Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite
Erster Abschnitt.
Unglaube an die unerschöpfliche
Weisheit, die auch da noch Mit-
tel zu helfen ausfindig machen
kann, wo die menschliche Weis-
heit keine mehr sieht. Wer an
einen Blick glaubt, der alle Be-
gebenheiten wie Eine übersieht,
der Abgründe durchblicket, der
die Mitternacht wie Mittagshelle
schaut, der Auswege sieht, wo
nichts als Untergang drohet; wer
an diesen Einen (überall Hül-
fe ersehenden) Blick glaubt, kann
nie auf die Empfindung der Ver-
legenheit, nie auf den Ausdruck
der Kurzsichtigkeit gerathen:
mir ist nimmer zu helfen.
Mistrauen auf die unermüdliche
Liebe, die zum Helfen nie zu trä-
ge, nie zu bequem, nie zu ei-
gensinnig, nie zu selbstsüchtig,
nie zu ohnmächtig werden kann.
Wenn Gott aufhören kann, Liebe
zu seyn, dann wird der erleuch-
tete
Erſter Abſchnitt.
Unglaube an die unerſchoͤpfliche
Weisheit, die auch da noch Mit-
tel zu helfen ausfindig machen
kann, wo die menſchliche Weis-
heit keine mehr ſieht. Wer an
einen Blick glaubt, der alle Be-
gebenheiten wie Eine uͤberſieht,
der Abgruͤnde durchblicket, der
die Mitternacht wie Mittagshelle
ſchaut, der Auswege ſieht, wo
nichts als Untergang drohet; wer
an dieſen Einen (uͤberall Huͤl-
fe erſehenden) Blick glaubt, kann
nie auf die Empfindung der Ver-
legenheit, nie auf den Ausdruck
der Kurzſichtigkeit gerathen:
mir iſt nimmer zu helfen.
Mistrauen auf die unermuͤdliche
Liebe, die zum Helfen nie zu traͤ-
ge, nie zu bequem, nie zu ei-
genſinnig, nie zu ſelbſtſuͤchtig,
nie zu ohnmaͤchtig werden kann.
Wenn Gott aufhoͤren kann, Liebe
zu ſeyn, dann wird der erleuch-
tete
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <list>
            <item>
              <pb facs="#f0078" n="66"/>
              <fw place="top" type="header">Er&#x017F;ter Ab&#x017F;chnitt.</fw><lb/>
              <list>
                <item><hi rendition="#fr">Unglaube</hi> an die uner&#x017F;cho&#x0364;pfliche<lb/>
Weisheit, die auch da noch Mit-<lb/>
tel zu helfen ausfindig machen<lb/>
kann, wo die men&#x017F;chliche Weis-<lb/>
heit keine mehr &#x017F;ieht. Wer an<lb/>
einen <hi rendition="#fr">Blick</hi> glaubt, der alle Be-<lb/>
gebenheiten wie Eine u&#x0364;ber&#x017F;ieht,<lb/>
der Abgru&#x0364;nde durchblicket, der<lb/>
die Mitternacht wie Mittagshelle<lb/>
&#x017F;chaut, der Auswege &#x017F;ieht, wo<lb/>
nichts als Untergang drohet; wer<lb/>
an die&#x017F;en <hi rendition="#g"><hi rendition="#fr">Einen</hi></hi> (u&#x0364;berall Hu&#x0364;l-<lb/>
fe er&#x017F;ehenden) Blick glaubt, kann<lb/>
nie auf die Empfindung der Ver-<lb/>
legenheit, nie auf den Ausdruck<lb/>
der Kurz&#x017F;ichtigkeit gerathen:<lb/>
mir i&#x017F;t nimmer zu helfen.</item><lb/>
                <item><hi rendition="#fr">Mistrauen</hi> auf die unermu&#x0364;dliche<lb/><hi rendition="#fr">Liebe,</hi> die zum Helfen nie zu tra&#x0364;-<lb/>
ge, nie zu bequem, nie zu ei-<lb/>
gen&#x017F;innig, nie zu &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;u&#x0364;chtig,<lb/>
nie zu ohnma&#x0364;chtig werden kann.<lb/>
Wenn Gott aufho&#x0364;ren kann, Liebe<lb/>
zu &#x017F;eyn, dann wird der erleuch-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">tete</fw><lb/></item>
              </list>
            </item>
          </list>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[66/0078] Erſter Abſchnitt. Unglaube an die unerſchoͤpfliche Weisheit, die auch da noch Mit- tel zu helfen ausfindig machen kann, wo die menſchliche Weis- heit keine mehr ſieht. Wer an einen Blick glaubt, der alle Be- gebenheiten wie Eine uͤberſieht, der Abgruͤnde durchblicket, der die Mitternacht wie Mittagshelle ſchaut, der Auswege ſieht, wo nichts als Untergang drohet; wer an dieſen Einen (uͤberall Huͤl- fe erſehenden) Blick glaubt, kann nie auf die Empfindung der Ver- legenheit, nie auf den Ausdruck der Kurzſichtigkeit gerathen: mir iſt nimmer zu helfen. Mistrauen auf die unermuͤdliche Liebe, die zum Helfen nie zu traͤ- ge, nie zu bequem, nie zu ei- genſinnig, nie zu ſelbſtſuͤchtig, nie zu ohnmaͤchtig werden kann. Wenn Gott aufhoͤren kann, Liebe zu ſeyn, dann wird der erleuch- tete

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/78
Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/78>, abgerufen am 03.05.2024.