Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785.Zweyter Abschnitt. Wenn er doch eine Reise nach Pareis, oderPecking gethan hätte! So aber wollt' er nicht weg von Feuer und Bratspieß, und wendet sich so lange dran herum, bis er ca- put ist. Und das ist eben das Unglück, daß einer bey so viel Geschick und Gaben so schwach seyn kann. Und darum sollen sie unter der Linde an der Kirchhofmauer neben seinem Grabhügel eine Grasbank machen, daß man sich darauf hinsetze, und den Kopf in die Hand lege, und über die menschliche Schwachheit weine. -- Aber, wenn du ausgeweinet hast, sanfter, guter Jüngling! wenn du ausgeweinet hast; so hebe den Kopf frölich auf, und stemme die Hand in die Seite! Denn es giebt Tugend, die, wie die Liebe, auch durch Leib, und Leben geht, und in jeder Ader zuckt, und stört. Sie soll, dem Vernehmen nach, nur mit viel Ernst, und Streben errungen werden, und deßwegen nicht sehr bekannt, und beliebt seyn; aber wer sie hat, dem soll sie auch da- für reichlich lohnen, bey Sonnenschein, und Frost und Regen, und wenn Freund Hain mit der Hippe kommt." Im
Zweyter Abſchnitt. Wenn er doch eine Reiſe nach Pareis, oderPecking gethan haͤtte! So aber wollt’ er nicht weg von Feuer und Bratſpieß, und wendet ſich ſo lange dran herum, bis er ca- put iſt. Und das iſt eben das Ungluͤck, daß einer bey ſo viel Geſchick und Gaben ſo ſchwach ſeyn kann. Und darum ſollen ſie unter der Linde an der Kirchhofmauer neben ſeinem Grabhuͤgel eine Grasbank machen, daß man ſich darauf hinſetze, und den Kopf in die Hand lege, und uͤber die menſchliche Schwachheit weine. — Aber, wenn du ausgeweinet haſt, ſanfter, guter Juͤngling! wenn du ausgeweinet haſt; ſo hebe den Kopf froͤlich auf, und ſtemme die Hand in die Seite! Denn es giebt Tugend, die, wie die Liebe, auch durch Leib, und Leben geht, und in jeder Ader zuckt, und ſtoͤrt. Sie ſoll, dem Vernehmen nach, nur mit viel Ernſt, und Streben errungen werden, und deßwegen nicht ſehr bekannt, und beliebt ſeyn; aber wer ſie hat, dem ſoll ſie auch da- fuͤr reichlich lohnen, bey Sonnenſchein, und Froſt und Regen, und wenn Freund Hain mit der Hippe kommt.“ Im
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0116" n="104"/><fw place="top" type="header">Zweyter Abſchnitt.</fw><lb/> Wenn er doch eine Reiſe nach <hi rendition="#fr">Pareis,</hi> oder<lb/><hi rendition="#fr">Pecking</hi> gethan haͤtte! So aber wollt’ er<lb/> nicht weg von Feuer und Bratſpieß, und<lb/> wendet ſich ſo lange dran herum, bis er ca-<lb/> put iſt. Und das iſt eben das Ungluͤck, daß<lb/> einer bey ſo viel Geſchick und Gaben ſo<lb/> ſchwach ſeyn kann. Und darum ſollen ſie<lb/> unter der Linde an der Kirchhofmauer neben<lb/> ſeinem Grabhuͤgel eine Grasbank machen,<lb/> daß man ſich darauf hinſetze, und den Kopf<lb/> in die Hand lege, und uͤber die menſchliche<lb/> Schwachheit weine. — Aber, wenn du<lb/> ausgeweinet haſt, ſanfter, guter Juͤngling!<lb/> wenn du ausgeweinet haſt; ſo hebe den Kopf<lb/> froͤlich auf, und ſtemme die Hand in die<lb/> Seite! Denn es giebt Tugend, die, wie<lb/> die Liebe, auch durch Leib, und Leben geht,<lb/> und in jeder Ader zuckt, und ſtoͤrt. Sie<lb/> ſoll, dem Vernehmen nach, nur mit viel<lb/> Ernſt, und Streben errungen werden, und<lb/> deßwegen nicht ſehr bekannt, und beliebt<lb/> ſeyn; aber wer ſie hat, dem ſoll ſie auch da-<lb/> fuͤr reichlich lohnen, bey Sonnenſchein, und<lb/> Froſt und Regen, und wenn <hi rendition="#fr">Freund Hain</hi><lb/> mit der Hippe kommt.“</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Im</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [104/0116]
Zweyter Abſchnitt.
Wenn er doch eine Reiſe nach Pareis, oder
Pecking gethan haͤtte! So aber wollt’ er
nicht weg von Feuer und Bratſpieß, und
wendet ſich ſo lange dran herum, bis er ca-
put iſt. Und das iſt eben das Ungluͤck, daß
einer bey ſo viel Geſchick und Gaben ſo
ſchwach ſeyn kann. Und darum ſollen ſie
unter der Linde an der Kirchhofmauer neben
ſeinem Grabhuͤgel eine Grasbank machen,
daß man ſich darauf hinſetze, und den Kopf
in die Hand lege, und uͤber die menſchliche
Schwachheit weine. — Aber, wenn du
ausgeweinet haſt, ſanfter, guter Juͤngling!
wenn du ausgeweinet haſt; ſo hebe den Kopf
froͤlich auf, und ſtemme die Hand in die
Seite! Denn es giebt Tugend, die, wie
die Liebe, auch durch Leib, und Leben geht,
und in jeder Ader zuckt, und ſtoͤrt. Sie
ſoll, dem Vernehmen nach, nur mit viel
Ernſt, und Streben errungen werden, und
deßwegen nicht ſehr bekannt, und beliebt
ſeyn; aber wer ſie hat, dem ſoll ſie auch da-
fuͤr reichlich lohnen, bey Sonnenſchein, und
Froſt und Regen, und wenn Freund Hain
mit der Hippe kommt.“
Im
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/116 |
Zitationshilfe: | Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/116>, abgerufen am 16.02.2025. |