überhaupt die Werkzeuge der Sprache? Man hat früher den Kehlkopf für das einzige erachtet, und erst die genaueren Studien dieses Jahr- hunderts ergaben die Mitwirkung der verschiedenen Mundteile, der Zunge und der Lippen selbst für die Vokalbildung. Was diese zusammen bewirken, der Stimmlaut, gelangt an unser Ohr, und er kann dies offenbar nur durch Vermittelung der dazwischen befindlichen Luft, wie man einfach dadurch zeigen kann, daß man eine Schallquelle unter der Luftpumpe ihrer luftigen Umgebung beraubt; sie wird jetzt viel weniger deutlich vernehmbar sein. Die Bewegung der Luft ist es, welche den Laut zu uns herüberträgt und in unserem Ohre wieder andere Bewegungen hervorbringt. Das sind Hin- und Hergänge des Trommelfelles und der dahinter liegenden Ohrteile, welche sich schließlich bis zu den feinen Enden des Hörnervs verbreiten und dort die Em- pfindung des Gehörten hervorbringen.
Schwingungen, denen des Trommelfells ähnlich, zu erzeugen hält nicht schwer. Man braucht dazu nichts als eine Platte von Metall oder Holz, die man in ihrer Mitte befestigt. Ihr kann man durch Streichen mit einem Violinbogen die verschiedenartigsten Töne entlocken, und wenn man dabei Sand auf die Platte streut, so wird sich dieser, je nach dem Tone in immer anderer Weise anordnen und uns so die Schwingungen vergegenwärtigen, welche die Platte ausführt. Der Physiker Chladni, dessen Namen diese Sandfiguren tragen, hat dieselben genauer studiert und dadurch nicht wenig zu der Erkenntnis der Natur des Hörens und Sprechens beigetragen. Es liegt nahe anzunehmen, daß am Ausgangspunkte der Stimmlaute ebensolche Hin- und Hergänge von Körperteilchen stattfinden, und das ist wirklich der Fall. Die Stimm- bänder bewegen sich rythmisch auf und nieder, und die in der Mund- höhle eingeschlossene Luft macht ähnliche Schwingungen durch. Das sind alles Beobachtungen, die durch die Erfindung des Kehlkopfspiegels und des akustischen Flammenzeigers erst vor wenigen Jahrzehnten ermöglicht wurden. Sie legten den Gedanken nahe, diese Schwingungen auch irgendwo aufzeichnen zu lassen und Mittel und Wege zu suchen, aus diesen Aufzeichnungen wieder, nachdem das gesprochene Wort längst verhallt sei, es zum Ertönen zu bringen. Dieser Plan war eigentlich nicht neu, aber seine Verwirklichung konnte erst nach diesem genauen Studium der Sprache gelingen. Bereits 1653 schreibt ein phantasiereicher französischer Schriftsteller, er habe von einem Bewohner des Mondes einen buchförmigen Kasten zum Geschenke erhalten. "Als ich ihn öffnete, fand ich darin einen Metallgegenstand, den Uhren ähnlich und voll von kleinen Federn und kaum sichtbaren Maschinen. Es ist zwar ein Buch, aber ein Wunderbuch ohne Blätter und Schrift, kurz ein Buch, bei welchem man zum Lesen und Lernen der Augen nicht bedarf; man braucht nur Ohren. Wünscht also jemand zu lesen, so spannt er diese Maschine mit Hülfe einer Menge kleiner Sehnen, dann versetzt er die Nadel nach dem Kapitel, welches er zu hören
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Der Phonograph.
überhaupt die Werkzeuge der Sprache? Man hat früher den Kehlkopf für das einzige erachtet, und erſt die genaueren Studien dieſes Jahr- hunderts ergaben die Mitwirkung der verſchiedenen Mundteile, der Zunge und der Lippen ſelbſt für die Vokalbildung. Was dieſe zuſammen bewirken, der Stimmlaut, gelangt an unſer Ohr, und er kann dies offenbar nur durch Vermittelung der dazwiſchen befindlichen Luft, wie man einfach dadurch zeigen kann, daß man eine Schallquelle unter der Luftpumpe ihrer luftigen Umgebung beraubt; ſie wird jetzt viel weniger deutlich vernehmbar ſein. Die Bewegung der Luft iſt es, welche den Laut zu uns herüberträgt und in unſerem Ohre wieder andere Bewegungen hervorbringt. Das ſind Hin- und Hergänge des Trommelfelles und der dahinter liegenden Ohrteile, welche ſich ſchließlich bis zu den feinen Enden des Hörnervs verbreiten und dort die Em- pfindung des Gehörten hervorbringen.
