"Man wird mich als Philosophen ehren, wenn ich über die Schrecken des Todes erhaben, dem gefangenen Geiste Luft machen kann."
Als Philosophen? Hört der Leichnam wohl auch den Laut der Glocke, wenn man ihn zu Grabe trägt? Oder schwebt etwa der entflohene Geist noch über dem Sarge, um ein Zeuge des Leichengepränges zu seyn, und die Freunde zu zählen, die seine Leiche begleiten? Wäre Philosophie in dem Unsinn, wenn einer den Tod gewaltsam herbeyrufte, um nur bald in der Leichenrede gelobt zu werden, und dieses Lob selbst mit anzuhören?
Ist denn Philosophie was anders als Lebensweisheit, und die Kunst dem Kno- chenmanne froh entgegen zu lächeln, wenn die Sense klirrt? Ist das Philosophie -- dem Tode die Sense gewaltsam aus der Hand wenden, um (Worte, und Begriffe fliehen einander) sich selbst nieder zu mähen? Und wer sind am Ende die Leute, die den Selbst-
mörder
Zweyter Abſchnitt.
12.
„Man wird mich als Philoſophen ehren, wenn ich uͤber die Schrecken des Todes erhaben, dem gefangenen Geiſte Luft machen kann.“
Als Philoſophen? Hoͤrt der Leichnam wohl auch den Laut der Glocke, wenn man ihn zu Grabe traͤgt? Oder ſchwebt etwa der entflohene Geiſt noch uͤber dem Sarge, um ein Zeuge des Leichengepraͤnges zu ſeyn, und die Freunde zu zaͤhlen, die ſeine Leiche begleiten? Waͤre Philoſophie in dem Unſinn, wenn einer den Tod gewaltſam herbeyrufte, um nur bald in der Leichenrede gelobt zu werden, und dieſes Lob ſelbſt mit anzuhoͤren?
Iſt denn Philoſophie was anders als Lebensweisheit, und die Kunſt dem Kno- chenmanne froh entgegen zu laͤcheln, wenn die Senſe klirrt? Iſt das Philoſophie — dem Tode die Senſe gewaltſam aus der Hand wenden, um (Worte, und Begriffe fliehen einander) ſich ſelbſt nieder zu maͤhen? Und wer ſind am Ende die Leute, die den Selbſt-
moͤrder
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Zweyter Abſchnitt.
12.
„Man wird mich als Philoſophen
ehren, wenn ich uͤber die
Schrecken des Todes erhaben, dem
gefangenen Geiſte Luft machen
kann.“
Als Philoſophen? Hoͤrt der Leichnam
wohl auch den Laut der Glocke, wenn man
ihn zu Grabe traͤgt? Oder ſchwebt etwa
der entflohene Geiſt noch uͤber dem Sarge,
um ein Zeuge des Leichengepraͤnges zu ſeyn,
und die Freunde zu zaͤhlen, die ſeine Leiche
begleiten? Waͤre Philoſophie in dem Unſinn,
wenn einer den Tod gewaltſam herbeyrufte,
um nur bald in der Leichenrede gelobt zu
werden, und dieſes Lob ſelbſt mit anzuhoͤren?
Iſt denn Philoſophie was anders als
Lebensweisheit, und die Kunſt dem Kno-
chenmanne froh entgegen zu laͤcheln, wenn
die Senſe klirrt? Iſt das Philoſophie —
dem Tode die Senſe gewaltſam aus der Hand
wenden, um (Worte, und Begriffe fliehen
einander) ſich ſelbſt nieder zu maͤhen? Und
wer ſind am Ende die Leute, die den Selbſt-
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Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/144>, abgerufen am 16.02.2025.
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