Der Gedanke, nicht nur meinen Körper, sondern noch mehr, meine Verstandeskraefte, in einem hohen Grade geschwaecht zu haben, foltert mich unaufhörlich, und bringt mich beynahe zur Verzweiflung. Denn was wer- den Sie denken, wenn ich Ihnen sage, dass ich, ungeachtet der Begehung dieses Lasters, dennoch in allen Klassen immer für einen der vorzüglichsten Schüler gehalten wurde? Es fehlt mir auch jetzt nicht an manchen Kennt- nissen. Aber wenn ich meine jetzigen mit de- nen vergleiche, die ich, ohne Begehung dieses verfluchten Verbrechens, haben würde, wenn ich denke, ich will nicht sagen welcher ge- lehrte, doch welcher brauchbare Mann, ich durch Bebauung meiner natürlichen Talente haette werden, wie viel Gutes ich haette stif- ten können, auch in meiner Familie, und wie nun das alles so gaenzlich vorbey ist, wie die vergangene Minute, o! dann, dann fühl' ich Höllenqual. Meine lebhafte Einbildungskraft, diese Quelle alles Schönen, ist vertrocknet; mein Gedaechtniss ist geschwaecht, und mein Geist, zu alle dem, was eine ununterbroche- ne Anstrengung erfodert, und zu den ernsten
Wis-
(Von heimlichen Saunden.) (F)
II.
Der Gedanke, nicht nur meinen Körper, ſondern noch mehr, meine Verſtandeskræfte, in einem hohen Grade geſchwæcht zu haben, foltert mich unaufhörlich, und bringt mich beynahe zur Verzweiflung. Denn was wer- den Sie denken, wenn ich Ihnen ſage, daſs ich, ungeachtet der Begehung dieſes Laſters, dennoch in allen Klaſſen immer für einen der vorzüglichſten Schüler gehalten wurde? Es fehlt mir auch jetzt nicht an manchen Kennt- niſſen. Aber wenn ich meine jetzigen mit de- nen vergleiche, die ich, ohne Begehung dieſes verfluchten Verbrechens, haben würde, wenn ich denke, ich will nicht ſagen welcher ge- lehrte, doch welcher brauchbare Mann, ich durch Bebauung meiner natürlichen Talente hætte werden, wie viel Gutes ich hætte ſtif- ten können, auch in meiner Familie, und wie nun das alles ſo gænzlich vorbey iſt, wie die vergangene Minute, o! dann, dann fühl’ ich Höllenqual. Meine lebhafte Einbildungskraft, dieſe Quelle alles Schönen, iſt vertrocknet; mein Gedæchtniſs iſt geſchwæcht, und mein Geiſt, zu alle dem, was eine ununterbroche- ne Anſtrengung erfodert, und zu den ernſten
Wiſ-
(Von heimlichen Sûnden.) (F)
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0091"n="81"/><divn="3"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">II.</hi></hi></head><lb/><p>Der Gedanke, nicht nur meinen Körper,<lb/>ſondern noch mehr, meine Verſtandeskræfte,<lb/>
in einem hohen Grade geſchwæcht zu haben,<lb/>
foltert mich unaufhörlich, und bringt mich<lb/>
beynahe zur Verzweiflung. Denn was wer-<lb/>
den Sie denken, wenn ich Ihnen ſage, daſs<lb/>
ich, ungeachtet der Begehung dieſes Laſters,<lb/>
dennoch in allen Klaſſen immer für einen der<lb/>
vorzüglichſten Schüler gehalten wurde? Es<lb/>
fehlt mir auch jetzt nicht an manchen Kennt-<lb/>
niſſen. Aber wenn ich meine jetzigen mit de-<lb/>
nen vergleiche, die ich, ohne Begehung dieſes<lb/>
verfluchten Verbrechens, haben würde, wenn<lb/>
ich denke, ich will nicht ſagen welcher ge-<lb/>
lehrte, doch welcher brauchbare Mann, ich<lb/>
durch Bebauung meiner natürlichen Talente<lb/>
hætte werden, wie viel Gutes ich hætte ſtif-<lb/>
ten können, auch in meiner Familie, und wie<lb/>
nun das alles ſo gænzlich vorbey iſt, wie die<lb/>
vergangene Minute, o! dann, dann fühl’ ich<lb/>
Höllenqual. Meine lebhafte Einbildungskraft,<lb/>
dieſe Quelle alles Schönen, iſt vertrocknet;<lb/>
mein Gedæchtniſs iſt geſchwæcht, und mein<lb/>
Geiſt, zu alle dem, was eine ununterbroche-<lb/>
ne Anſtrengung erfodert, und zu den ernſten<lb/><fwplace="bottom"type="sig">(<hirendition="#i">Von heimlichen Sûnden.</hi>) (F)</fw><fwplace="bottom"type="catch">Wiſ-</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[81/0091]
II.
Der Gedanke, nicht nur meinen Körper,
ſondern noch mehr, meine Verſtandeskræfte,
in einem hohen Grade geſchwæcht zu haben,
foltert mich unaufhörlich, und bringt mich
beynahe zur Verzweiflung. Denn was wer-
den Sie denken, wenn ich Ihnen ſage, daſs
ich, ungeachtet der Begehung dieſes Laſters,
dennoch in allen Klaſſen immer für einen der
vorzüglichſten Schüler gehalten wurde? Es
fehlt mir auch jetzt nicht an manchen Kennt-
niſſen. Aber wenn ich meine jetzigen mit de-
nen vergleiche, die ich, ohne Begehung dieſes
verfluchten Verbrechens, haben würde, wenn
ich denke, ich will nicht ſagen welcher ge-
lehrte, doch welcher brauchbare Mann, ich
durch Bebauung meiner natürlichen Talente
hætte werden, wie viel Gutes ich hætte ſtif-
ten können, auch in meiner Familie, und wie
nun das alles ſo gænzlich vorbey iſt, wie die
vergangene Minute, o! dann, dann fühl’ ich
Höllenqual. Meine lebhafte Einbildungskraft,
dieſe Quelle alles Schönen, iſt vertrocknet;
mein Gedæchtniſs iſt geſchwæcht, und mein
Geiſt, zu alle dem, was eine ununterbroche-
ne Anſtrengung erfodert, und zu den ernſten
Wiſ-
(Von heimlichen Sûnden.) (F)
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785/91>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.