Schwingungen, denen des Trommelfells ähnlich, zu erzeugen hält nicht ſchwer. Man braucht dazu nichts als eine Platte von Metall oder Holz, die man in ihrer Mitte befeſtigt. Ihr kann man durch Streichen mit einem Violinbogen die verſchiedenartigſten Töne entlocken, und wenn man dabei Sand auf die Platte ſtreut, ſo wird ſich dieſer, je nach dem Tone in immer anderer Weiſe anordnen und uns ſo die Schwingungen vergegenwärtigen, welche die Platte ausführt. Der Phyſiker Chladni, deſſen Namen dieſe Sandfiguren tragen, hat dieſelben genauer ſtudiert und dadurch nicht wenig zu der Erkenntnis der Natur des Hörens und Sprechens beigetragen. Es liegt nahe anzunehmen, daß am Ausgangspunkte der Stimmlaute ebenſolche Hin- und Hergänge von Körperteilchen ſtattfinden, und das iſt wirklich der Fall. Die Stimm- bänder bewegen ſich rythmiſch auf und nieder, und die in der Mund- höhle eingeſchloſſene Luft macht ähnliche Schwingungen durch. Das ſind alles Beobachtungen, die durch die Erfindung des Kehlkopfſpiegels und des akuſtiſchen Flammenzeigers erſt vor wenigen Jahrzehnten ermöglicht wurden. Sie legten den Gedanken nahe, dieſe Schwingungen auch irgendwo aufzeichnen zu laſſen und Mittel und Wege zu ſuchen, aus dieſen Aufzeichnungen wieder, nachdem das geſprochene Wort längſt verhallt ſei, es zum Ertönen zu bringen. Dieſer Plan war eigentlich nicht neu, aber ſeine Verwirklichung konnte erſt nach dieſem genauen Studium der Sprache gelingen. Bereits 1653 ſchreibt ein phantaſiereicher franzöſiſcher Schriftſteller, er habe von einem Bewohner des Mondes einen buchförmigen Kaſten zum Geſchenke erhalten. „Als ich ihn öffnete, fand ich darin einen Metallgegenſtand, den Uhren ähnlich und voll von kleinen Federn und kaum ſichtbaren Maſchinen. Es iſt zwar ein Buch, aber ein Wunderbuch ohne Blätter und Schrift, kurz ein Buch, bei welchem man zum Leſen und Lernen der Augen nicht bedarf; man braucht nur Ohren. Wünſcht alſo jemand zu leſen, ſo ſpannt er dieſe Maſchine mit Hülfe einer Menge kleiner Sehnen, dann verſetzt er die Nadel nach dem Kapitel, welches er zu hören
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Der Phonograph.
überhaupt die Werkzeuge der Sprache? Man hat früher den Kehlkopf
für das einzige erachtet, und erſt die genaueren Studien dieſes Jahr-
hunderts ergaben die Mitwirkung der verſchiedenen Mundteile, der
Zunge und der Lippen ſelbſt für die Vokalbildung. Was dieſe zuſammen
bewirken, der Stimmlaut, gelangt an unſer Ohr, und er kann dies
offenbar nur durch Vermittelung der dazwiſchen befindlichen Luft, wie
man einfach dadurch zeigen kann, daß man eine Schallquelle unter
der Luftpumpe ihrer luftigen Umgebung beraubt; ſie wird jetzt viel
weniger deutlich vernehmbar ſein. Die Bewegung der Luft iſt es,
welche den Laut zu uns herüberträgt und in unſerem Ohre wieder
andere Bewegungen hervorbringt. Das ſind Hin- und Hergänge des
Trommelfelles und der dahinter liegenden Ohrteile, welche ſich ſchließlich
bis zu den feinen Enden des Hörnervs verbreiten und dort die Em-
pfindung des Gehörten hervorbringen.
Schwingungen, denen des Trommelfells ähnlich, zu erzeugen hält
nicht ſchwer. Man braucht dazu nichts als eine Platte von Metall oder
Holz, die man in ihrer Mitte befeſtigt. Ihr kann man durch Streichen
mit einem Violinbogen die verſchiedenartigſten Töne entlocken, und wenn
man dabei Sand auf die Platte ſtreut, ſo wird ſich dieſer, je nach dem
Tone in immer anderer Weiſe anordnen und uns ſo die Schwingungen
vergegenwärtigen, welche die Platte ausführt. Der Phyſiker Chladni,
deſſen Namen dieſe Sandfiguren tragen, hat dieſelben genauer ſtudiert
und dadurch nicht wenig zu der Erkenntnis der Natur des Hörens
und Sprechens beigetragen. Es liegt nahe anzunehmen, daß am
Ausgangspunkte der Stimmlaute ebenſolche Hin- und Hergänge von
Körperteilchen ſtattfinden, und das iſt wirklich der Fall. Die Stimm-
bänder bewegen ſich rythmiſch auf und nieder, und die in der Mund-
höhle eingeſchloſſene Luft macht ähnliche Schwingungen durch. Das
ſind alles Beobachtungen, die durch die Erfindung des Kehlkopfſpiegels
und des akuſtiſchen Flammenzeigers erſt vor wenigen Jahrzehnten
ermöglicht wurden. Sie legten den Gedanken nahe, dieſe Schwingungen
auch irgendwo aufzeichnen zu laſſen und Mittel und Wege zu ſuchen,
aus dieſen Aufzeichnungen wieder, nachdem das geſprochene Wort
längſt verhallt ſei, es zum Ertönen zu bringen. Dieſer Plan war
eigentlich nicht neu, aber ſeine Verwirklichung konnte erſt nach dieſem
genauen Studium der Sprache gelingen. Bereits 1653 ſchreibt ein
phantaſiereicher franzöſiſcher Schriftſteller, er habe von einem Bewohner
des Mondes einen buchförmigen Kaſten zum Geſchenke erhalten. „Als
ich ihn öffnete, fand ich darin einen Metallgegenſtand, den Uhren
ähnlich und voll von kleinen Federn und kaum ſichtbaren Maſchinen.
Es iſt zwar ein Buch, aber ein Wunderbuch ohne Blätter und Schrift,
kurz ein Buch, bei welchem man zum Leſen und Lernen der Augen
nicht bedarf; man braucht nur Ohren. Wünſcht alſo jemand zu leſen,
ſo ſpannt er dieſe Maſchine mit Hülfe einer Menge kleiner Sehnen,
dann verſetzt er die Nadel nach dem Kapitel, welches er zu hören
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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/245>, abgerufen am 02.02.2025.
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