Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Ein schädlicher Fehler ist es 1) sich und seinen
Freunden auf eine noch so feine Weise schmeicheln.
Diese Schmeicheleyen, die der Prediger sich selbst nicht
gesteht, die aber seine Eigenliebe trefflich anzubringen
weiss, sind zweyfacher Art. Ist der Prediger ein hel-
ler Kopf nach den neuern Denkformen: so wird er in
den Bemühungen seiner Gegner den leibhaften Phari-
säismus finden. Er wird also, wenn er die Beschei-
denheit in seiner Art aufs höchste treibt, die Pharisäer
der Zeit Jesu malen, und die seiner Zeit meynen, und
durch jenes Malen und dieses Meynen seiner Lei-
denschaft Luft machen, so oft er kann. Zwar ist die
Kanzel dazu nicht der rechte Ort, und dem armen
Völklein, das sich die Woche über müde gearbeitet,
wird der Schweiss auf der Stirne nicht getrocknet durch
alle Ausfälle auf den Pharisäismus. Allein der Predi-
ger hat sich und seinen Freunden, ohne es sich deutlich
zu gestehen, ein Fest geben wollen, und diese geheime
Absicht ist leider! erreicht. Man darf auch nicht glau-
ben, dass sich die gemeynten Pharisäer durch den schnei-
denden Angriff des Pharisäismus wirklich zur Besserung
hätten bewegen lassen. Denn sieh! nun tritt der Mann
von älterer Denkform
auf die Kanzel, und braucht nicht
mehr den seinen Kunstgriff, etwa die Saduzäer der Zeit
Jesu zu schildern und die seiner Zeit bloss zu meynen,
sondern er fällt, wie das Sprichwort sagt, mit der Thür
zum Hause hinein, geht gerade auf den Unglauben und
die Freygeisterey los, und spricht so breit und bunt ge-
gen die Ungläubigen, dass die Köpfe des Volkes vol-
lends brennend werden. So hat nun denn auch der

Mann
H

Ein ſchädlicher Fehler iſt es 1) ſich und ſeinen
Freunden auf eine noch ſo feine Weiſe ſchmeicheln.
Dieſe Schmeicheleyen, die der Prediger ſich ſelbſt nicht
geſteht, die aber ſeine Eigenliebe trefflich anzubringen
weiſs, ſind zweyfacher Art. Iſt der Prediger ein hel-
ler Kopf nach den neuern Denkformen: ſo wird er in
den Bemühungen ſeiner Gegner den leibhaften Phari-
ſäismus finden. Er wird alſo, wenn er die Beſchei-
denheit in ſeiner Art aufs höchſte treibt, die Phariſäer
der Zeit Jeſu malen, und die ſeiner Zeit meynen, und
durch jenes Malen und dieſes Meynen ſeiner Lei-
denſchaft Luft machen, ſo oft er kann. Zwar iſt die
Kanzel dazu nicht der rechte Ort, und dem armen
Völklein, das ſich die Woche über müde gearbeitet,
wird der Schweiſs auf der Stirne nicht getrocknet durch
alle Ausfälle auf den Phariſäismus. Allein der Predi-
ger hat ſich und ſeinen Freunden, ohne es ſich deutlich
zu geſtehen, ein Feſt geben wollen, und dieſe geheime
Abſicht iſt leider! erreicht. Man darf auch nicht glau-
ben, daſs ſich die gemeynten Phariſäer durch den ſchnei-
denden Angriff des Phariſäismus wirklich zur Beſſerung
hätten bewegen laſſen. Denn ſieh! nun tritt der Mann
von älterer Denkform
auf die Kanzel, und braucht nicht
mehr den ſeinen Kunſtgriff, etwa die Saduzäer der Zeit
Jeſu zu ſchildern und die ſeiner Zeit bloſs zu meynen,
ſondern er fällt, wie das Sprichwort ſagt, mit der Thür
zum Hauſe hinein, geht gerade auf den Unglauben und
die Freygeiſterey los, und ſpricht ſo breit und bunt ge-
gen die Ungläubigen, daſs die Köpfe des Volkes vol-
lends brennend werden. So hat nun denn auch der

