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Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785.

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Scheingründe für den Selbstmord.
zwar auch der Natur-Gott, der Vernunft-
Gott -- aber nicht der weltenbauenden,
sondern in dieser Welt still beobachtenden,
nicht der willkührlich witzelnden, sondern der
redlich forschenden, nicht der durch Stolz
und Vorurtheil getrübten, sondern der gesun-
den, geraden, hellen Menschenvernunft. --

Ja, Du Vernunft- und Bibel-
gott!
wie erhebt mich der Gedanke an dich
über alles, was vergänglich ist, und reizt!
Wie stärkt der Glaube an dich gegen alles,
was vergänglich ist, und drückt!


Mit diesem kurzen Aufsatze, der dem
Verfasser aus dem Herzen kam, wollte er
nur dieß sagen: Die verführendsten Schein-
gründe zum Selbstmorde liegen in der Trug-
idee, daß Gott eine ruhige alte Monas,
das Leitseil der allgemeinen Naturgesetze in
der Hand -- und das Gebet Alfanz und
Aberglaube sey.

Dank der Fürsehung, daß das Reich
dieser Trugidee, meines Wissens, noch sehr
dürftig, und ihr Termin von kleinem Um-
schnitte sey!

7. Das

Scheingruͤnde fuͤr den Selbſtmord.
zwar auch der Natur-Gott, der Vernunft-
Gott — aber nicht der weltenbauenden,
ſondern in dieſer Welt ſtill beobachtenden,
nicht der willkuͤhrlich witzelnden, ſondern der
redlich forſchenden, nicht der durch Stolz
und Vorurtheil getruͤbten, ſondern der geſun-
den, geraden, hellen Menſchenvernunft. —

Ja, Du Vernunft- und Bibel-
gott!
wie erhebt mich der Gedanke an dich
uͤber alles, was vergaͤnglich iſt, und reizt!
Wie ſtaͤrkt der Glaube an dich gegen alles,
was vergaͤnglich iſt, und druͤckt!


Mit dieſem kurzen Aufſatze, der dem
Verfaſſer aus dem Herzen kam, wollte er
nur dieß ſagen: Die verfuͤhrendſten Schein-
gruͤnde zum Selbſtmorde liegen in der Trug-
idee, daß Gott eine ruhige alte Monas,
das Leitſeil der allgemeinen Naturgeſetze in
der Hand — und das Gebet Alfanz und
Aberglaube ſey.

Dank der Fuͤrſehung, daß das Reich
dieſer Trugidee, meines Wiſſens, noch ſehr
duͤrftig, und ihr Termin von kleinem Um-
ſchnitte ſey!

7. Das
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[109/0121] Scheingruͤnde fuͤr den Selbſtmord. zwar auch der Natur-Gott, der Vernunft- Gott — aber nicht der weltenbauenden, ſondern in dieſer Welt ſtill beobachtenden, nicht der willkuͤhrlich witzelnden, ſondern der redlich forſchenden, nicht der durch Stolz und Vorurtheil getruͤbten, ſondern der geſun- den, geraden, hellen Menſchenvernunft. — Ja, Du Vernunft- und Bibel- gott! wie erhebt mich der Gedanke an dich uͤber alles, was vergaͤnglich iſt, und reizt! Wie ſtaͤrkt der Glaube an dich gegen alles, was vergaͤnglich iſt, und druͤckt! Mit dieſem kurzen Aufſatze, der dem Verfaſſer aus dem Herzen kam, wollte er nur dieß ſagen: Die verfuͤhrendſten Schein- gruͤnde zum Selbſtmorde liegen in der Trug- idee, daß Gott eine ruhige alte Monas, das Leitſeil der allgemeinen Naturgeſetze in der Hand — und das Gebet Alfanz und Aberglaube ſey. Dank der Fuͤrſehung, daß das Reich dieſer Trugidee, meines Wiſſens, noch ſehr duͤrftig, und ihr Termin von kleinem Um- ſchnitte ſey! 7. Das

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Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/121>, abgerufen am 21.11.2024.