Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Instruction
reden können, darfst du nur die Leichen
vorzählen, die der Menschenfeind, Selbst-
mord, in nahen und fernen Landen seit
kurzem gehäufet hat, und sie werden dich
deines Weges gehen lassen. Wo nicht:
so führe sie stilischweigend in die Gesell-
schaften, in denen der Selbstmord seine
Lobredner, und, wer soll es glauben?
seine Lobrednerinnen findet: in Schrift-
stellerstuben
, die die schwarze Mühe ken-
nen, die ihre Bewohner an der Empfeh-
lung solcher Grundsätze verschwenden,
deren Befolgung mit dem Selbstmorde
endet: in Romanen-Bibliotheken, wo
die Helden und Heldinnen wetteifern die
Last des Lebens, und der Liebe mit ei-
nemmale wegzuwerfen: in Schauspiele[n],
die es als erste Tapferkeit preisen, ein
Mörder seiner selbst zu werden: zu
Toiletten, wo Schriften, die alle Ar-
ten von überspannten Gefühlen predigen,
als Lieblingslectüre oben an zu stehen die
Ehre haben, und das Vorrecht, in den
täglichen Putzstunden als einzige Lebens-

weisheit

Inſtruction
reden koͤnnen, darfſt du nur die Leichen
vorzaͤhlen, die der Menſchenfeind, Selbſt-
mord, in nahen und fernen Landen ſeit
kurzem gehaͤufet hat, und ſie werden dich
deines Weges gehen laſſen. Wo nicht:
ſo fuͤhre ſie ſtiliſchweigend in die Geſell-
ſchaften, in denen der Selbſtmord ſeine
Lobredner, und, wer ſoll es glauben?
ſeine Lobrednerinnen findet: in Schrift-
ſtellerſtuben
, die die ſchwarze Muͤhe ken-
nen, die ihre Bewohner an der Empfeh-
lung ſolcher Grundſaͤtze verſchwenden,
deren Befolgung mit dem Selbſtmorde
endet: in Romanen-Bibliotheken, wo
die Helden und Heldinnen wetteifern die
Laſt des Lebens, und der Liebe mit ei-
nemmale wegzuwerfen: in Schauſpiele[n],
die es als erſte Tapferkeit preiſen, ein
Moͤrder ſeiner ſelbſt zu werden: zu
Toiletten, wo Schriften, die alle Ar-
ten von uͤberſpannten Gefuͤhlen predigen,
als Lieblingslectuͤre oben an zu ſtehen die
Ehre haben, und das Vorrecht, in den
taͤglichen Putzſtunden als einzige Lebens-

weisheit
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0010"/><fw place="top" type="header">In&#x017F;truction</fw><lb/>
reden ko&#x0364;nnen, darf&#x017F;t du nur die Leichen<lb/>
vorza&#x0364;hlen, die der Men&#x017F;chenfeind, Selb&#x017F;t-<lb/>
mord, in nahen und fernen Landen &#x017F;eit<lb/>
kurzem geha&#x0364;ufet hat, und &#x017F;ie werden dich<lb/>
deines Weges gehen la&#x017F;&#x017F;en. Wo nicht:<lb/>
&#x017F;o fu&#x0364;hre &#x017F;ie &#x017F;tili&#x017F;chweigend in die Ge&#x017F;ell-<lb/>
&#x017F;chaften, in denen der Selb&#x017F;tmord &#x017F;eine<lb/>
Lobredner, und, wer &#x017F;oll es glauben?<lb/>
&#x017F;eine Lobrednerinnen findet: in <hi rendition="#b">Schrift-<lb/>
&#x017F;teller&#x017F;tuben</hi>, die die &#x017F;chwarze Mu&#x0364;he ken-<lb/>
nen, die ihre Bewohner an der Empfeh-<lb/>
lung &#x017F;olcher Grund&#x017F;a&#x0364;tze ver&#x017F;chwenden,<lb/>
deren Befolgung mit dem Selb&#x017F;tmorde<lb/>
endet: in <hi rendition="#b">Romanen</hi>-Bibliotheken, wo<lb/>
die Helden und Heldinnen wetteifern die<lb/>
La&#x017F;t des Lebens, und der Liebe mit ei-<lb/>
nemmale wegzuwerfen: in <hi rendition="#b">Schau&#x017F;piele<supplied>n</supplied></hi>,<lb/>
die es als er&#x017F;te Tapferkeit prei&#x017F;en, ein<lb/>
Mo&#x0364;rder &#x017F;einer &#x017F;elb&#x017F;t zu werden: zu<lb/><hi rendition="#fr">Toiletten,</hi> wo Schriften, die alle Ar-<lb/>
ten von u&#x0364;ber&#x017F;pannten Gefu&#x0364;hlen predigen,<lb/>
als Lieblingslectu&#x0364;re oben an zu &#x017F;tehen die<lb/>
Ehre haben, und das Vorrecht, in den<lb/>
ta&#x0364;glichen Putz&#x017F;tunden als einzige Lebens-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">weisheit</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[0010] Inſtruction reden koͤnnen, darfſt du nur die Leichen vorzaͤhlen, die der Menſchenfeind, Selbſt- mord, in nahen und fernen Landen ſeit kurzem gehaͤufet hat, und ſie werden dich deines Weges gehen laſſen. Wo nicht: ſo fuͤhre ſie ſtiliſchweigend in die Geſell- ſchaften, in denen der Selbſtmord ſeine Lobredner, und, wer ſoll es glauben? ſeine Lobrednerinnen findet: in Schrift- ſtellerſtuben, die die ſchwarze Muͤhe ken- nen, die ihre Bewohner an der Empfeh- lung ſolcher Grundſaͤtze verſchwenden, deren Befolgung mit dem Selbſtmorde endet: in Romanen-Bibliotheken, wo die Helden und Heldinnen wetteifern die Laſt des Lebens, und der Liebe mit ei- nemmale wegzuwerfen: in Schauſpielen, die es als erſte Tapferkeit preiſen, ein Moͤrder ſeiner ſelbſt zu werden: zu Toiletten, wo Schriften, die alle Ar- ten von uͤberſpannten Gefuͤhlen predigen, als Lieblingslectuͤre oben an zu ſtehen die Ehre haben, und das Vorrecht, in den taͤglichen Putzſtunden als einzige Lebens- weisheit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/10
Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/10>, abgerufen am 29.03.2024.