Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Viertens: um zu lehren, wie man soll, muss
man auf die Umstände des Ortes, der Zeit, die Anlässe,
Gedächtnisstage, Gewohnheiten, die Vorurtheile, La-
ster, und alle die Eigenheiten
, die von Seite der Ge-
meine den Vortrag noch näher bestimmen können,
Acht haben.

Lehre so, wie deiner Lehre durch Umstände,
Anlässe, Bedürfnisse etc. Bahn gemacht wor-
den, und werden kann.

Dadurch unterscheidet sich eine Predigt insbe-
sondere von einer gelehrten Abhandlung, dass diese
mehr im Allgemeinen bleiben darf, jene wesentlich
ein Wort zur rechten Zeit, und zu dieser Zeit, und an
diese Zuhörer, an diesem Orte seyn soll. Und in diesem
Sinne ist es wahr, dass die Predigten sich in dem Ver-
hältnisse dem Ideal einer Predigt nähern, in welchem
sie sich von dem Ideal einer scientifischen Abhandlung
und ihrem Charakter, der Allgemeinheit, entfernen. Und
auch schon desshalb ist die Lehrart Jesu die beste, weil
sie ganz Casual ist. Was nun unsre gewöhnlichen Pre-
digten daran verlieren, dass sie nicht mehr so ganz
casual seyn können: das sollen sie wenigst zum Theil
dadurch zu ersetzen suchen, dass sie dem ganzen Zu-
stande der Gemeine, und den Umständen und Anlässen,
so viel es seyn kann, angepasset werden. Dem, wel-
cher nur nützen will, ist keine Rücksicht, die den Nut-
zen fördert, kleinfügig, vielmehr jede Kleinigkeit, die
zum Ziele führet, wichtig.

Unter

Viertens: um zu lehren, wie man ſoll, muſs
man auf die Umſtände des Ortes, der Zeit, die Anläſſe,
Gedächtniſstage, Gewohnheiten, die Vorurtheile, La-
ſter, und alle die Eigenheiten
, die von Seite der Ge-
meine den Vortrag noch näher beſtimmen können,
Acht haben.

Lehre ſo, wie deiner Lehre durch Umſtände,
Anläſſe, Bedürfniſſe etc. Bahn gemacht wor-
den, und werden kann.

Dadurch unterſcheidet ſich eine Predigt insbe-
ſondere von einer gelehrten Abhandlung, daſs dieſe
mehr im Allgemeinen bleiben darf, jene weſentlich
ein Wort zur rechten Zeit, und zu dieſer Zeit, und an
dieſe Zuhörer, an dieſem Orte ſeyn ſoll. Und in dieſem
Sinne iſt es wahr, daſs die Predigten ſich in dem Ver-
hältniſſe dem Ideal einer Predigt nähern, in welchem
ſie ſich von dem Ideal einer ſcientifiſchen Abhandlung
und ihrem Charakter, der Allgemeinheit, entfernen. Und
auch ſchon deſshalb iſt die Lehrart Jeſu die beſte, weil
ſie ganz Caſual iſt. Was nun unſre gewöhnlichen Pre-
digten daran verlieren, daſs ſie nicht mehr ſo ganz
caſual ſeyn können: das ſollen ſie wenigſt zum Theil
dadurch zu erſetzen ſuchen, daſs ſie dem ganzen Zu-
ſtande der Gemeine, und den Umſtänden und Anläſſen,
ſo viel es ſeyn kann, angepaſſet werden. Dem, wel-
cher nur nützen will, iſt keine Rückſicht, die den Nut-
zen fördert, kleinfügig, vielmehr jede Kleinigkeit, die
zum Ziele führet, wichtig.

