Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Erster Abschnitt.
fer, keine Einschränkung, keine Ausnah-
me fodert.
So ist es denn auch der Wille
der Gottheit, daß jeder Sterbliche den Fa-
den seines Lebens so lange fortlaufen lasse,
bis ihn die Hand des Schöpfers abschneidet,
die ihn angesponnen hat. Denn die Regel
der höhern Vollkommenheit kann nie fordern,
daß ich ihn selbst abschneide, weil ich da-
durch eben die Regel aller höhern Vollkom-
menheit umstosse, die es laut sagt:

Schreit auf der Bahn, die dir die Für-
sehung angewiesen, nur immer weiter
fort, bis dich der Tod im Namen der
nämlichen Fürsehung, durch sein non
plus ultra
abfodert -- spring aber nie
selbst von der angewiesenen Bahn weg.
Fortwandeln ist deine Pflicht -- deine
Bestimmung -- das Werk deiner Treue.
Das Auf- und Abtreten hängt nicht
von dir ab, gehört nicht in die Ge-
genstände deiner Wahl. Zum Abtre-
ten darfst du dir das Zeichen nicht selbst
geben, so wenig du -- die Stunde
zum ersten Auftritt bestimmen konn-

test

Erſter Abſchnitt.
fer, keine Einſchraͤnkung, keine Ausnah-
me fodert.
So iſt es denn auch der Wille
der Gottheit, daß jeder Sterbliche den Fa-
den ſeines Lebens ſo lange fortlaufen laſſe,
bis ihn die Hand des Schoͤpfers abſchneidet,
die ihn angeſponnen hat. Denn die Regel
der hoͤhern Vollkommenheit kann nie fordern,
daß ich ihn ſelbſt abſchneide, weil ich da-
durch eben die Regel aller hoͤhern Vollkom-
menheit umſtoſſe, die es laut ſagt:

Schreit auf der Bahn, die dir die Fuͤr-
ſehung angewieſen, nur immer weiter
fort, bis dich der Tod im Namen der
naͤmlichen Fuͤrſehung, durch ſein non
plus ultra
abfodert — ſpring aber nie
ſelbſt von der angewieſenen Bahn weg.
Fortwandeln iſt deine Pflicht — deine
Beſtimmung — das Werk deiner Treue.
Das Auf- und Abtreten haͤngt nicht
von dir ab, gehoͤrt nicht in die Ge-
genſtaͤnde deiner Wahl. Zum Abtre-
ten darfſt du dir das Zeichen nicht ſelbſt
geben, ſo wenig du — die Stunde
zum erſten Auftritt beſtimmen konn-

teſt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0038" n="26"/><fw place="top" type="header">Er&#x017F;ter Ab&#x017F;chnitt.</fw><lb/><hi rendition="#fr">fer, keine Ein&#x017F;chra&#x0364;nkung, keine Ausnah-<lb/>
me fodert.</hi> So i&#x017F;t es denn auch der Wille<lb/>
der Gottheit, daß jeder Sterbliche den Fa-<lb/>
den &#x017F;eines Lebens &#x017F;o lange fortlaufen la&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
bis ihn die Hand des Scho&#x0364;pfers ab&#x017F;chneidet,<lb/>
die ihn ange&#x017F;ponnen hat. Denn die Regel<lb/>
der ho&#x0364;hern Vollkommenheit kann nie fordern,<lb/>
daß ich ihn &#x017F;elb&#x017F;t ab&#x017F;chneide, weil ich da-<lb/>
durch eben die Regel aller ho&#x0364;hern Vollkom-<lb/>
menheit um&#x017F;to&#x017F;&#x017F;e, die es laut &#x017F;agt:</p><lb/>
          <p> <hi rendition="#et">Schreit auf der Bahn, die dir die Fu&#x0364;r-<lb/>
&#x017F;ehung angewie&#x017F;en, nur immer weiter<lb/>
fort, bis dich der Tod im Namen der<lb/>
na&#x0364;mlichen Fu&#x0364;r&#x017F;ehung, durch &#x017F;ein <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">non<lb/>
plus ultra</hi></hi> abfodert &#x2014; &#x017F;pring aber nie<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t von der angewie&#x017F;enen Bahn weg.<lb/><hi rendition="#fr">Fortwandeln</hi> i&#x017F;t deine Pflicht &#x2014; deine<lb/>
Be&#x017F;timmung &#x2014; das Werk deiner Treue.<lb/>
Das Auf- und Abtreten ha&#x0364;ngt nicht<lb/>
von dir ab, geho&#x0364;rt nicht in die Ge-<lb/>
gen&#x017F;ta&#x0364;nde deiner Wahl. Zum Abtre-<lb/>
ten darf&#x017F;t du dir das Zeichen nicht &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
geben, &#x017F;o wenig du &#x2014; die Stunde<lb/>
zum er&#x017F;ten Auftritt be&#x017F;timmen konn-</hi><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">te&#x017F;t</fw><lb/>
          </p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0038] Erſter Abſchnitt. fer, keine Einſchraͤnkung, keine Ausnah- me fodert. So iſt es denn auch der Wille der Gottheit, daß jeder Sterbliche den Fa- den ſeines Lebens ſo lange fortlaufen laſſe, bis ihn die Hand des Schoͤpfers abſchneidet, die ihn angeſponnen hat. Denn die Regel der hoͤhern Vollkommenheit kann nie fordern, daß ich ihn ſelbſt abſchneide, weil ich da- durch eben die Regel aller hoͤhern Vollkom- menheit umſtoſſe, die es laut ſagt: Schreit auf der Bahn, die dir die Fuͤr- ſehung angewieſen, nur immer weiter fort, bis dich der Tod im Namen der naͤmlichen Fuͤrſehung, durch ſein non plus ultra abfodert — ſpring aber nie ſelbſt von der angewieſenen Bahn weg. Fortwandeln iſt deine Pflicht — deine Beſtimmung — das Werk deiner Treue. Das Auf- und Abtreten haͤngt nicht von dir ab, gehoͤrt nicht in die Ge- genſtaͤnde deiner Wahl. Zum Abtre- ten darfſt du dir das Zeichen nicht ſelbſt geben, ſo wenig du — die Stunde zum erſten Auftritt beſtimmen konn- teſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/38
Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/38>, abgerufen am 24.11.2024.