dem Bernstein lieblos beiseite geschoben wurde, auch von einer geriebenen Siegellack- oder Hartgummistange nicht sofort angezogen wird, desto freundlicher wird es dagegen von der geriebenen Glasstange auf- genommen, um freilich wieder nach kurzer Zeit davon gestoßen zu werden. Jetzt erst findet es auf kurze Zeit bei den Harzstangen die ihm früher versagte liebevolle Aufnahme. Alle diese Erscheinungen -- so sonderbar sie sich zuerst ausnehmen mögen -- erfahren eine einfache Erklärung, wenn man die folgende Ansicht, welche Symmer 1759 aufgestellt hat, zu Grunde legt. Durch das Reiben werden sowohl die Harzstücke wie die Glasstangen in einen elektrischen Zustand versetzt. Aber die Zustände sind doch von einander sehr verschieden, so daß man den einen den harzelektrischen, den andern den glaselektrischen nennen könnte. Die Ursache dieser Zustände geht uns hier nichts weiter an; man hat auch erst in allerneuester Zeit eine klare Einsicht in das wahre Wesen derselben erlangt. Für uns genügt es anzunehmen, daß ein nicht näher zu beschreibendes Etwas daran schuld ist, welches man im ersten Falle die Harzelektrizität, im letzteren die Glaselektrizität nennen könnte. Man ist übereingekommen, die letztere die positive und die erstere die negative zu nennen. Nun muß man annehmen, daß die angezogenen Körperchen selbst die Fähigkeit haben, etwas von der Elektrizität des elektrischen Körpers in sich aufzunehmen, jene teilt sich auch dem anliegenden Körperchen mit, dasselbe wird elektrisiert. Jedoch bleibt das Körperchen an der Harzstange nur so lange Zeit liegen, als es zur Aufnahme einiger negativer Elektrizität bedarf. Wir müssen also schließen, daß der Körper nur abgestoßen wird, weil er jetzt selbst harzelektrisch geworden ist. Unser bisheriges Ergebnis würde also lauten: ein harzelektrischer Körper zieht einen unelektrischen an, stößt aber einen harzelektrischen von sich. Das wird auch dadurch bestätigt, daß die anderen Harzstücke jetzt den davongejagten Körper nicht auf- nehmen wollen. Da aber unser Körperchen sich von der geriebenen Glasstange anziehen läßt, so folgt der Schluß, daß ein glaselektrischer Körper für einen harzelektrischen eine besondere Vorliebe hat. Der weitere Verlauf der Erscheinung läßt sich ganz ebenso deuten, und kurz heraus- gesagt ist alles aus dem Satze verständlich:
Elektrische Körper ziehen unelektrische und solche mit der entgegen- gesetzten Elektrizität an, stoßen aber solche mit der gleichen Elektrizität ab.
So hätten wir eine grundsätzliche Verschiedenheit der Körper nach ihrem elektrischen Zustande erkannt, man findet eine andere Zweiteilung derselben durch den folgenden Versuch: Man hängt einen beliebig langen Metalldraht, der an einem Ende ein metallenes Scheibchen trägt, an zwei Seidenfäden auf, teilt einer ganz beliebigen Stelle dieses Drahtes die Elektrizität eines geriebenen Harzstückes oder einer Glasstange mit, indem man ihn einfach dort mit dem elektrischen Körper berührt und nähert der Endplatte einen kleinen Körper, am einfachsten eine Kugel von Hollundermark, die man an einem Seiden-
Die Erfindung des Blitzableiters.
dem Bernſtein lieblos beiſeite geſchoben wurde, auch von einer geriebenen Siegellack- oder Hartgummiſtange nicht ſofort angezogen wird, deſto freundlicher wird es dagegen von der geriebenen Glasſtange auf- genommen, um freilich wieder nach kurzer Zeit davon geſtoßen zu werden. Jetzt erſt findet es auf kurze Zeit bei den Harzſtangen die ihm früher verſagte liebevolle Aufnahme. Alle dieſe Erſcheinungen — ſo ſonderbar ſie ſich zuerſt ausnehmen mögen — erfahren eine einfache Erklärung, wenn man die folgende Anſicht, welche Symmer 1759 aufgeſtellt hat, zu Grunde legt. Durch das Reiben werden ſowohl die Harzſtücke wie die Glasſtangen in einen elektriſchen Zuſtand verſetzt. Aber die Zuſtände ſind doch von einander ſehr verſchieden, ſo daß man den einen den harzelektriſchen, den andern den glaselektriſchen nennen könnte. Die Urſache dieſer Zuſtände geht uns hier nichts weiter an; man hat auch erſt in allerneueſter Zeit eine klare Einſicht in das wahre Weſen derſelben erlangt. Für uns genügt es anzunehmen, daß ein nicht näher zu beſchreibendes Etwas daran ſchuld iſt, welches man im erſten Falle die Harzelektrizität, im letzteren die Glaselektrizität nennen könnte. Man iſt übereingekommen, die letztere die poſitive und die erſtere die negative zu nennen. Nun muß man annehmen, daß die angezogenen Körperchen ſelbſt die Fähigkeit haben, etwas von der Elektrizität des elektriſchen Körpers in ſich aufzunehmen, jene teilt ſich auch dem anliegenden Körperchen mit, dasſelbe wird elektriſiert. Jedoch bleibt das Körperchen an der Harzſtange nur ſo lange Zeit liegen, als es zur Aufnahme einiger negativer Elektrizität bedarf. Wir müſſen alſo ſchließen, daß der Körper nur abgeſtoßen wird, weil er jetzt ſelbſt harzelektriſch geworden iſt. Unſer bisheriges Ergebnis würde alſo lauten: ein harzelektriſcher Körper zieht einen unelektriſchen an, ſtößt aber einen harzelektriſchen von ſich. Das wird auch dadurch beſtätigt, daß die anderen Harzſtücke jetzt den davongejagten Körper nicht auf- nehmen wollen. Da aber unſer Körperchen ſich von der geriebenen Glasſtange anziehen läßt, ſo folgt der Schluß, daß ein glaselektriſcher Körper für einen harzelektriſchen eine beſondere Vorliebe hat. Der weitere Verlauf der Erſcheinung läßt ſich ganz ebenſo deuten, und kurz heraus- geſagt iſt alles aus dem Satze verſtändlich:
Elektriſche Körper ziehen unelektriſche und ſolche mit der entgegen- geſetzten Elektrizität an, ſtoßen aber ſolche mit der gleichen Elektrizität ab.
