanzen, welche ohne weiteres Feuer fangen, wenn ſie mit der Atmoſphäre in Berührung kommen. Zu dieſen „Pyrophoren“ gehört z. B. das feinſt gepulverte, friſch dargeſtellte Eiſen, ſowie jene ſeltſame Verbindung des Phosphors, die wir Phosphorwaſſerſtoff nennen, ein ſehr giftiges und feuergefähr- liches Gas, welches ſich beim Kochen von Phosphor in Kalilauge bildet und beim Austritt ſich von ſelbſt an der Luft entzündet. Die Chemiker haben die Erklärung der verſchieden ſtarken Entzündlichkeit der brenn- baren Subſtanzen in der gut begründeten Annahme gefunden, daß die Maſſe ſämtlicher Elemente und Verbindungen aus kleinſten Teilchen, Molekülen, beſteht und daß jedes dieſer letzteren wieder aus noch kleineren Teilen, Atomen, zuſammengeſetzt iſt, die durch Kräfte be- ſtimmter Art im Molekül zuſammengehalten werden. Es gehört daher offenbar im allgemeinen ein äußerer Kraftanſtoß dazu, um die Atome von einander zu löſen; ſind ſie dann einmal frei geworden, ſo äußern ſich nunmehr — und zwar ſofort im Momente des Freiwerdens (in statu nascendi) — andere Kräfte, die der chemiſchen Affinität, welche aus den Atomen neue Moleküle bilden, von anderen Eigenſchaften, wie die alten. Dieſe anderen Kräfte pflegen viel ſtärker zu ſein, als die erſt erwähnten, ſo daß in den weitaus meiſten Fällen der ſich bei dem Prozeß ergebende Kraftüberſchuß in Form von Wärme zur äußeren Wahrnehmung kommt. Der oben erwähnte „äußere Kraftanſtoß“ wird alſo in der Regel nicht zu entbehren ſein, wenn es darauf ankommt, eine Verbrennung, welche ja auch ein chemiſcher Prozeß iſt — einzu- leiten; deshalb müſſen wir den zu verbrennenden Körper anzünden, d. h. bis auf eine beſtimmte Temperatur erhitzen. Iſt aber die Verbrennung erſt an einem Punkte eingeleitet, ſo genügt in den meiſten Fällen der freiwerdende Wärmeüberſchuß, um den ganzen Körper in Flammen zu ſetzen. Nur in den wenigen Fällen, wo die chemiſche Affinität ſo koloſſal iſt, daß die Atome ſich aus den urſprünglichen Molekülen von ſelbſt löſen, iſt ein Entzünden garnicht nötig, und es erfolgt eine Selbſtentzündung, wie beim Phosphor- waſſerſtoff.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0297"n="279"/><fwplace="top"type="header">Der Verbrennungsprozeß.</fw><lb/>
hieraus, daß der anſcheinend ganz unnütze Stickſtoff eine höchſt wichtige<lb/>
Rolle im Haushalte der Natur ſpielt: er iſt der Regulator für die<lb/>
Verbrennungsprozeſſe, ohne welchen ein Bekämpfen von Bränden über-<lb/>
haupt unmöglich wäre.</p><lb/><p>Die verſchiedenen Subſtanzen, welche der Verbrennung fähig ſind,<lb/>
gebrauchen zu dieſer alſo zunächſt Luft. Dann zeigte ſich aber bald,<lb/>
daß die Entzündlichkeit ein zweiter weſentlicher Punkt iſt, welcher außer-<lb/>
ordentliche Verſchiedenheit bedingt. Wir finden Körper, die wir erſt bis<lb/>
zum heftigen Glühen erhitzen müſſen, ehe ſie verbrennen. Andere Sub-<lb/>ſtanzen bedürfen dagegen nur der Berührung mit einem brennenden<lb/>
Körper, um in Flammen aufzugehen. Beiſpiele für ein ſolches Verhalten<lb/>ſind viele bekannt. Der Phosphor braucht ſogar nur gerieben werden,<lb/>
um ſich zu entzünden; ja, wir kennen auch Subſtanzen, welche ohne<lb/>
weiteres Feuer fangen, wenn ſie mit der Atmoſphäre in Berührung<lb/>
kommen. Zu dieſen „Pyrophoren“ gehört z. B. das feinſt gepulverte, friſch<lb/>
dargeſtellte Eiſen, ſowie jene ſeltſame Verbindung des Phosphors, die<lb/>
wir Phosphorwaſſerſtoff nennen, ein ſehr giftiges und feuergefähr-<lb/>
liches Gas, welches ſich beim Kochen von Phosphor in Kalilauge bildet<lb/>
und beim Austritt ſich von ſelbſt an der Luft entzündet. Die Chemiker<lb/>
haben die Erklärung der verſchieden ſtarken Entzündlichkeit der brenn-<lb/>
baren Subſtanzen in der gut begründeten Annahme gefunden, daß die<lb/>
Maſſe ſämtlicher Elemente und Verbindungen aus kleinſten Teilchen,<lb/>
Molekülen, beſteht und daß jedes dieſer letzteren wieder aus noch<lb/>
kleineren Teilen, Atomen, zuſammengeſetzt iſt, die durch Kräfte be-<lb/>ſtimmter Art im Molekül zuſammengehalten werden. Es gehört daher<lb/>
offenbar im allgemeinen ein äußerer Kraftanſtoß dazu, um die Atome<lb/>
von einander zu löſen; ſind ſie dann einmal frei geworden, ſo äußern<lb/>ſich nunmehr — und zwar ſofort im Momente des Freiwerdens (<hirendition="#aq">in<lb/>
