Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite
Dritter Abschnitt.

Sieh, wie der Philosoph sich selbst
widerspricht, da er sonst so vieles Gerede
aus der Tugend zu machen wußte, und
seinen Tugendhaften über Natur und Schick-
sal erhaben darstellte, oder vielmehr gar
von Gott und Schicksal unabhängig mach-
te: itzt aber diesen seinen erhabnen Weisen
wieder so klein macht, daß er im Ertra-
gen keines, im Lastwegwerfen alles Heil
findet!

"Der muß ein starker Weinsäu-
fer seyn, der die Flasche bis auf die
Hefe leeret."

Sieh, wie der Weise phantasirt, da
er zwischen dem Weinsäufer, der den letzten
Tropfen vom Nagel schlürft, und dem
Manne, der die Bitterkeiten des Lebens
bis auf die Hefe des grauen Alters aus-
trinket, eine Aehnlichkeit finden kann, die die-
sen mit jenem in Eine Klasse setzte! -- --



Stellen
Dritter Abſchnitt.

Sieh, wie der Philoſoph ſich ſelbſt
widerſpricht, da er ſonſt ſo vieles Gerede
aus der Tugend zu machen wußte, und
ſeinen Tugendhaften uͤber Natur und Schick-
ſal erhaben darſtellte, oder vielmehr gar
von Gott und Schickſal unabhaͤngig mach-
te: itzt aber dieſen ſeinen erhabnen Weiſen
wieder ſo klein macht, daß er im Ertra-
gen keines, im Laſtwegwerfen alles Heil
findet!

„Der muß ein ſtarker Weinſaͤu-
fer ſeyn, der die Flaſche bis auf die
Hefe leeret.“

Sieh, wie der Weiſe phantaſirt, da
er zwiſchen dem Weinſaͤufer, der den letzten
Tropfen vom Nagel ſchluͤrft, und dem
Manne, der die Bitterkeiten des Lebens
bis auf die Hefe des grauen Alters aus-
trinket, eine Aehnlichkeit finden kann, die die-
ſen mit jenem in Eine Klaſſe ſetzte! — —



Stellen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0192" n="180"/>
            <fw place="top" type="header">Dritter Ab&#x017F;chnitt.</fw><lb/>
            <p>Sieh, wie der Philo&#x017F;oph &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
wider&#x017F;pricht, da er &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o vieles Gerede<lb/>
aus der <hi rendition="#fr">Tugend</hi> zu machen wußte, und<lb/>
&#x017F;einen Tugendhaften u&#x0364;ber Natur und Schick-<lb/>
&#x017F;al erhaben dar&#x017F;tellte, oder vielmehr gar<lb/>
von Gott und Schick&#x017F;al unabha&#x0364;ngig mach-<lb/>
te: itzt aber die&#x017F;en &#x017F;einen erhabnen Wei&#x017F;en<lb/>
wieder &#x017F;o klein macht, daß er im Ertra-<lb/>
gen keines, im La&#x017F;twegwerfen alles Heil<lb/>
findet!</p><lb/>
            <p> <hi rendition="#fr">&#x201E;Der muß ein &#x017F;tarker Wein&#x017F;a&#x0364;u-<lb/>
fer &#x017F;eyn, der die Fla&#x017F;che bis auf die<lb/>
Hefe leeret.&#x201C;</hi> </p><lb/>
            <p>Sieh, wie der Wei&#x017F;e phanta&#x017F;irt, da<lb/>
er zwi&#x017F;chen dem Wein&#x017F;a&#x0364;ufer, der den letzten<lb/>
Tropfen vom Nagel &#x017F;chlu&#x0364;rft, und dem<lb/>
Manne, der die Bitterkeiten des Lebens<lb/>
bis auf die Hefe des grauen Alters aus-<lb/>
trinket, eine Aehnlichkeit finden kann, die die-<lb/>
&#x017F;en mit jenem in Eine Kla&#x017F;&#x017F;e &#x017F;etzte! &#x2014; &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Stellen</hi> </fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[180/0192] Dritter Abſchnitt. Sieh, wie der Philoſoph ſich ſelbſt widerſpricht, da er ſonſt ſo vieles Gerede aus der Tugend zu machen wußte, und ſeinen Tugendhaften uͤber Natur und Schick- ſal erhaben darſtellte, oder vielmehr gar von Gott und Schickſal unabhaͤngig mach- te: itzt aber dieſen ſeinen erhabnen Weiſen wieder ſo klein macht, daß er im Ertra- gen keines, im Laſtwegwerfen alles Heil findet! „Der muß ein ſtarker Weinſaͤu- fer ſeyn, der die Flaſche bis auf die Hefe leeret.“ Sieh, wie der Weiſe phantaſirt, da er zwiſchen dem Weinſaͤufer, der den letzten Tropfen vom Nagel ſchluͤrft, und dem Manne, der die Bitterkeiten des Lebens bis auf die Hefe des grauen Alters aus- trinket, eine Aehnlichkeit finden kann, die die- ſen mit jenem in Eine Klaſſe ſetzte! — — Stellen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/192
Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/192>, abgerufen am 03.12.2024.