Mann
H
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0127" n="113"/>
          <p>Ein <hi rendition="#i">&#x017F;chädlicher Fehler</hi> i&#x017F;t es 1) &#x017F;ich und &#x017F;einen<lb/>
Freunden auf eine noch &#x017F;o feine Wei&#x017F;e &#x017F;chmeicheln.<lb/>
Die&#x017F;e <hi rendition="#i">Schmeicheleyen</hi>, die der Prediger &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t nicht<lb/>
ge&#x017F;teht, die aber &#x017F;eine Eigenliebe trefflich anzubringen<lb/>
wei&#x017F;s, &#x017F;ind zweyfacher Art. I&#x017F;t der Prediger ein hel-<lb/>
ler Kopf nach den <hi rendition="#i">neuern</hi> Denkformen: &#x017F;o wird er in<lb/>
den Bemühungen &#x017F;einer Gegner den leibhaften Phari-<lb/>
&#x017F;äismus finden. Er wird al&#x017F;o, wenn er die Be&#x017F;chei-<lb/>
denheit in &#x017F;einer Art aufs höch&#x017F;te treibt, die Phari&#x017F;äer<lb/>
der Zeit Je&#x017F;u malen, und die &#x017F;einer Zeit meynen, und<lb/>
durch jenes Malen und die&#x017F;es Meynen &#x017F;einer Lei-<lb/>
den&#x017F;chaft Luft machen, &#x017F;o oft er kann. Zwar i&#x017F;t die<lb/><hi rendition="#i">Kanzel</hi> dazu nicht der rechte Ort, und dem armen<lb/>
Völklein, das &#x017F;ich die Woche über müde gearbeitet,<lb/>
wird der Schwei&#x017F;s auf der Stirne nicht getrocknet durch<lb/>
alle Ausfälle auf den Phari&#x017F;äismus. <hi rendition="#i">Allein</hi> der Predi-<lb/>
ger hat &#x017F;ich und &#x017F;einen Freunden, ohne es &#x017F;ich deutlich<lb/>
zu ge&#x017F;tehen, ein Fe&#x017F;t geben wollen, und die&#x017F;e geheime<lb/>
Ab&#x017F;icht i&#x017F;t leider! erreicht. Man darf auch nicht glau-<lb/>
ben, da&#x017F;s &#x017F;ich die <hi rendition="#i">gemeynten</hi> Phari&#x017F;äer durch den &#x017F;chnei-<lb/>
denden Angriff des Phari&#x017F;äismus wirklich zur Be&#x017F;&#x017F;erung<lb/>
hätten bewegen la&#x017F;&#x017F;en. Denn &#x017F;ieh! nun tritt der <hi rendition="#i">Mann<lb/>
von älterer Denkform</hi> auf die Kanzel, und braucht nicht<lb/>
mehr den &#x017F;einen Kun&#x017F;tgriff, etwa die Saduzäer der Zeit<lb/>
Je&#x017F;u zu &#x017F;childern und die &#x017F;einer Zeit blo&#x017F;s zu meynen,<lb/>
&#x017F;ondern er fällt, wie das Sprichwort &#x017F;agt, mit der Thür<lb/>
zum Hau&#x017F;e hinein, geht gerade auf den Unglauben und<lb/>
die Freygei&#x017F;terey los, und &#x017F;pricht &#x017F;o breit und bunt ge-<lb/>
gen die Ungläubigen, da&#x017F;s die Köpfe des Volkes vol-<lb/>
lends brennend werden. So hat nun denn auch der<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H</fw><fw place="bottom" type="catch">Mann</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0127] Ein ſchädlicher Fehler iſt es 1) ſich und ſeinen Freunden auf eine noch ſo feine Weiſe ſchmeicheln. Dieſe Schmeicheleyen, die der Prediger ſich ſelbſt nicht geſteht, die aber ſeine Eigenliebe trefflich anzubringen weiſs, ſind zweyfacher Art. Iſt der Prediger ein hel- ler Kopf nach den neuern Denkformen: ſo wird er in den Bemühungen ſeiner Gegner den leibhaften Phari- ſäismus finden. Er wird alſo, wenn er die Beſchei- denheit in ſeiner Art aufs höchſte treibt, die Phariſäer der Zeit Jeſu malen, und die ſeiner Zeit meynen, und durch jenes Malen und dieſes Meynen ſeiner Lei- denſchaft Luft machen, ſo oft er kann. Zwar iſt die Kanzel dazu nicht der rechte Ort, und dem armen Völklein, das ſich die Woche über müde gearbeitet, wird der Schweiſs auf der Stirne nicht getrocknet durch alle Ausfälle auf den Phariſäismus. Allein der Predi- ger hat ſich und ſeinen Freunden, ohne es ſich deutlich zu geſtehen, ein Feſt geben wollen, und dieſe geheime Abſicht iſt leider! erreicht. Man darf auch nicht glau- ben, daſs ſich die gemeynten Phariſäer durch den ſchnei- denden Angriff des Phariſäismus wirklich zur Beſſerung hätten bewegen laſſen. Denn ſieh! nun tritt der Mann von älterer Denkform auf die Kanzel, und braucht nicht mehr den ſeinen Kunſtgriff, etwa die Saduzäer der Zeit Jeſu zu ſchildern und die ſeiner Zeit bloſs zu meynen, ſondern er fällt, wie das Sprichwort ſagt, mit der Thür zum Hauſe hinein, geht gerade auf den Unglauben und die Freygeiſterey los, und ſpricht ſo breit und bunt ge- gen die Ungläubigen, daſs die Köpfe des Volkes vol- lends brennend werden. So hat nun denn auch der Mann H

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_prediger_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_prediger_1791/127
Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_prediger_1791/127>, abgerufen am 21.11.2024.