So hätten wir eine grundſätzliche Verſchiedenheit der Körper nach ihrem elektriſchen Zuſtande erkannt, man findet eine andere Zweiteilung derſelben durch den folgenden Verſuch: Man hängt einen beliebig langen Metalldraht, der an einem Ende ein metallenes Scheibchen trägt, an zwei Seidenfäden auf, teilt einer ganz beliebigen Stelle dieſes Drahtes die Elektrizität eines geriebenen Harzſtückes oder einer Glasſtange mit, indem man ihn einfach dort mit dem elektriſchen Körper berührt und nähert der Endplatte einen kleinen Körper, am einfachſten eine Kugel von Hollundermark, die man an einem Seiden-
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Die Erfindung des Blitzableiters.
dem Bernſtein lieblos beiſeite geſchoben wurde, auch von einer geriebenen
Siegellack- oder Hartgummiſtange nicht ſofort angezogen wird, deſto
freundlicher wird es dagegen von der geriebenen Glasſtange auf-
genommen, um freilich wieder nach kurzer Zeit davon geſtoßen zu
werden. Jetzt erſt findet es auf kurze Zeit bei den Harzſtangen die
ihm früher verſagte liebevolle Aufnahme. Alle dieſe Erſcheinungen —
ſo ſonderbar ſie ſich zuerſt ausnehmen mögen — erfahren eine einfache
Erklärung, wenn man die folgende Anſicht, welche Symmer 1759
aufgeſtellt hat, zu Grunde legt. Durch das Reiben werden ſowohl
die Harzſtücke wie die Glasſtangen in einen elektriſchen Zuſtand verſetzt.
Aber die Zuſtände ſind doch von einander ſehr verſchieden, ſo daß
man den einen den harzelektriſchen, den andern den glaselektriſchen
nennen könnte. Die Urſache dieſer Zuſtände geht uns hier nichts weiter
an; man hat auch erſt in allerneueſter Zeit eine klare Einſicht in das
wahre Weſen derſelben erlangt. Für uns genügt es anzunehmen, daß
ein nicht näher zu beſchreibendes Etwas daran ſchuld iſt, welches man
im erſten Falle die Harzelektrizität, im letzteren die Glaselektrizität
nennen könnte. Man iſt übereingekommen, die letztere die poſitive
und die erſtere die negative zu nennen. Nun muß man annehmen,
daß die angezogenen Körperchen ſelbſt die Fähigkeit haben, etwas von
der Elektrizität des elektriſchen Körpers in ſich aufzunehmen, jene teilt
ſich auch dem anliegenden Körperchen mit, dasſelbe wird elektriſiert.
Jedoch bleibt das Körperchen an der Harzſtange nur ſo lange Zeit liegen,
als es zur Aufnahme einiger negativer Elektrizität bedarf. Wir müſſen
alſo ſchließen, daß der Körper nur abgeſtoßen wird, weil er jetzt ſelbſt
harzelektriſch geworden iſt. Unſer bisheriges Ergebnis würde alſo
lauten: ein harzelektriſcher Körper zieht einen unelektriſchen an, ſtößt
aber einen harzelektriſchen von ſich. Das wird auch dadurch beſtätigt,
daß die anderen Harzſtücke jetzt den davongejagten Körper nicht auf-
nehmen wollen. Da aber unſer Körperchen ſich von der geriebenen
Glasſtange anziehen läßt, ſo folgt der Schluß, daß ein glaselektriſcher
Körper für einen harzelektriſchen eine beſondere Vorliebe hat. Der weitere
Verlauf der Erſcheinung läßt ſich ganz ebenſo deuten, und kurz heraus-
geſagt iſt alles aus dem Satze verſtändlich:
Elektriſche Körper ziehen unelektriſche und ſolche mit der entgegen-
geſetzten Elektrizität an, ſtoßen aber ſolche mit der gleichen Elektrizität ab.
So hätten wir eine grundſätzliche Verſchiedenheit der Körper nach
ihrem elektriſchen Zuſtande erkannt, man findet eine andere Zweiteilung
derſelben durch den folgenden Verſuch: Man hängt einen beliebig
langen Metalldraht, der an einem Ende ein metallenes Scheibchen
trägt, an zwei Seidenfäden auf, teilt einer ganz beliebigen Stelle
dieſes Drahtes die Elektrizität eines geriebenen Harzſtückes oder einer
Glasſtange mit, indem man ihn einfach dort mit dem elektriſchen
Körper berührt und nähert der Endplatte einen kleinen Körper, am
einfachſten eine Kugel von Hollundermark, die man an einem Seiden-
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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/143>, abgerufen am 17.02.2025.
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