statu nascendi</hi>) — andere Kräfte, die der chemiſchen Affinität, welche<lb/>
aus den Atomen neue Moleküle bilden, von anderen Eigenſchaften, wie<lb/>
die alten. Dieſe anderen Kräfte pflegen viel ſtärker zu ſein, als die<lb/>
erſt erwähnten, ſo daß in den weitaus meiſten Fällen der ſich bei dem<lb/>
Prozeß ergebende Kraftüberſchuß in Form von Wärme zur äußeren<lb/>
Wahrnehmung kommt. Der oben erwähnte „äußere Kraftanſtoß“ wird<lb/>
alſo in der Regel nicht zu entbehren ſein, wenn es darauf ankommt,<lb/>
eine Verbrennung, welche ja auch ein chemiſcher Prozeß iſt — einzu-<lb/>
leiten; deshalb müſſen wir den zu verbrennenden Körper anzünden,<lb/>
d. h. bis auf eine beſtimmte Temperatur erhitzen. Iſt aber die<lb/>
Verbrennung erſt an einem Punkte eingeleitet, ſo genügt in den<lb/>
meiſten Fällen der freiwerdende Wärmeüberſchuß, um den ganzen<lb/>
Körper in Flammen zu ſetzen. Nur in den wenigen Fällen, wo<lb/>
die chemiſche Affinität ſo koloſſal iſt, daß die Atome ſich aus den<lb/>
urſprünglichen Molekülen von ſelbſt löſen, iſt ein Entzünden garnicht<lb/>
nötig, und es erfolgt eine Selbſtentzündung, wie beim Phosphor-<lb/>
waſſerſtoff.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[279/0297]
Der Verbrennungsprozeß.
hieraus, daß der anſcheinend ganz unnütze Stickſtoff eine höchſt wichtige
Rolle im Haushalte der Natur ſpielt: er iſt der Regulator für die
Verbrennungsprozeſſe, ohne welchen ein Bekämpfen von Bränden über-
haupt unmöglich wäre.
Die verſchiedenen Subſtanzen, welche der Verbrennung fähig ſind,
gebrauchen zu dieſer alſo zunächſt Luft. Dann zeigte ſich aber bald,
daß die Entzündlichkeit ein zweiter weſentlicher Punkt iſt, welcher außer-
ordentliche Verſchiedenheit bedingt. Wir finden Körper, die wir erſt bis
zum heftigen Glühen erhitzen müſſen, ehe ſie verbrennen. Andere Sub-
ſtanzen bedürfen dagegen nur der Berührung mit einem brennenden
Körper, um in Flammen aufzugehen. Beiſpiele für ein ſolches Verhalten
ſind viele bekannt. Der Phosphor braucht ſogar nur gerieben werden,
um ſich zu entzünden; ja, wir kennen auch Subſtanzen, welche ohne
weiteres Feuer fangen, wenn ſie mit der Atmoſphäre in Berührung
kommen. Zu dieſen „Pyrophoren“ gehört z. B. das feinſt gepulverte, friſch
dargeſtellte Eiſen, ſowie jene ſeltſame Verbindung des Phosphors, die
wir Phosphorwaſſerſtoff nennen, ein ſehr giftiges und feuergefähr-
liches Gas, welches ſich beim Kochen von Phosphor in Kalilauge bildet
und beim Austritt ſich von ſelbſt an der Luft entzündet. Die Chemiker
haben die Erklärung der verſchieden ſtarken Entzündlichkeit der brenn-
baren Subſtanzen in der gut begründeten Annahme gefunden, daß die
Maſſe ſämtlicher Elemente und Verbindungen aus kleinſten Teilchen,
Molekülen, beſteht und daß jedes dieſer letzteren wieder aus noch
kleineren Teilen, Atomen, zuſammengeſetzt iſt, die durch Kräfte be-
ſtimmter Art im Molekül zuſammengehalten werden. Es gehört daher
offenbar im allgemeinen ein äußerer Kraftanſtoß dazu, um die Atome
von einander zu löſen; ſind ſie dann einmal frei geworden, ſo äußern
ſich nunmehr — und zwar ſofort im Momente des Freiwerdens (in
statu nascendi) — andere Kräfte, die der chemiſchen Affinität, welche
aus den Atomen neue Moleküle bilden, von anderen Eigenſchaften, wie
die alten. Dieſe anderen Kräfte pflegen viel ſtärker zu ſein, als die
erſt erwähnten, ſo daß in den weitaus meiſten Fällen der ſich bei dem
Prozeß ergebende Kraftüberſchuß in Form von Wärme zur äußeren
Wahrnehmung kommt. Der oben erwähnte „äußere Kraftanſtoß“ wird
alſo in der Regel nicht zu entbehren ſein, wenn es darauf ankommt,
eine Verbrennung, welche ja auch ein chemiſcher Prozeß iſt — einzu-
leiten; deshalb müſſen wir den zu verbrennenden Körper anzünden,
d. h. bis auf eine beſtimmte Temperatur erhitzen. Iſt aber die
Verbrennung erſt an einem Punkte eingeleitet, ſo genügt in den
meiſten Fällen der freiwerdende Wärmeüberſchuß, um den ganzen
Körper in Flammen zu ſetzen. Nur in den wenigen Fällen, wo
die chemiſche Affinität ſo koloſſal iſt, daß die Atome ſich aus den
urſprünglichen Molekülen von ſelbſt löſen, iſt ein Entzünden garnicht
nötig, und es erfolgt eine Selbſtentzündung, wie beim Phosphor-
waſſerſtoff.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/297>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.