sche Sprache erlernet, und der Geschmack gebildet werden könne, ohne dass dabey die Unschuld leide. Sollte es aber schlechter- dings zur Erlernung dieser Sprache nöthig seyn, die Alten, mit ihren anstössigen und schlüpfrigen Stellen, zu lesen, so glaubte ich doch, dass es besser sey, gar kein Latein zu lernen, als bey Erlernung desselben Unschuld und Sitten zu verderben.
Die Meynung, als wenn das Lesen der Alten schlechterdings zur Bildung des Ge- schmacks nöthig sey, kommt mir eben so vor, als wenn man behauptet, dass der wah- re Glaube allein aus den alten Theologen geschöpft werden müsse. Beydes ist Vorur- theil, beydes ein Schlagbaum, wodurch das Vorwaertsstreben der menschlichen Kraft auf- gehalten wird. Denn im Grunde beruhen doch beyde Meynungen auf dem Satze; dass der Sitz der Weisheit bey den Alten, d. i. bey denen zu suchen sey, die etliche Jahrhun- derte vor uns gelebt haben, welches, nach
dem
ſche Sprache erlernet, und der Geſchmack gebildet werden könne, ohne daſs dabey die Unſchuld leide. Sollte es aber ſchlechter- dings zur Erlernung dieſer Sprache nöthig ſeyn, die Alten, mit ihren anſtöſſigen und ſchlüpfrigen Stellen, zu leſen, ſo glaubte ich doch, daſs es beſſer ſey, gar kein Latein zu lernen, als bey Erlernung deſſelben Unſchuld und Sitten zu verderben.
Die Meynung, als wenn das Leſen der Alten ſchlechterdings zur Bildung des Ge- ſchmacks nöthig ſey, kommt mir eben ſo vor, als wenn man behauptet, daſs der wah- re Glaube allein aus den alten Theologen geſchöpft werden müſſe. Beydes iſt Vorur- theil, beydes ein Schlagbaum, wodurch das Vorwærtsſtreben der menſchlichen Kraft auf- gehalten wird. Denn im Grunde beruhen doch beyde Meynungen auf dem Satze; daſs der Sitz der Weisheit bey den Alten, d. i. bey denen zu ſuchen ſey, die etliche Jahrhun- derte vor uns gelebt haben, welches, nach
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ſche Sprache erlernet, und der Geſchmack
gebildet werden könne, ohne daſs dabey die
Unſchuld leide. Sollte es aber ſchlechter-
dings zur Erlernung dieſer Sprache nöthig
ſeyn, die Alten, mit ihren anſtöſſigen und
ſchlüpfrigen Stellen, zu leſen, ſo glaubte ich
doch, daſs es beſſer ſey, gar kein Latein zu
lernen, als bey Erlernung deſſelben Unſchuld
und Sitten zu verderben.
Die Meynung, als wenn das Leſen der
Alten ſchlechterdings zur Bildung des Ge-
ſchmacks nöthig ſey, kommt mir eben ſo
vor, als wenn man behauptet, daſs der wah-
re Glaube allein aus den alten Theologen
geſchöpft werden müſſe. Beydes iſt Vorur-
theil, beydes ein Schlagbaum, wodurch das
Vorwærtsſtreben der menſchlichen Kraft auf-
gehalten wird. Denn im Grunde beruhen
doch beyde Meynungen auf dem Satze; daſs
der Sitz der Weisheit bey den Alten, d. i.
bey denen zu ſuchen ſey, die etliche Jahrhun-
derte vor uns gelebt haben, welches, nach
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Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785/152>, abgerufen am 22.11.2024.
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