Unter
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0056" n="42"/>
          <p><hi rendition="#i">Viertens:</hi> um zu lehren, wie man &#x017F;oll, mu&#x017F;s<lb/>
man auf die <hi rendition="#i">Um&#x017F;tände des Ortes, der Zeit, die Anlä&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
Gedächtni&#x017F;stage, Gewohnheiten, die Vorurtheile, La-<lb/>
&#x017F;ter, und alle die Eigenheiten</hi>, die von Seite der Ge-<lb/>
meine den Vortrag noch näher be&#x017F;timmen können,<lb/>
Acht haben.</p><lb/>
          <p> <hi rendition="#et"> <hi rendition="#i">Lehre &#x017F;o, wie deiner Lehre durch Um&#x017F;tände,<lb/>
Anlä&#x017F;&#x017F;e, <choice><sic>Bedür&#x017F;ni&#x017F;&#x017F;e</sic><corr>Bedürfni&#x017F;&#x017F;e</corr></choice> etc. Bahn gemacht wor-<lb/>
den, und werden kann.</hi> </hi> </p><lb/>
          <p>Dadurch unter&#x017F;cheidet &#x017F;ich eine <hi rendition="#i">Predigt</hi> insbe-<lb/>
&#x017F;ondere von einer gelehrten <hi rendition="#i">Abhandlung</hi>, da&#x017F;s die&#x017F;e<lb/>
mehr im Allgemeinen bleiben <hi rendition="#i">darf</hi>, jene we&#x017F;entlich<lb/>
ein Wort zur <hi rendition="#i">rechten Zeit</hi>, und zu <hi rendition="#i">die&#x017F;er</hi> Zeit, und an<lb/><hi rendition="#i">die&#x017F;e</hi> Zuhörer, an <hi rendition="#i">die&#x017F;em</hi> Orte &#x017F;eyn <hi rendition="#i">&#x017F;oll</hi>. Und in <hi rendition="#i">die&#x017F;em</hi><lb/>
Sinne i&#x017F;t es wahr, da&#x017F;s die Predigten &#x017F;ich in dem Ver-<lb/>
hältni&#x017F;&#x017F;e dem Ideal einer <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Predigt</hi></hi> nähern, in welchem<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich von dem Ideal einer &#x017F;cientifi&#x017F;chen Abhandlung<lb/>
und ihrem Charakter, der Allgemeinheit, entfernen. Und<lb/>
auch &#x017F;chon de&#x017F;shalb i&#x017F;t die Lehrart Je&#x017F;u die be&#x017F;te, weil<lb/>
&#x017F;ie <hi rendition="#i">ganz Ca&#x017F;ual</hi> i&#x017F;t. Was nun un&#x017F;re gewöhnlichen Pre-<lb/>
digten daran verlieren, da&#x017F;s &#x017F;ie nicht mehr &#x017F;o ganz<lb/><hi rendition="#i">ca&#x017F;ual</hi> &#x017F;eyn können: das &#x017F;ollen &#x017F;ie wenig&#x017F;t zum Theil<lb/>
dadurch zu er&#x017F;etzen &#x017F;uchen, da&#x017F;s &#x017F;ie dem ganzen Zu-<lb/>
&#x017F;tande der Gemeine, und den Um&#x017F;tänden und Anlä&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
&#x017F;o viel es &#x017F;eyn kann, angepa&#x017F;&#x017F;et werden. Dem, wel-<lb/>
cher nur nützen will, i&#x017F;t keine Rück&#x017F;icht, die den Nut-<lb/>
zen fördert, kleinfügig, vielmehr jede Kleinigkeit, die<lb/>
zum Ziele führet, wichtig.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Unter</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0056] Viertens: um zu lehren, wie man ſoll, muſs man auf die Umſtände des Ortes, der Zeit, die Anläſſe, Gedächtniſstage, Gewohnheiten, die Vorurtheile, La- ſter, und alle die Eigenheiten, die von Seite der Ge- meine den Vortrag noch näher beſtimmen können, Acht haben. Lehre ſo, wie deiner Lehre durch Umſtände, Anläſſe, Bedürfniſſe etc. Bahn gemacht wor- den, und werden kann. Dadurch unterſcheidet ſich eine Predigt insbe- ſondere von einer gelehrten Abhandlung, daſs dieſe mehr im Allgemeinen bleiben darf, jene weſentlich ein Wort zur rechten Zeit, und zu dieſer Zeit, und an dieſe Zuhörer, an dieſem Orte ſeyn ſoll. Und in dieſem Sinne iſt es wahr, daſs die Predigten ſich in dem Ver- hältniſſe dem Ideal einer Predigt nähern, in welchem ſie ſich von dem Ideal einer ſcientifiſchen Abhandlung und ihrem Charakter, der Allgemeinheit, entfernen. Und auch ſchon deſshalb iſt die Lehrart Jeſu die beſte, weil ſie ganz Caſual iſt. Was nun unſre gewöhnlichen Pre- digten daran verlieren, daſs ſie nicht mehr ſo ganz caſual ſeyn können: das ſollen ſie wenigſt zum Theil dadurch zu erſetzen ſuchen, daſs ſie dem ganzen Zu- ſtande der Gemeine, und den Umſtänden und Anläſſen, ſo viel es ſeyn kann, angepaſſet werden. Dem, wel- cher nur nützen will, iſt keine Rückſicht, die den Nut- zen fördert, kleinfügig, vielmehr jede Kleinigkeit, die zum Ziele führet, wichtig. Unter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_prediger_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_prediger_1791/56
Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_prediger_1791/56>, abgerufen am 19.04.2024.